Hannibals Elefantenmädchen Buch Eins
Charley Brindley
Ein ertrinkendes junges Mädchen wird von einem Elefanten aus dem Fluss gezogen. Das passiert in der Nähe von Hannibals Lager 218 vor unserer Zeitrechnung.
Im Jahr 218 vor unserer Zeitrechnung brachte Hannibal seine Armee, gemeinsam mit 27 Elefanten, über die Alpen, um die Römer anzugreifen. Elf Jahre vor diesem historischen Ereignis, an den Ufern eines Flusses in der Nähe von Karthago, Nord Afrika, zieht einer seiner Elefanten ein ertrinkendes Mädchen aus den unruhigen Gewässern. Dadurch begann Liadas epische Reise mit dem Elefanten bekannt als Obolus.
Hannibals Elefantenmädchen
BuchEins
Tin Tin Ban Sunia
von
Charley Brindley
charleybrindley@yahoo.com
www.charleybrindley.com
Editiertvon
Karen Boston
Website https://wordslayers.net/
Übersetzt von
Carolin Kern
Einbanddesign von
© 2019 by Charley Brindley alle Rechte vorbehalten
Für die englische Originalausgabe »Hannibal’s Elephant Girl Book One Tin Tin Ban Sunia«
© 2019 Charley Brindley alle Rechte vorbehalten
Gedruckt in denVereinigten Staatenvon Amerika
ErsteAusgabe März 2019
Für die deutsche Übersetzung
© 2021Carolin Kern
Herausgegeben von Tektime
alle Rechte vorbehalten
Dieses Buch ist
Brittney und Autumn Davis
gewidmet
Kapitel Eins
Ich ergriff einen toten Baum und trieb auf dunklen Wassern durch die ruhige Nacht, strengte mich an das geringste Geräusch zu hören. Aber Stille umfing mich wie ein dicker, nasser Mantel.
Warum bin ich im Fluss? War ich das einzige Mädchen, das hinübergeworfen wurde?
Der Fluss bewegte sich unter mir wie eine erwachende Schlange. Ich steckte eine Strähne nassen Haares hinter mein Ohr und blickte mich in der gefährlichen Dunkelheit um.
Ein Geräusch wie entfernter Donner wuchs in ein tiefes Rumpeln.
Was ist dieses Geräusch?
Der Holzstamm, auf den ich während der Nacht geklettert war, drehte sich in einer langsamen Bewegung, trieb in Richtung des schlammigen Ufers. Ich dachte, dass ich endlich dem eiskalten Wasser entkommen konnte, aber dann fiel der Fluss ab und stürzte nach vorne, zog mich in die rasante Strömung. Was ich im schummrigen Licht der Dämmerung sah, versetzte mich in Schrecken.
»Stromschnellen!«, schrie ich auf.
Massive Felsbrocken erhoben sich wie glänzende schwarze Zähne. Ich stürzte mich vom Stamm, versuchte wegzukommen, aber der wütende Fluss schien entschlossen mich zu verschlucken.
Ein riesiger Fels zeichnete sich geradeaus ab. Ich schrie, griff nach irgendetwas, um mich zu retten. Ich drehte mich weg, aber mein Kopf schlug auf den Stein, schickte Schmerzensblitze durch meinen Schädel.
Als ich meine Augen öffnete, war ich durch einen anderen Stamm an den Felsen geheftet. Ein schleimiger grüner Bewuchs bedeckte die verrottende Rinde und zwei zerklüftete Äste standen wie gebrochene Armknochen ab. Während ich mich anstrengte ihn wegzuschieben, schoss ein scharfer Schmerz von meinem Kopf in meine Schultern.
Der tosende Strom erfasste meine Beine, zog mich in die Stromschnellen. Ich griff nach dem Stamm, aber verfehlte ihn.
Ich krachte auf die Felsbrocken und tauchte durch schäumendes Wildwasser, bis ich in ein tiefes Becken purzelte.
Als ich nach Luft ringend an die Oberfläche kam, tauchte der schleimige Stamm plötzlich neben mir auf. Ich schnappte ihn, ließ den Wirbel mich in einem langsamen Kreis umhertragen.
Jede Bewegung verursachte von meinem Hinterkopf über meine Schläfen entsetzliche Schmerzen. Während ich mich mit einer Hand festhielt und mich im Wasser zurücklehnte, rotierten Wolken und ausladende Bäume im morgendlichen Sonnenschein.
Vögel zwitscherten in den Palmen und eine sanfte Brise brachte den erdigen Geruch von trockenem Land und blühenden Pflanzen mit sich. Warum bin ich im Fluss? Mein Kopf tat weh, als ich versuchte mich zu konzentrieren. Alles, woran ich mich erinnerte, waren zwei Männer, die mich von einer Brücke geworfen haben. Was ist mit den anderen passiert?
Ausgelaugt davon gegen den Fluss zu kämpfen, hatte ich keine Energie mehr. Der Wille weiterzumachen – der war auch weg. Also nahm ich einen flachen Atemzug und ließ los. Während ich in die kalten Tiefen sank, kam Befreiung über mich, als die sich spiralförmig bewegende Welt zu Dunkelheit verschwamm.
Plötzlich schreckte mich etwas auf, das sich durch das Wasser bewegte. Eine Kreatur ergriff mich um die Taille. Ich kämpfte und drückte dagegen, dachte, dass mich eine Wasserschlange festhielt. Die Schlange riss mich durch die Oberfläche. Ich versuchte zu schreien, aber hustete nur und würgte vom Wasser, das ich verschluckt hatte.
Die Schlange verstärkte ihren Griff, versuchte mich zu zerquetschen. Ich drückte gegen den sich windenden Körper, aber sie war zu stark. Sie hob mich hoch, bis ich in große Augen blickte, die von faltiger, grauer Haut umgeben waren. Verängstigt durch dieses fürchterliche Bild konnte ich nichts tun, als im Griff dieser Kreatur zu zittern.
Das Biest blinzelte und verlagerte seinen Griff um meinen nassen Bauch, hielt mich weiter weg. Zwei lange Hörner streckten sich aus seinem Mund und bogen sich entlang beider meiner Seiten.
Ich schob mit meiner ganzen Kraft. »Lass los!«
Meine kreischende Stimme schreckte einen Schwarm Schwalben von den Palmen auf. Ihre Flügel schlugen in einem gedämpften Aufruhr des Abflugs in der Luft.
Der Lärm musste dem Tier Angst gemacht haben, denn es gab mich frei und brüllte so laut, dass mein Inneres durchgerüttelt wurde. In dem Augenblick, in dem es mich losließ, ergriff ich das, was keine Schlange war, sondern ein langer, sich kringelnder Rüssel. Ich wollte nicht, dass das Monster michfrisst, aber ich wollte auch nicht auf eines dieser Hörner fallen.
Ich schrie, während das Biest trompetete, sich spritzend und krachend seinen Weg zum Flussufer bahnte und versuchte mich abzuschütteln. Ich hielt mich fest, als es seinen Rüssel hoch in die Luft riss und aufheulte, als ob es von etwas gebissen wurde.
Möglicherweise hatte ich in meiner Verzweiflung in seinen Rüssel gebissen, aber ich konnte nicht genug Schmerz verursacht haben, um solch ein Herumtoben zu rechtfertigen. Die Kreatur stolperte über den Sand, krachte durch das Gestrüpp, bis sieihr Hinterteil gegen einen gewaltigen Johannisbrotbaum rammte. Der Baum erbebte bis zu den obersten Zweigen, wackelte so heftig, dass ein toter Abschnitt wegbrach und fiel, dabei auf dem Kopf der Kreatur einschlug.
Sie wankte. Ihre Augen schlossen sich flatternd, dann kippte sie um und krachte in einer Wolke aus Staub, Blättern und Zweigen zu Boden. Der Kopf des Tieres schlug auf einem Felsen auf und sein eingerollter Rüssel, mit mir angehängt, kam auf der Oberseite seines riesigen Gesichts zum Liegen.
Ich setzte mich auf, versuchte zu Atem zu kommen, während ich mir mein nasses Haar aus meinen Augen wischte. Ich blicke zur reglosen Gestalt des grauen Biests herüber.
»Habe ich ihn umgebracht?«
Gelächter erschallte hinter mir und ich drehte mich um und sah sechs Soldaten. Sie trugen dicke Brustharnische aus Leder mit eingeritzten Kampfszenen, zusammen mit verzierten Metallstulpen, die ihre Handgelenke und Schienbeine schützten.
»Habt ihr jemals einen solchen Anblick gesehen?«
Ein rotbärtiger Mann zeigte mit einem knotigen Finger auf mich. Er trug einen glänzenden Helm, an dem oben langes Tierhaar abstand und hinten in einer Reihe nach unten verlief. Jeder Mann trug einen Speer und hatte ein Schwert in seinem Gürtel.
Ein weiterer Soldat warf sein Schild in den Sand, lachte so heftig, dass er kaum sprechen konnte. »Obolus, der mächtige Kriegselefant, aufgebahrt von einem Kind!« Er klatschte eine Hand auf die Schulter seines Kameraden. »Und ein wertloses Halbmädchen noch dazu. Ich bezweifle, dass sie überhaupt zwölf Sommer alt ist.«
Breite Lederstreifen mit silbernemRand hingen an den Gürteln der Soldaten, um schützende Röcke über kurzen Tuniken zu bilden.
»Der mutige Obolus«, sagte der erste Mann, »so tapfer im Kampf, dass er hundert Männer in einer Reihe zertrampelt, aber ein schreckliches Mädchen ergreift seinen Rüssel und er stirbt sogleich vor Furcht.« Das rief mehr Gelächter hervor.
Ich wollte wegrennen, aber sie umringten mich.
»Heute Abend haben wir ein Festmahl!«, schrie ein stämmiger Mann mit öligem schwarzem Haar. Er hängte seinen Helm auf die Spitze seines Speers und winkte damit in der Luft. »Mit gebratenem Bein des Biests und Elefantenohren-Eintopf.«
»Oh ja. Zwei sehr große Ohren«, sagte der rotbärtige Mann.
Er zog seinen Dolch und machte eine Schneidbewegung in der Luft. Die wenigen Zähne, die er hatte, waren farblos und schief, einer davon abgebrochen, was einen zerklüfteten Stumpen hinterließ. Knopfaugen und eine schiefe Nase ließen es scheinen, als ob er schielte.
Er kam auf mich zu, bedeutete den anderen ihm zu folgen. Ein Schauer kratzte wie ein eisiger Fingernagel an meiner Wirbelsäule entlang.
Was werden sie mit mir tun?
Ich trug nur einen kleinen Lendenschurz, der noch immer nass vom Fluss war.
Wo bin ich?
Als ich versuchte mich zu konzentrieren, schmerzte mein Kopf bis tief ins Innere. Während ich mich nach einem Weg umschaute, um zu fliehen, verengten die Männer ihren Kreis um mich.
»Das könnte in der Tat eine ernste Angelegenheit sein.« Rotbart schaute seine Freunde an, wartete augenscheinlich, um sicherzugehen, dass er deren Aufmerksamkeit hatte. »Wir müssen hoffen und beten, dass wir es in unserem nächsten Kampf nicht mit einer Legion halbnackter Mädchen aufnehmen müssen.« Die Männer lachten. »Denn dann würden unsere Kriegselefanten uns alle sicherlich zu Tode trampeln, in deren Massenpanik solch einem entsetzlichen Gefecht zu entfliehen.«
Gerade als er sein Messer in den Griffkippte, um zuzustechen, schritt ein großer Mann mit einem Stab durch den Ring der Männer. Die Farbe seines Gewands war ein unübliches rotviolett und sein Turban war mit einem goldenen Emblem an der Vorderseite geschmückt. Ein mit Juwelen besetzter Dolch schwang an einem geflochtenen Ledergürtel um seiner Taille. Er war viel älter als die Soldaten, aber seine Haltung war gerade und unbiegsam.
Die Soldaten wurden still, als er vor sie trat. Sie wichen zurück, beobachteten den großen Mann intensiv. Rotbart ließ sein Messer in seine Scheide gleiten.
Der alte Mann schüttelte seinen Kopf und schaute von dem Biest zu mir. »Ein böses Omen«, murrte er. »Das ist gewiss. Aufgrund dieses Zeichens der Göttin Tanit werden viele als Opfer ihr Ende finden.«
Die Männer flüsterten einander zu und ich konnte an ihrer Aufmerksamkeit sehen, dass seine Worte ein großes Gewicht trugen.
Ich glitt von dem Tier und trat weg, um seinen gewaltigen Körper zu studieren. Sogar als er auf seiner Seite lag, ragte er über meinem Kopf auf.
Ein »Elefant« … haben sie es so genannt?
Eine Hand berührte meine Schulter und ich sprang weg. Als sich mich umdrehte, hielt mir ein junger Mann, den ich zuvor nicht gesehen hatte, seinen Mantel hin. Er war kein Soldat, also dachte ich, dass er mit dem Mann mit Turban angekommen sein musste. Ich nahm den Umhang und schlang ihn um mich, während ich vor Furcht vor den Soldaten und wegen des kalten Flusses zitterte.
Der Mantel brachte Wärme, aber ich spürte einhundert verschiedene Schmerzen von den ganzen Schnitten und Prellungen. Mein Rücken, Kopf … alles tat weh und Ermüdung schwächte meine Beine.
Der Mann in dem Turban hob sein Gesicht zum Himmel und begann einen schwermütigen Singsang. Die Soldaten beteten, lehnten ihre Speere in ihre Armbeugen und verschränkten ihre Hände vor sich. Während die anderen gen Himmel murmelten, senkte der rotbärtige Soldat seinen Kopf, um mich anzustarren. Ein hungriges Tier hätte mir nicht mehr Angst einjagen können.
»Geh jetzt«, flüsterte der junge Mann.
Ich trat zurück, verhedderte meine Füße und ließ mich beinahe selbst stolpern. »Wohin?«, fragte ich.
Im Gegensatz zu den anderen Soldaten, die buschige Gesichter hatten und lärmend waren, war er sauber rasiert und sprach leise. Seine braunen Augen – in der Farbe von Mandeln und Honig – waren angenehm, wenn man hineinschaute. Er trug keine Waffen oder Rüstung, aber er hatte eine Schärpe um die Taille seiner weißen Tunika. Die Schärpe war aus demselben ungewöhnlichen Stoff gemacht wie das Gewand des großen Mannes.
Er legte seine Hand auf meinen Rücken und führte mich von den Soldaten weg, hinüber an den Waldrand. »Eile entlang des Pfads zum Lager und frag nach der Frau, die Yzebel genannt wird. Sie wird etwas für dich zum Essen finden. Geh schnell, bevor Hannibal hierherkommt und einen seiner Elefanten aufgebahrt auf dem Boden liegen sieht.«
Da es ein schmerzlicher Gedanke war, rannte ich entlang des Pfads in die Wälder. Ich war dankbar für denKomfort seines Umhangs und wusste, dass ich ihm hätte danken sollen. Der dicke Mantel war scheckig mit Blattgrün und Nuancen von Hellbraun. Er erstreckte sich beinahe bis zum Boden, bedeckte mich von den Schultern bis zu den Knöcheln.
Ich hielt an und schaute zurück, aber der junge Mann war verschwunden.
Die große Beule an meinem Hinterkopf schmerzte mehr als je zuvor. Als ich sie berührte, schoss Schmerz über meine Stirn und in meine Augen, was mir schwindelig werden ließ.
Wenn ich mich nur hinlegen und für eine kleine Weile schlafen könnte.
Ein Flecken Gras, wie ein weiches grünes Bett, lag unterhalb einer nahen Eiche. Als ich einen Schritt auf das Gras zumachte, hörte ich Geräusche in der Ferne. Ein Hund bellte und das Klirren von Metall erschallte durch den Wald.
Das Lager muss in der Nähe sein.
Ich ging in Richtung der Geräusche, war zu erschöpft, um weiterhin zurennen.
In der Nähe des Pfads sammelte ein Junge Holz. Er trug eine braune Tunika und hatte sein struppiges Haar mit einer Lederschnur zurückgebunden. Er zeigte mir ein herablassendes, höhnisches Lächeln und ich fragte mich, warum. Einer der Stöcke fiel aus seinem Arm. Er schnappte ihn vom Boden und neigte ihn nach hinten über seine Schulter, so als ob er ihn auf mich werfen wollte. Ich behielt meine Augen auf ihm und las einen zerklüfteten Stein in der Größe meiner Faust auf und hob ihn trotzig hoch. Nachdem ich den Fluss, den Elefanten mit seinen langen Hörnern und die furchteinflößenden Soldaten überlebt hatte, würde ich nicht von einem Jungen eingeschüchtert werden. Er war größer als ich, aber ich hatte den Stein.
Fastam Ende des Weges brachte eine leichte Brise den köstlichen Geschmack von Essen, was meinen leeren Magen vor Hungerschmerzen verkrampfen ließ.
Der Pfad kam aus dem Kiefernwald heraus, wand sich neben einem großen grauen Zelt und einen leichten Hang in das Hauptlager herunter. Viele Zelte und hölzerne Hütten sprenkelten eine Reihe niederer Hügel und breiteten sich wie eine kleine Stadt über die Landschaft aus.
Ich folgte dem Aroma kochenden Essens zu dem grauen Zelt, wo eine Frau im morgendlichen Sonnenschein neben einem Feuer stand. Sie schnitt Gemüse in einen köchelnden Topf. Einige Tische mit hölzernen Bänken kreisten die Feuerstelle ein.
Sie griff nach einer Rübe und blickte in meine Richtung. Ihre Honig-Mandel-Augen verengten sich auf mich.
»Wo hast du diesen Umhang her?«
Ich schaute nach unten, rutschte mit meinen Füßen im Schmutz herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Die Frau kam in meine Richtung, mit dem Messer in ihrer Hand. Ich trat zurück.
»Das ist Tendaos Umhang. Wo hast du ihn her?«
Ich zog den Umhang enger um mich, erinnerte mich dann an den jungen Mann. Er hatte mir gesagt, dass ich nach einer Frau fragen soll, die mir etwas zu essen geben würde.
»Kennst du eine Yzebel?«
»Ich bin Yzebel. Warum trägst du Tendaos Umhang und fragst nach mir?«
Sie kam näher und ergriff den Mantel. Ich schaute auf das Messer in der Hand der Frau, dann wieder in ihr Gesicht. Knoten traten in ihrem zusammengepressten Kiefer hervor und ihre Stirn runzelte sich, was ihr schönes Gesicht verzerrte.
Ich hielt den Umhang geschlossen, aber Yzebel war zu stark für mich. Sie öffnete ihn mit einem Ruck. Die plötzliche Veränderung, die ich in ihr sah, erstaunte mich. Ihre ernsten Züge veränderten sich so vollständig, dass es schien, als ob eine andere Person ihren Platz eingenommen hätte. Die Verärgerung und Wut erweichten sich schnell zu Mitgefühl und Zärtlichkeit.
»Große Mutter Elissa!« Yzebel starrte auf meinen zerschundenen Körper. »Was ist mir dir geschehen?«
Kapitel Zwei
Yzebel trug ein Flickwerk-Kleid aus verblasstem Gelb und Braun mit einer zerlumpten Schürze, die um ihre schmale Taille gebunden war. Sie hatte ihr langes dunkles Haar in eine komplizierte Drehung aus Zöpfen um ihren Scheitelhochgebunden. Sie war nicht alt, nicht einmal in der Mitte ihres Lebens, aber was ich am bemerkenswertesten fand, war ihr faltenloses Gesicht; die Farbe cremigen Zimts, ihre weichen Züge, wie Mondlicht auf Seide.
Ich schaute an meinem Körper herunter und sah die vielen Schnitte und Prellungen. Erst dann realisierte ich, welch schreckliche Tortur ich durchgemacht hatte. Mir tat alles weh, besonders mein Hinterkopf. Ich erinnerte mich daran krank gewesen zu sein und mir war heiß, so unglaublich heiß, bevor sie mich in den Fluss geworfen haben. Aber darüber hinaus verblieb wenig Erinnerung. Schwäche fegte über mich und ich fühlte mich spröde, wie ein zerbrochener Ast in einem kalten Wind. Ich schüttelte meinen Kopf als Erwiderung auf Yzebels Frage.
»Du bist so dünn.« Yzebel zog sanft den Umhang zu und legte ihre Arme um mich.
Falls mich je zuvor jemand umarmt hatte, konnte ich mich nicht erinnern. Ich ließ meinen Stein los und hoffte, dass sie nicht hörte, wie er auf dem Boden aufschlug.
»Dein Haar ist nass.« Sie nahm eine lange Strähne, glättete sie über meine Schulter, griff dann nach meiner Hand. »Komm hier herüber, wo es warm ist.«
Yzebel führte mich zur Feuerstelle, wo ich mich setzte und gegen einen Holzklotz lehnte. Das Feuer wärmte meinen schmerzenden Körper und der Rauch von den knisternden Kieferknorren hüllte mich in einen angenehmen, beruhigenden Geruch. Ich starrte tief in das Feuer, beobachtete, wie die Flammen hüpften und tanzten. Das Feuer schien wie das Flackern des Lebens selbst.
Wo geht das Feuer hin, wenn alles Holz verbrannt ist?
»Kannst du Contu Luca mit Wuhasa essen?«, fragte sie.
»Ja.« Ich hatte niemals von Contu Luca gehört, aber ich wusste, dass ich alles essen konnte.
Yzebel hob eine töpferne Schüssel auf und wischte sie mit der Ecke ihrer Schürze aus. Sie benutzte einen hölzernen Löffel, um sie mit dampfendem Getreide gemischt mit Fleischstücken zu füllen. Ein Topf aus Ton, der auf einem flachen Stein am Feuer stand, enthielt eine dicke rote Soße. Sie verteilte einen Löffelvoll der Soße über die Schüssel mit Essen.
Ich nahm ihr die Schüssel ab und tauchte meine Finger hinein. Das Essen war zu heiß, aber ich konnte es nicht erwarten es in meinen Mund zu bekommen. Der köstliche Geschmack des weichen Hartweizens und die herzhaften Stücke des Hammels wärmten meine Seele und die heiße Wuhasa-Soße hatte einen pikanten Hauch. Ich schluckte, ohne zu kauen und griff wieder in die Schüssel. Bevor ich einen zweiten Bissen nehmen konnte, rebellierte mein leerer Magen gegen das Essen. Ich fühlte mich schwindelig. Mein Bauch verkrampfte sich und wurde aufgewühlt. Ich versuchte die Schüssel auf den Tisch zu stellen, aber Yzebel streckte ihre Hand aus, um das Essen zu nehmen, bevor ich es fallen ließ.
Ich griff nach meinem Magen und stolperte zur Seite des Zelts, wo ich das bisschen Essen, das ich gegessen hatte, erbrach. Mein Magen krampfte und bebte weiterhin.
Yzebels sanfte Worte des Trosts und das nasse Tuch in meinem Nacken halfen mir, dass ich mich besser fühlte. Bald beruhigte sich mein Magen und sie drehte mich um, um mein Gesicht zu waschen.
»Wann hast du zuletzt gegessen?«
Ich versuchte nachzudenken. »Nicht heute.«
»Komm mit. Ich denke du solltest etwas Rosinenwein trinken, bevor du Nahrung in deinen leeren Magen gibst. Ein bisschen Wein hat einen beruhigenden Effekt, aber zu viel und du wirst betrunken wie der Rabe sein, nachdem er fermentierte Trauben gegessen hat.«
Ich lächelte, als ich an einen betrunkenen Raben dachte, der durch die Luft taumelte. Als ich aufschaute, zwinkerte Yzebel mir zu.
Ich saß mit Tendaos Umhang, der um mich geschlungen war, am Feuer und nippte an dem süßen Wein, den sie für mich verdünnt hatte.
»Nimm nur ein bisschen«, sagte Yzebel. »Lass uns warten, um zu sehen, ob deinem Magen der Wein nicht gefällt, so wie es mit dem Essen war.«
Ich nickte und stellte die Trinkschale zur Seite. Eine feurige Wärme beruhigte meinen Bauch und es schien, dass der Wein nicht mehr hoch kommen würde. Ich griff nach einem Messer, das auf einem Stein der Feuerstelle lag und nahm eine der Rüben aus einem Korb, um sie zu schälen, so wie Yzebel es zuvor getan hatte. Sie lächelte mich an, während sie Karottenscheiben in den großenTontopf schnitt. Der Eintopf roch köstlich, aber ich hatte nicht die Absicht meinen Magen ein zweites Mal zu verärgern.
»Ich glaube, ich habe nie jemanden getroffen, der so ruhig ist«, sagte Yzebel. »Hast du denn nichts zu sagen?«
Ich schnitt meine Rübe scheibenweise in den Topf, versuchte nachzudenken. Meine Gedanken waren noch immer vernebelt und mein Kopf schmerzte mehr als zuvor. Yzebel dachte wahrscheinlich, dass ich ein Schwachkopf oder ein Trottel war.
Schließlich fragte ich: »Was isst ein Elefant?«
Yzebels gehobene Augenbraue war das einzige Anzeichen, dass sie die Frage merkwürdig fand. »Der Elefant?«, sagte sie. »Nun ja, er isst alles, was wächst. Wenn er hungrig genug ist, wird er die ganze Krone eines ausgewachsenen Baums essen.« Sie griff nach einer weiteren Karotte. »Ein großer Kriegselefant kann einen Ochsenkarren voller Melonen oder ein halbes Feld Hartweizen fressen. Manchmal sogar einen ganzen Heuhaufen.«
»Aber würde er ein Mädchen essen?«
Yzebel lachte. »Nein, er wird kein Fleisch jeglicher Art essen; nur grüne und gelbe Dinge, die vom Boden wachsen. Er würde niemals ein Kind essen. Trink ein wenig mehr von dem Wein, aber nicht zu rasch.«
Ich tat, wie sie sagte, und bald fühlte sich mein Kopf, zusammen mit meinem Bauch, besser an.
»Jetzt«, sagte Yzebel, »nimm ein bisschen vom Contu Luca, aber kau es dieses Mal, bevor du schluckst.«
Das Essen war noch immer warm und sehr lecker. Ich nahm nur einen kleinen Bissen und stellte die Schüssel ab.
»Wie nennt man dich?«, fragte Yzebel, während sie nach einer großen gelben Zwiebel griff. Sie schnitt den Strunk ab und blickte mich an.
Meine Erinnerungen hörten an dem Punkt auf, wo diese Männer mich in den Fluss geworfen hatten, aber so wie ich Worte benutzen konnte, um mit Yzebel zu sprechen, kannte ich auch andere Dinge. Wie dieser Rosinenwein – ich erkannte den Geschmack und erinnerte mich, wie man ihn machte.
Manches Wissen kam zu mir zurück, stückchenweise. Ich wusste, dass kränkliche Mädchen zusammen mit zerbrochener Töpferware und der Asche des Vortags weggeworfen wurden, aber ich hatte keine Erinnerung jemals einen Namen gehabt zu haben.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Yzebels Ausdruck wurde weicher und sie senkte ihre Augen. Vielleicht war die Zwiebel, die sie in den Topf schnitt, ein wenig stärker als normal. Sie schaute sich an der Feuerstelle um, als ob sie nach etwas suchte, und nahm schließlich einen alten Holzlöffel auf. Sie untersuchte den Riss im Stiel für einige Zeit, bevor sie sprach.
»Du hast keinen Namen?«
Ich wischte mir mit dem Rücken meiner Finger über die Wange. »Nein.«
»Na ja«, sagte Yzebel, »dann lass uns einen Namen für dich finden. Ich glaube, dass es eine große Ehre ist, wenn die Götter beschließen, dass ein Mädchen seinen eigenen Namen aussuchen soll. Denkst du nicht?«
Ich wollte zustimmen und wusste bereits, welchen Namen ich gerne hätte, aber ich hielt den Mund. Obwohl ich mich nicht daran erinnerte einen Namen zu haben, war ich mir bewusst, dass Kinder, besonders Mädchen, nicht den Mund aufmachen sollten.
Woher weiß ich das?
Jedes Mal, wenn ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern, entglitt mir meine Erinnerung wie eine verängstigte Taube, die in und aus einem nebligen Dunst huschte.
Yzebel beobachtete mich, wartete augenscheinlich auf eine Antwort, aber sie behielt auch ihre Geduld, als ob sie wusste, dass ich mit meinen Gedanken kämpfte.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Vielleicht sollte ich Yzebel von dem Namen erzählen, den ich für mich will.
Mein Magen fühlte sich besser an, aber mein Kopf schmerzte. Als ich blinzelte, wirbelten kleine schwarze Punkte vor meinen Augen, verschwanden, erschienen dann wieder mit dem Schmerz. Ich schüttelte meinen Kopf, versuchte meine Sicht zu klären.
»Möchtest du eine Geschichte hören, während ich koche?«, fragte Yzebel.
»Ja.« Ich griff nach meiner Schüssel Contu Luca. »Bitte.«
»Diese Geschichte ist über unsere Muttergöttin, Königin Elissa. Vor vielen, vielen Sommern, sogar vor der Lebzeit des Großvaters meines Vaters, kam Königin Elissa, welche die Römer Dido nennen, von ihrem alten Heimatland weit im Osten an die Gestade von Byrsa. Sie fragte dasVolk, das hier lebte, nach einem kleinen Stück Land, wo sie sich mit den wenigen Gefolgsleuten, die mit ihr über das Meer gewandert waren, niederlassen konnte. Das Oberhaupt dieser gewitzten und betrügerischen Menschen sagte zu Königin Elissa: ›Du kannst die Menge Land haben, die durch die Haut eines einzelnen Ochsen umschlossen werden kann, und der Preis wird ein Talent Silber sein.‹«
»Talent?« Ich stand auf, um meine leere Schüssel auf den Tisch zu stellen. »Was ist …?«
Alles, um mich herum verschwamm und wirbelte. Der letzte Blick, an den ich mich erinnerte, war Yzebel, die nach mir griff.
* * * * *
Als ich aufwachte, lag ich auf weichen Tierfellen am Feuer, wobei Tendaos Umhang über mir ausgebreitet war. Die graue Planeoberhalb flatterte sanft in der Brise und eine Frau saß an meinen Füßen, beobachtete mich.
»Wie fühlst du dich?«, fragte die Frau.
Ich setzte mich langsam auf, versuchte zu verstehen, was passiert war. Das Innere meines Kopfs summte wie ein Schwarm wütender Bienen. Als ich mich umblickte, klärte sich mein Verstand, aber alles schien seltsam; das knisternde Feuer, der strenge Rauch, der sich in meine Richtung verflocht, und die Tische, die das Kochfeuer wie steifbeinige Tiere umringten, die geduldig darauf warteten gefüttert zu werden. Gelbes Sonnenlicht neigte sich tief über die Baumspitzen, badeten alles in Gold und Bernstein. Das Gesicht der Frau leuchtete im Schein des späten Nachmittags.
Ich erinnerte mich daran, dass sie Yzebel war.
Ich zog den Umhang über meine Schultern, streckte meine Arme, berührte dann meinen Hinterkopf. Die Beule war zurückgegangen und war nicht so schmerzhaft wie zuvor.
»Gut«, sagte ich. »Ich fühle mich gut.« Ich hielt für einen Moment inne, hatte Mühe mich zu erinnern. »Du hast mir eine Geschichte über eine Königin und einen Ochsen erzählt, aber ich erinnere mich nicht an das Ende.«
»Erinnerst du dich gefallen zu sein?«
»Nein.«
»Du hast den ganzen Tag geschlafen«, sagte Yzebel.
»Es tut mir leid.«
»Es muss dir nicht leidtun. Du warst ausgelaugt.«
»Bitte, kannstdu mir die Geschichte noch einmal erzählen?«
»Werde ich.« Yzebel erhob sich. »Aber zuerst will ich, dass du aufstehst, so dass ich sehen kann, ob du ins Feuer purzeln wirst, wie du es beinahe heute Morgen getan hast.«
Als ich aufstand, nahm mich Yzebel bei den Schultern, beobachtete meine Augen.
»Wirst du hinfallen?«, fragte sie.
Ich schüttelte meinen Kopf, blickte dann auf meine leere Schüssel auf dem Tisch.
»Hungrig?«
»Ja.«
Yzebel füllte die Schüssel zu Hälfte mit dem Contu Luca und reichte sie mir. Ich setzte mich ans Feuer, während sie den großen Topf umrührte und mir die Geschichte von Königin Elissa von Anfang an erzählte.
Als sie zu dem Teil über das Silber kam, fragte ich: »Talent? Was ist …?«
Yzebel schaute mich mit einem Ausdruck der Besorgnis an, dachte vielleicht, dass ich wieder in Ohnmacht fallen würde, aber dann grinste ich sie an. Sie lächelte und fuhr fort.
»Ein Talent ist ein großer Barren Silber.« Sie nahm ihr Messer. »Zweimal die Länge meines Messers und gleicht dem Gewicht, das ein Mann einen Tag lang tragen kann. Sein Wert ist der von sechs Kriegselefanten, oder vielleicht sieben.« Sie nahm eine Karotte aus dem Korb und schnitt sie scheibenweise in den riesigen Topf. »Unsere Elissa war sehr schön, mit langen, fließenden Locken und einem liebreizenden Lächeln, aber sie war nicht so begriffsstutzig, wie sie diesen einfachen Eingeborenen vielleicht erschienen sein mochte. Nach etwas Nachdenken nahm sie ihr Angebot an. Dann, mit der Hilfe ihrer Dienerinnen, fuhr sie damit fort eine Ochsenhaut in viele dünne Steifen zu schneiden. Königin Elissa legte dann diese Streifen Ende an Ende in einem breiten Bogen, der sich vom Meeresufer um einen Hügel herum und auf der anderen Seite zurück zum Ufer erstreckte.
»›Ich werde dieses Land haben, das jetzt von der Haut eines einzigen Ochsens umschlossen ist‹, sagte Elissa zum Oberhaupt dieses Volkes.
»Da sie sahen, dass sie überlistet wurden, gaben die Eingeborenen ihr widerwillig das Land und wünschten ihr Glück dabei eine Siedlung aufzubauen. Sie gingen mit dem Talent Silber weg, um über ihrem Verlust zu brüten.
»Elissa hatte sich einen Abschnitt des Küstenstreifens ausgesucht, der einen der ausgezeichnetsten natürlichen Häfen enthielt, den es entlang der ganzen südlichen Küste des Thalassa Meeres, von den Römern Mare Internum genannt, gab. Das würde sich später als sehr vorteilhaft für Königin Elissa und die Siedlung, die sie Neue Stadt benannte, was unser Karthago ist, erweisen.«
Der Junge, der mich mit seinem Stock im Wald bedroht hatte, kam zu Yzebel. Ich war überrascht ihn zu sehen und wunderte mich, warum er an ihr Feuer kam.
Er griff in den Topf für einen Fleischbrocken, aber Yzebel packte seine Hand und schob sie weg.
»Schau, wie dreckig deine Hände sind. Du weißt es besser.«
»Ich bin hungrig.«
»Du kannst wie der Rest von uns warten. Hast du das Feuerholz zu Bostar gebracht, wie ich es dir gesagt habe?«
Er nickte, aber seine Augen lagen auf mir und meiner Schüssel Contu Luca. »Sie hat Tendaos Umhang gestohlen.«
»Nein, hat sie nicht.«
Ich nahm ein großesFleischstück aus meiner Schüssel und biss hinein. Ich studierte den Jungen, der älter als ich zu sein schien, vielleicht einen Sommer. Im Gegensatz zu Yzebels braunen Augen waren seine ein seichtes Grau.
Was ist die Farbe meiner Augen? Ich hoffe, dass sie braun wie ihre sind.
»Warum trägt sie ihn dann?«, fragte der Junge mit weinerlicher Stimme. Sein Verhalten Yzebel gegenüber war unwirsch und er grinste mich spöttisch an, als ob ich ihn anwiderte.
Yzebel schlug ihren Holzlöffel so heftig auf den Rand des Topfs, dass ich dachte, er würde zerbrechen. Sie blickte dann den Jungen finster an, bis er seine Augen senkte.
»Wenn du nicht lernst deine Zunge im Zaum zu halten, wird jemand diesen gehässigen Dolch aus deinem Mund schneiden. Hast du mich verstanden?«
»Ja«, sagte er, während er mich aus den Augenwinkeln anfunkelte.
Glaubt er, dass ich die Schuld an seiner Schelte habe? Er hat eine gemeine Zunge und verdient, was er bekam. Ich nahm eine weitere Rübe aus dem Korb. Möglicherweise hat er nichts aus Yzebels Worten gelernt, aber ich. Und von der Art und Weise, wie sie ihn behandelte,denke ich, dass er ihr Sohn sein könnte, möglicherweise Tendaos Bruder. Zu schade, dass er absolut nicht wie der junge Mann war.
Ich wollte mehr von Königin Elissa und ihren fließenden Locken, ihrem liebreizenden Lächeln und schlauen Gepflogenheiten hören, aber wollte nicht, dass Yzebel ihre Geschichte weiterführte, wenn der Junge anwesend war. Ich wollte, dass sie mir allein erzählt wurde, dass ich sie hatte, um sie bis zu dem Tag zu behalten, wenn ich sie an ein anderes törichtes kleines Mädchen weitergeben konnte, das kein Wissen über schöne Dinge hatte.
Ich war damit fertig die Schale der Rübe abzuschneiden, und nachdem ich sie in den Topf geschnitten habe, blickte ich zu Yzebel hoch und deutete auf den Korb. Sie nickte und ich nahm eine weitere heraus, um daran zu arbeiten.
Der Junge wischte seine Hände an seiner Tunika ab, nachdem er sie gewaschen hatte, und kniete sich in den Schmutz. Er griff nach einer Rübe und schälte sie mit einem Messer, das er aus einer Scheide an seinem Gürtel zog.
»Jabnet«, sagte Yzebel. »Siehst du, wo die Sonne ist?«
Sein Name ist also Jabnet. Ein dummer Name für einen dummen Jungen. Der Name, den ich für mich ausgesucht habe, ist viel besser und auch nobel, vielleicht sogar majestätisch.
Jabnet schaute nach Westen, wo die Sonne am entfernten Ende des Lagers bereits hinter die Baumkronen gefallen war. »Ja, Mutter.«
Er war beinahe so groß wie seine Mutter und, wenn er gelegentlich lächeln würde, könnte er vielleicht sogar ansehnlich sein. Aber sein bitterer Gesichtsausdruck verdarb seine ganze Person.
»Was ist jeden Tag deine Aufgabe, wenn die Sonne untergeht?«
»Die Tische säubern.« Seine Schultern sackten zusammen und er starrte zu Boden. »Und die Trinkschalen, den Wein und die Lampen herausstellen.« Er ließ die zum Teil geschälte Rübe wieder in den Korb fallen und wischte sein Messer an seinem Ärmel ab.
»Muss ich dir jeden Tag zu dieser Zeit sagen, was du tun sollst?«
»Nein, Mutter.«
Jabnet schaute mich finster an und schob das Messer wieder in seine Scheide. Als er sich umdrehte, um seinen Pflichten nachzugehen, trat er mit seiner Sandale absichtlich auf meinen nackten Fuß. Der Rand seiner Sandale schnitt in die Oberseite meines Fußes, aber ich weigerte mich ihm die Genugtuung zu geben mich aufschreien zu hören oder mich bei seiner Mutter zu beschweren.
»Nachdem die Soldaten kommen«, sagte Yzebel, »werden wir für dich einen Platz zum Schlafen machen. Würdest du heute Nacht gerne in meinem Zelt bleiben?«
»Soldaten?«
Ich mochte sie nicht. Sie waren gemein und abstoßend. Ich wusste, dass sie sich über mich und den armen Obolus, den Elefanten, lustig machen würden. Ich konnte all den Hohn wegstecken, den sie über mich häufen wollten, aber Obolus konnte sich nicht länger verteidigen. Sie schnitten ihn gerade wahrscheinlich auseinander und kochten sein Fleisch über ihren Feuern, während sie sich gut über seine Dummheit amüsierten. Das große Tier tat mir leid und es machte mich traurig darüber nachzudenken, dass ich der Grund seines Todes war.
»Ja«, sagte Yzebel. »Am Abend kommen die Männer in das Lager, suchen nach … ähm … Vergnügen, dann kommen ein paar hierher für etwas zu essen. Ich mache immer Essen für sie, und wenn sie es mögen, lassen sie mir ein paar Kupfermünzen oder Schmuckstücke von ihren Eroberungen auf dem Schlachtfeld da.«
»Und wenn sie dein Essen nicht mögen?«
»Nun ja, dann werfen sie Dinge herum und zerbrechen meine Töpferwaren.« Sie schaute mich an und muss meinen gedankenvollen Ausdruck gesehen haben. »Ich scherze nur«, sagte sie. »Sie wissen es besser, als Ärger an Yzebels Tischen zu machen.«
Ich war nicht sicher, was das bedeutete, aber ich wollte sicherlich nicht, dass sie jemals wieder wütend auf mich wäre, wie sie es das erste Mal war, als sie mich Tendaos Umhang tragen gesehen hat.
»Jetzt«, sagte Yzebel, »zeig mir all deine Finger.«
Ich legte die Rübe ab und hielt meine Hände mit ausgestreckten Fingern hoch. Yzebel tat das Gleiche, senkte dann die Finger ihrer rechten Hand, ließ nur den Daumen oben. Ich imitierte sie. Jetzt hatte ich alle Finger einer Hand oben, plus dem Daumen der anderen Hand.
»Das«, sagte Yzebel, »ist, wie viele Laibe Brot ich brauche.«
»Sechs.«
Sie hob eine Augenbraue. »Sehr gut. Ich bin froh, dass du Zahlen kennst.« Sie deutete auf einen großen getöpferten Krug, der in der Nähe der geöffneten Zeltklappe stand. »Nun, kannst du diese Flasche Rosinenwein zu Bostar bringen und ihm sagen, dass es von seiner guten Freundin Yzebel im Tausch für sechse Laibe seines frischesten Brots ist?«
»Ja.« Ich war begierig darauf auf jegliche Weise zu helfen, die ich konnte. »Wo ist Bostar?«
»Das Zelt des Bäckers ist nur einen Pfeilflug von hier entfernt.« Sie deutete nach Osten. »Diese Richtung. Du wirst das Brot riechen, wenn du näherkommst.« Sie zögerte, bevor sie fortfuhr. »Sei vorsichtig mit dem Krug. Ich will nicht, dass du auch nur einen einzelnen Tropfen verschüttest. Dieser Wein ist kostbar. Verstehst du …?« Sie vergaß offenbar, dass ich keinen Namen hatte.
»Obolus«, sagte ich.
Yzebels Augen wurden groß. Vielleicht verstand sie das Wort nicht. »Hast du Obolus gesagt? Er ist der große Elefant.«
»Das ist der Name, den ich für mich will.«
Jabnet lachte hinter mir und ich begriff, dass er alles gehört hatte.
»Sie ist zum Teil Elefant«, sagte er. »Ich wusste, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Wahrscheinlich ist ihr Vater ein Elefant und ihre Mutter –«
Yzebels vernichtender Blick brachte ihn zum Schweigen. Er ging dazu zurück die Lampen mit Olivenöl zu füllen und sie mit frischen Baumwolldochten auszustatten.
»Du darfst jeden Namen wählen, den du willst«, sagte sie. »Aber denkst du, dass der Name eines Elefanten ein guter Name für dich ist?«
»Ja.«
Ich hob den schweren Krug auf und ging, um Bostar zu suchen.
Kapitel Drei
Ein weicher Holzstopfen, an Ort und Stelle gedrückt und mit einem Stück Baumwollstoff fest versiegelt, verpropfte den Ausguss von Yzebels Weinkrug. Ich drückte die schwere Flasche an mich, legte beide Hände unter die Unterseite.
Die ganzen Pfade entlang zu Bostars Zelt zog eine Vielfalt an Aktivitäten meine Aufmerksamkeit auf sich: Ein Schmied formte ein Stück schwarzen Metalls in eine Klinge; ein Gerber punzte eine Schlachtfeldaufmachung auf einen ledernen Brustharnisch; und ein Töpfer bearbeitete einen Klumpen Lehm zu einer großen Amphore.
Ein Sklavenmädchen, etwa in meinem Alter oder ein wenig jünger, stand vor einem schwarzen Zelt, benutzte eine Spinnvorrichtung, um aus Baumwolle Garn zu machen. Ein Zeichen des Besitzers war auf der Seite ihres Gesichts eingebrannt. Sie lächelte und sagte etwas, aber ich verstand ihre Worte nicht.
»Ich muss gehen und Bostar den Bäcker suchen, aber das nächste Mal werde ich anhalten, um zu reden.«
Sie gab keinenHinweis, dass sie mich gehört hat. Ich wartete, aber sie machte sich wieder an ihre Arbeit, also ging ich weiter, um den Bäcker zu besuchen.
Ich kam an eine Kurve auf dem Pfad, wo ein Weg in einem Winkel davonlief und ein weiterer sich scharf in die entgegengesetzte Richtung wand. Das Zelt des Bäckers lag irgendwo entlang des Pfads zur Linken, aber ich sah den erstaunlichsten Anblick entlang des anderen Pfads, der durch die Bäume führte.
»Elefanten!«
Gefesselt von dem Anblick und den Geräuschen so vieler Elefanten, verlagerte ich den Krug in meinen Armen und schlenderte auf sie zu. Hunderte Elefanten, groß und klein, säumten jede Seite des sich schlängelnden Pfads. Die meisten waren grau, aber manche waren dunkel, beinahe schwarz. Ein paar hatten kleine Ohren, aber viele von ihnen hatten gewaltige Ohren, welche sie wie Fächer hin und her schwenkten. Die großen Elefanten waren an Metallpfosten gekettet, die in den Boden getrieben waren, während die Elefantenbabys frei herumrannten.
Einige der Tiere fraßen Heu von Haufen in der Nähe. Ein Führer schob eine Melone in den offenen Mund seines Elefanten. Das Biest zerdrückte diese, während es seinen Kopf neigte, um die Säfte aufzufangen, schluckte dann das ganze Ding, Schale, Samen und alles. Andere brachen grüne, blättrige Zweige, die dicker als mein Arm waren, in mundgerechte Stücke, indem sie ihre Rüssel und Stoßzähne benutzten. Einige Jungen huschten mit Schläuchen mit Flusswasser vorbei, welche sie in die Kuhlen zwischen jedem Elefantenpaar gossen, die in leichter Reichweite zum Trinken waren. Ich kicherte, als ein Elefant Wasser in seinen Rüssel saugte und sich dann duschte, um sich abzukühlen.
Starke, stechende Gerüche von der großen Ansammlung von Tieren füllten die Luft, aber für mich schien es überhaupt nicht unangenehm.
Die Elefanten sahen schön aus und ihre Rüssel waren immer in Bewegung – fraßen, tranken oder packten Objekte in der Nähe.
So hat mich Obolus aus dem –
Eines der Tiere erregte meine Aufmerksamkeit. Ein langer Weg entlang der Reihe auf der Rechten stand ein Elefant, der größer als die anderen war. Er fraß von einem kleinen Heuhaufen, während er gelegentlich eine Melone nahm, die von einem Führer angeboten wurde. Ich erkannte etwas an der Artwieder, wie er sich bewegte, wenn er einen Armvoll Heu fasste und es schüttelte, bevor er es in seinen Mund stopfte. Die Form seines Kopfs und seiner Ohren sah vertraut aus.
Kann es sein?
Ich beschleunigte meinen Schritt und je näher ich dem Tier kam, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass es Obolus sein könnte. Aber es gab so viele Elefanten, und war Obolus denn nicht tot, umgehauen von dem fallenden Stamm des alten Baums beim Fluss, hatte sich dann seinen Kopf an einem Felsblock angeschlagen, als er zusammengebrochen war? Diese Stoßzähne, die aus seinem Mund kamen – sie waren sehr lang und anmutig nach oben gebogen, was ihn von den anderen abhob.
Er war es!
»Obolus!« Ich ließ den Krug mit Wein fallen und rannte den Pfad hinab. »Obolus! Obolus!«
Die Führer, Wasserjungen und Helfer hielten an, um mich anzustarren. Der große Elefant riss seinen Kopf in meine Richtung, seine riesigen Ohren stellten sich auf. Die Melone, die er gerade zerquetscht hatte, fiel aus seinem offenen Mund. Einer der Führer trat heraus, breitete seine Arme weit aus, um mich aufzuhalten, aber ich zog meinen Kopf ein und rannte um ihn herum.
Als ich einmal mehr rief: »Obolus!«, wurden seine Augen groß und er bäumte sich auf, hob seinen Kopf hoch in die Luft und trompetete durch seinen Rüssel.
»Obolus, du lebst.«
Er versuchte von mir wegzukommen, aber sein linker Vorderfuß war an einen Metallpfosten gekettet, der in den Boden getrieben war. Er wich auf die Länge der Kette zurück, schüttelte noch immer seinen gewaltigen Kopf und brüllte.
»Ich bin so froh dich zu sehen.«
Er stampfte auf die Erde und entließ ein tiefes Rumpeln, was all den anderen Elefanten Angst machte und sie dazu brachte an ihren Ketten zu ziehen und zu brüllen. Die Führer schrien und rannten herum, versuchten sie zu beruhigen. An der Straße hoch und runter breitete sich von einem verängstigten Tier zum nächsten Schrecken aus und bald war der ganze Ort in Aufruhr. Die nicht angeketteten Elefantenbabys rannten herum, wobei ihre kleinen Rüssel in die Luft erhoben waren, quiekten und trappelten umher, als ob Baal, der Gott der Stürme, hinter ihnen herjagte.
Ich stand wie gelähmt da. Das riesige Biest stampfte und brüllte, schickte Wellen der Furcht durch mich, aber sein Verhalten schien wie eine gekünstelte Machtdemonstration. Als ich meine Hand ausstreckte und auf ihn zutrat, schüttelte er seinen gewaltigen Kopf und versuchte zurückzuweichen. Der Metallpfosten lockerte sich, als er an der Kette zog, und es schien, dass er vielleicht nachgeben könnte, aber dann ließ er ab und streckte seinen Rüssel in Richtung meiner Hand aus. Ich hörte, wie er Luft holte, dachte, dass er vielleicht meinen Geruch untersuchte, zu verstehenversuchte.
In dem Wissen, dass seine riesigen Füße mich wie eine Maus unter einem umfallenden Baum zerquetschen könnten oder er mich mit seinem Rüssel niederschlagen könnte, holte ich tief Luft, ging zu ihm und tätschelte sein Bein.
»Ich dachte, du wärst tot, und ich habe dir niemals dafür gedankt, dass du mich aus dem Fluss gezogen hast. Du hast mein Leben gerettet.«
»Weg von meinem Elefanten!«, schrie jemand.
Ich ignorierte den Mann und blickte zu einem von Obolus’ großen braunen Augen hoch. Er war so groß, dass zwei Männer, die auf den Schultern des anderen standen, kaum die Oberseite seines Kopfs berührenkönnten. Er machte weiterhin drohende Geräusche, aber sie wurden sachter, als er seinen Kopf drehte, um auf mich herabzuschauen. Wenn er es wollte, könnte er einfach seinen Fuß heben und mich über den Pfad treten, aber er bewegte das Bein nicht dorthin, wo ich stand. Er stampfte mit dem angeketteten Fuß jedoch weiter auf den Boden und zog gegen die metallene Einschränkung.
Grobe Hände packten meine Schultern, zogen mich weg.
»Lass mich in Ruhe!«, brüllte ich.
»Du erschreckst die ganzen Tiere«, schnauzte der Mann mich an. »Ein nutzloses Mädchen hat kein Recht darauf hier herunter zu rennen, ihnen Angst zu machen. Sieh, was du getan hast. Der ganze Ort ist in Aufruhr.«
Als er mich zurückzerrte, trat und kämpfte ich. »Lass mich los!«, brüllte ich.
»Ich werde deinen dünnen, kleinen Hals brechen, wenn du nicht aufhörst zu schreien.«
Er packte mich mit beiden Händen, verengte seine Finger um meiner Kehle, würgte mich. Ich krallte nach seinen Handgelenken, versuchte seine Hände wegzuziehen, aber er war zu stark. Mein Herz hämmerte und meine Brust hob sich schwer, während ich darum kämpfte zu atmen.
Der Mann drehte mich herum, wandte Obolus seinen Rücken zu. »Warum kommt ein dummes Kind hierher, schreit und –«
Seine Worte wurden abgeschnitten und seine Finger lockerten sich um meine Kehle. Obolus’ Rüssel schlang sich dann um die Taille des Mannes und hob ihn vom Boden.
»Nein, Obolus!«, krächzte ich. »Setz ihn ab.« Ich rieb meine Kehle und spürte die Handabdrücke des Mannes, wo er meinen Hals umklammert hatte.
Obolus hielt den brüllenden Mann kopfüber, hoch in der Luft. Die Tunika des Mannes fiel über seinen Kopf herunter und ein Stock stürzte aus seinem Gürtel, während er trat und versuchte den Rüssel des Elefanten zu packen.
Ich blickte auf den Stock. Er hatte die Länge meines Unterarms, war mit Gold besetzt und hatte komplizierte Reben und Blätter eingeschnitzt. Das Gold an einem Ende war in einen kleinen stumpfen Haken geformt und das gegenüberliegende Ende war flach. Der Stock sah wie eine Art von Schlagstock aus. Ich bemerkte, dass ein paar andere Männer ähnliche Stöcke hatten, aber ihre waren mit Silber oder Kupfer anstatt Gold besetzt.
Einige Männer rannten mit ihren langstieligen Haken herbei, aber anstatt Obolus dazu zu bringen den Mann loszulassen, begannen sie zu lachen. Das brachte den Mann sogar noch mehr auf.
»Schlagt ihn!«, brüllte er. »Tötet ihn. Holt mich hier runter.«
Die Männer lachten nur und zeigten auf den baumelnden Mann. Sogar die Wasserjungen kamen, um den Spaß zu beobachten.
»Obolus!«, brüllte ich und klatschte gegen sein Bein. »Bitte tu ihm nicht weh.«
Der Elefant kippte seinen Kopf, um mich anzuschauen. Ich streckte meine Hand weit nach oben und tätschelte den unteren Teil seines Ohrs. Er blinzelte, schaute den Mann für einen Moment an, dann zu mir herunter.
Ich wusste, dass es nur ein wenig Druck von Obolus riesigem Rüssel brauchte, um das Leben aus dem Mann zu drücken.
»Setz ihn ab.« Meine Stimme brach, klang überhaupt nicht kraftvoll.
Obolus senkte den Mann zu Boden, gab seinen Griff frei. Der Kerl fiel in den Schmutz, landete schwer auf der Hüfte, fiel dann flach auf seinen Rücken. Zwei Arbeiter knieten sich hin, versuchten ihm aufzuhelfen.
»Das ist besser«, sagte ich zu Obolus und nahm das Ende seines Rüssels in meine Hände, blickte dann zu ihm hoch. »Ich danke dir noch einmal, dass du mein Leben gerettet hast, aber dieser Mann war nur wütend, weil ich dich und die anderen Elefanten aufgebracht habe.«
Der Mann auf dem Boden keuchte nach Atem, während der Aufruhr entlang des Pfads sich beruhigte. Die Elefantenbabys hörten auf zu rennen und senkten ihre Rüssel, um mich und Obolus zu beobachten, der das Ende seines Rüssels an meine Wange legte, um mein Gesicht und meine Haare zu beschnüffeln.
»Jetzt«, sagte ich, »werde ich dir eine Melone zu essen geben und ich verspreche, dass ich nicht wieder rennend und brüllend komme, wenn du nicht wegen jeder kleinen Sache wütend wirst.«
Ich hob eine große gelbe Melone neben dem Heuhaufen auf und streckte sie ihm hin. Er kringelte seinen Rüssel ein und öffnete seinen Mund. Ich schob sie hinein und lachte, als er sie zermalmte. Er senkte seinen Kopf für mich und ich betätschelte die Seite seines Gesichts.
»Guter Junge.«
»Ich werde sie umbringen!«
Als ich die Reibeisenstimme hinter mir hörte, drehte ich mich um und wich gegen Obolus’ Bein zurück.
Der Mann krabbelte auf seine Füße.
»Nein«, sagte ein anderer Mann, der den ersten Mann mit einer Hand auf seinem Arm zurückhielt. »Siehst du, wie sie ihn beruhigt hat?« Er war ein großer Mann, breite Schultern und muskulös, aber seine Augen waren tief und gedankenvoll. Er schaute mit einem netten Gesichtsausdruck auf mich. »Du bist diejenige, die Obolus aus dem Fluss gezogen hat, oder?«
Ich nickte.
»Das dachte ich mir.« Er nahm den anderen Mann am Arm. »Ukaron, du weißt, dass diese armen Tiere auf Dinge reagieren, von denen wir nicht wissen können. Du hast gesehen, wie er ihre Kommandos befolgt hat, als ob sie ihr ganzes Leben lang gemeinsam geübt haben. Ich habe das nur einmal zuvor gesehen, als sie diesen Jungen von Indienhergebracht haben, derjenige, der von einem römischen Speer in Messina gefällt wurde. Wie war sein Name?«
»Ponichard.« Ukaron staubte sich ab. »Was ist schon dabei?«
Ich starrte Ukaron an. Die Haut seines Gesichts war zu eng, zog seine Lippen in einem ständigen spöttischen Lächeln zurück, und seine Wangenknochen und sein Kinn stießen beinahe durch die Oberfläche. Seine Augen waren schlaff und feucht wie bei einem kranken Mann, aber vielleicht war das, weil Obolus ihn beinahe umgebracht hatte.
»Es war das Gleiche, Ukaron«, sagte der andere Mann. »Dieser Junge, Ponichard, als er zum ersten Mal den Elefanten Xetos traf. Du erinnerst dich daran, welch ein übel gesinntes Tier er sein konnte. Vom ersten Moment an, als Ponichard seine Hände auf ihn legte, stand Xetos jedoch zu Diensten des Jungen, so sehr, dass wir das Biest einschläfern mussten, als der Junge im Kampf starb. Und jetzt hat Obolus ein starkes Band mit diesem Kind geformt und sie mit ihm. Ich wage es nicht zu versuchen zu erklären, welchen Zweck die Götter für solche Dinge haben, genauso wie ich ihre unendliche Weisheit nicht hinterfrage. Ich schlage vor, dass du mit dieser Beziehung zwischen Biest und Kind nicht herumpfuschst.«
»Du liegst ziemlich falsch, Kandaulo.« Ukaron behielt seine Augen auf mir, während er mit dem Mann sprach. »Sie ist ein Dämonenkind. Sie versuchte diese Tiere in Panik zu versetzen, so dass sie das Lager zerstören. Wenn irgendwelche Götter involviert sind, sind es die Götter der Unterwelt.« Er wischte mit einem haarigen Unterarm über seinen Mund, schnappte seinen Schlagstock von dem Mann neben ihm und stürmte davon.
»Jetzt geh, Mädchen«, sagte Kandaulo. »Und wenn du dich das nächste Mal entlang der Elefanten Straße traust, schlage ich vor, dass du es leise tust.«
»Ja, Kandaulo. Das werde ich.« Ich tätschelte das Ende des Rüssels, der auf meiner Schulter zu ruhen kam. Die graue Haut des Elefanten schien rau und kalt mit all den Falten, aber sie fühlte sich weich an, und er hatte eine behutsame Berührung. »Auf Wiedersehen, mein großer Freund. Schlaf gut heute Nacht.«
Obolus griff nach mehr Heu und ich schnappte eine Handvoll für ihn, aber dann erinnerte ich mich.
»O nein«, flüsterte ich. »Yzebels Weinkrug!«
Ich ließ das Heu fallen und rannte die Elefanten Straße wieder hoch.
Kapitel Vier
Alles, was ich fand, war ein großer, schlammiger Weinfleck auf dem Pfad. Ich fiel auf meine Knie und stieß meine Finger in den purpurfarbenen und braunen Schlamm, wollte nicht glauben, was meine Augen mir sagten. Aber es war wahr: Yzebels kostbarer Rosinenwein war weg. Ich war gescheitert.
Sie hatte mir vertraut den Wein im Austausch für Brot zum Bäcker zu bringen, aber ich hatte nicht einmal den halben Weg geschafft. Der Anblick vom lebendigen Obolus hatte mein Verantwortungsgefühl komplett durcheinandergebracht und meine eigenen Gefühle hatten mein Verlangen etwas Gutes für Yzebel zu tun überschattet. Um alles noch schlimmer zu machen, war der Krug verschwunden. Jemand hat ihn genommen und nur einen Fußabdruck mit Sandalen im Schlamm hinterlassen. Wie könnte ich ihn jemals ersetzen?
Mein Herz sank und ich begann zu weinen. Yzebel würde mir niemals wieder vertrauen.
»Hast du etwas verloren?«, kam eine vertraute Stimme von hinter mir.
Ich schaute in die weichen braunen Augen des jungen Mannes vom Fluss. Derjenige, dessen Umhang ich trug – Tendao.
»Yzebels Wein.« Ich wischte mit meinen schlammigen Fingern über meine Wange. »Er ist weg.«
Er streckte seine Hand aus, um mir hochzuhelfen, und der Schlamm schien ihm nichts auszumachen. »Hättest du den Wein eigentlich für Brotlaibe zu Bostar bringen sollen?«
Ich nickte.
»Weißt du, warum Yzebel Brot wollte?«
Wir gingen die Elefanten Straße hoch in Richtung der Gabelung im Pfad.
»Für die Soldaten, wenn sie heute Abend an ihre Tische kommen.«
»Ja, sie mag es Brot für sie zur Abendessenszeit zu haben.«
»Ich habe sie im Stich gelassen, Tendao. Und jetzt muss ich zu ihr gehen und sagen, welch schreckliche Sache ich getan habe.«
»Ja, du musst es ihr erzählen«, sagte er. »Aber bevor du das tust, lass uns am Zelt von Lotaz anhalten.«
Ich hatte von dieser Lotaz nicht gehört, aber ich hatte es nicht eilig mit leeren Händen zu Yzebel zurückzukehren und mein Scheitern zuzugeben.
Ich versuchte dem Bild von Yzebels ernstem Gesicht zu entfliehen, indem ich an andere Dinge dachte. Die Erde der Elefanten Straße fühlte sich weich und warm unter meinen nackten Füßen an. Ich dachte an die hunderte von Elefanten und Menschen, die über viele Jahreszeiten darüber trampelten, die Erde in einen feinen Puder gearbeitet haben. Eichen und Kiefern säumten den Pfad, boten Schatten für die Tiere. Lange Schatten bedeckten jetzt viel des breiten Wegs.
Oben auf dem Hügel gingen wir nach rechts, den Weg, den ich früher hätte gehen sollen. Nach einer Weile trafen wir auf ein Zelt, das aus feinem, dünnem Material gemacht war. Die roten, gelben und blauen Farben des gestreiften Stoffs glommen in der Dämmerung. Schatten flackerten von der Lampe, die im Inneren brannte. Ein ausgefranstes Vordach stand davor, unterstützt von zwei Metallspeeren, die in die Erde getrieben waren. Ein schwarzer Mann saß mit überkreuzten Beinen unter dem Vordach.
»Geh zu diesem Sklaven.«
Tendao hielt mich etwas entfernt davon an, sagte mir dann, was ich zu dem Mann sagen sollte. Ich wiederholte die Anweisungen ihm gegenüber, stellte sicher, dass ich verstand.
»Aber er sieht so gemein aus, Tendao. Wirst du mit mir gehen?«
»Nein. Du musst das allein machen.«
Der Sklave beobachtete mich aufmerksam, während ich auf ihn zutrottete, schleppten sich meine Füße über die Erde, waren widerwillig mich dorthin zu bringen, wo ich nicht hingehen wollte.
Zehn Schritte entfernt hielt ich an und sagte: »Lotaz.«
Er antwortete nicht; starrte mich nur an, bis ich meine Augen auf den Boden senkte. Schließlich sprach er.
»Das ist das Zelt von Lotaz. Welches Geschäft hast du hier?«
»Es geht mir um Tendaos Geschäft.«
Der Sklave sprang auf seine Füße und eilte hinein. Einen Moment später kam eine dünne Frau heraus. Sie war von einem Paar Öllampen, die von den Speerstützen schwangen, von beiden Seiten erleuchtet. Lotaz war schön in einer seidenen Robe in Blassblau und einem Paar passender Schläppchen. Ein breiter scharlachroter Gürtel aus gewobenen Kordeln umschnallte ihre schmale Taille und eine feine goldene Kette hielt die Scheide eines mit Juwelen besetzten Dolchs. Die kleine Waffe schwang bei jeder Bewegung über ihre Schenkel. Ihre Lippen waren rot angemalt und ihre Wangen im Rosa einer Rosenknospe gefärbt, was einen weichen Kontrast zu ihrem cremefarbenen Teint bildete. Eine silberne und goldene Kette verlief genau passend über ihre Kehle.
Der Sklave kam und stellte sich hinter sie, seine Arme dabei über seiner bloßen Brust verschränkt. Er ragte wie ein riesiger, dunkler Schatten auf, stellte einen scharfen Kontrast zur weißen Haut der Frau dar,
»Was weißt du von Tendao?«, fragte sie mich.
»Ich soll dir sagen, dass er tun wird, wie du verlangt hast.«
Sie blickte an mir vorbei, suchte den dunklen Pfad in beide Richtungen ab. Ich schaute auch in diese Richtung, aber Tendao war nicht zu sehen.
»Warum hat er dich geschickt?«
Ich schüttelte meinen Kopf, wusste nicht, wie ich antworten sollte.
»Wann wird die Aufgabe vollendet sein?« Lotaz’ Stimme klang scharf und fordernd.
»Morgen, vor Sonnenuntergang«, antwortete ich mit den Worten, die Tendao mich zu sagen angewiesen hatte.
Sie schien widerwillig mit mir in dieser Transaktion umzugehen. Noch verstand ich, warum ich im Auftrag von Tendao zu Lotaz gekommen war.
Nach einem Moment sagte sie: »Sehr wohl. Warte hier.«
Lotaz ging ins Innere und kehrte bald zurück. In einer Hand trug sie einen Weinkrug, der demjenigen beinahe identisch war, den ich verloren hatte. Ihre andere Hand blieb geschlossen, die Finger fest verkrampft. Viele verzierte Armketten klimperten an ihrem Handgelenk, als sie eine Bewegung machte den Weinkrug herüberzureichen. Aber dann hielt sie an.
»Warum kommst du in so schmutzigem Zustand zu mir?«
Ich schaute auf meine ausgestreckten Hände; sie waren mit getrocknetem Schlamm verkrustet. Als ich versuchte sie abzuwischen, verschwand der Sklave hinter dem Zelt und kam mit einer tönernen Schale mit Wasser zurück, stellte sie dann zu meinen Füßen. Ich kniete mich hin, um mich zu waschen, mein Gesicht brannte vor Erniedrigung. Ich wusch mich schnell, stand auf und wischte meine Hände an meinem Umhang ab.
Der Sklave schenkte mir ein rasches Lächeln und zwinkerte, als er zwischen mich und die Frau trat. Er hob die Schale auf und bewegte sich wieder an seinen Platz. Ich wusste nicht, ob er Mitleid mit mir hatte oder nur versuchte mit einem Mitsklaven freundlich zu sein. Lotaz ließ mich mich allerdings wie eine Sklavin fühlen.
Sie reichte mir den Krug und ich nahm ihn in meine Arme – ich würde diesen nicht fallen lassen.
»Dieser Wein ist die Bezahlung für die Arbeit, die Tendao für mich tun wird«, sagte Lotaz. »Ich werde ihm nicht mehr als das bezahlen.«
Sie streckte ihre andere Hand aus und öffnete langsam ihre Finger. Zwei perfekt zusammenpassende Perlen, groß und sehr schön, ruhten in der Handfläche der Frau. Alles, was ich tun konnte, war auf den schimmernden Glanz der kostbaren Kleinode zu starren, die im gelben Licht der Lampen leuchteten
»Nimm sie«, kommandierte Lotaz. »Und stell sicher, dass die Perlen unverzüglich zu Tendao gehen. Sie werden benutzt werden, um die Arbeit zu machen. Verstehst du mich?«
Ich nickte, verlagerte den Wein, um meine rechte Hand zu befreien, so dass ich die Perlen von Lotaz schnappen konnte. Ich stand still, starrte zu der Frau hoch, wusste nicht, was ich als nächstes tun sollte.
»Geh weiter!«, sagte sie mit einem Winken ihrer Hand, scheuchte mich wie eine lästige Mücke weg.
Ich eilte den dunklen Pfad in die Richtung entlang, die Tendao mir gesagt hatte, in die ich gehen sollte. Gerade bevor ich die Ecke erreichte, blickte ich zurück, um zu sehen, dass Lotaz und der Sklave mich beobachteten. Ich verspürte große Erleichterung, als ich hinter einem Zaun aus Pflöcken vorbeiging, wo Tendao wartete.
»Ich sehe, dass du den Rosinenwein hast.«
»Ja.«
Ich streckte meine andere Hand mit den zwei Perlen aus. Er nahm sie und ich legte meine beiden Hände unter den Krug. Er inspizierte die Perlen, ließ sie dann in einen Lederbeutel fallen, der an seinen Gürtel gebunden war.
»Jetzt«, sagte er, zog die Kordeln fest zu, »lass uns Bostar den Bäcker besuchen gehen und diesen Wein für etwas Brot tauschen.«
Das war eine Überraschung. Der Wein war eine Bezahlung an Tendao für irgendeinen Dienst, den er für Lotaz auszuführen hatte, aber er schien willens mich diesen anstatt der Flasche, die ich verloren hatte,benutzen zu lassen. Warum würde er das tun? Und welche Pflicht musste er für Lotaz ausführen? Ich beschloss ihn zu bitten das zu erklären, aber er sprach, bevor ich die Gelegenheit hatte meine Worte in eine anständige Frage zu formen.
»Dein ernsthaftes Verhalten erinnert mich an jemanden.«
»Wen?«
»Hast du von Liada gehört, dem Geist vom Felsen von Byrsa gehört?«
»Nein, ich weiß nur von Prinzessin Elissa«, sagte ich.
»Nun ja, diese Geschichte hat auch viel mit Prinzessin Elissa zu tun. Moloch, der Gott der Unterwelt, kerkerte Liada innerhalb des Felsens von Byrsa ein«, sagte er.
»Warum?«
»Das war ihre Bestrafung dafür sich mit einem kleinen Ochsenkalb anzufreunden, den die Priester ausgewählt hatten, um ihn Moloch zu opfern.«
»O nein. Warum würde jemand einen Kleinen opfern?«
»Ein junges Leben ist wertvoller als ein altes. Das Sklavenmädchen Liada mochte die Vorstellung auch nicht. Während dem dunkelsten Teil der Nacht, die dem Tag der Zeremonie vorausging, schlüpfte sie hinab zum Pferch des Ochsen, entfernte seine Fesseln und führte die kleine Kreatur, zusammen mit seiner Mutter, weit weg, um sie zu befreien.
»Als Moloch von dieser verräterischen Handlung erfuhr, befahl er den Priestern das Mädchen an den Felsen von Byrsa zu ketten, wo er ihren Geist in den Stein zwang und ihn dort einkerkerte. Er ließ die Priester dann Liadas geistlosen Körper auf seinem Altar opfern, zusammen mit neun anderen Kindern. Diese brutale Gabe verkündete jedem seine Warnung, der sich in die Affären der Priester einmischen würde.
»Als unsere Elissa von Liadas schrecklichem Martyrium erfuhr, ging sie zum Felsen von Byrsa und hörte den Geist des Felsen nach Hilfe rufen. Während sie der Geschichte von Liadas ewiger Bestrafung zuhörte, legte Prinzessin Elissa ihre Hände auf den Felsen. Dann, indem sie nichts weiter als ein Gebet an die Muttergöttin Tanit und die Macht ihres eigenen starken Willens benutzte, spaltete sie den Stein entzwei und befreite Liadas Geist.«
Tendao blieb für eine Weile still und ich dachte, dass er seine Stelle in der Geschichte verloren hatte.
»Was ist dann aus dem Geist des Mädchens geworden«, fragte ich, »nachdem Prinzessin Elissa sie befreite?«
Tendao schaute auf mich herunter, ließ dann seinen Blick auf den dunklen Pfad vor uns zurückkehren. »Während all dieser vielen Zeitalter, seit Liadas Freiheit, ist ihr Geist auf der ganzen Welt herumgewandert, suchte nach einem Mädchen, das sie aufnimmt.«
Ich schaute zu Tendao hoch, dachte, dass er diese Geschichte nur für meinen Nutzen erfunden hatte.
Er schenkte mir ein Lächeln. »Es ist eine der vielen Legenden unserer Prinzessin und ich bin ziemlich sicher, dass es wahr ist.«
»Aber wie wird Liada jemanden finden, die sie aufnimmt?«
»Sie hat auf ein Mädchen gewartet, die sich mit einem armen Biest angefreundet hat, versklavt wie sie selbst.«
Während ich weiterging, den Boden beobachtete und über die versklavte Liada nachdachte, wurde ich mir vage bewusst, dass Tendao zurückfiel.
»Du meinst wie Obolus?«, fragte ich.
»Was sagst du da, Kind?«, kam eine dröhnende Stimme von dem Weg vor mir.
Ich schaute auf und fand mich auf einen sehr großen Mann zulaufend vor. Er trug eine lange Schürze und sein lächelndes Gesicht war mit Weizenmehl gepudert. Von der Erscheinung des Mannes und dem wundervollen Geruch von frischem Brot wusste ich, dass er der Bäcker sein musste. Drei Öllampen, die über den Arbeitstischenhingen, brachen die Dunkelheit des frühen Abends.
Meine Reise zu Bostars Zelt hatte viel länger gebraucht als der Flug eines Pfeils, aber schließlich, dank Tendao, war ich mit einem Krug mit Wein angekommen, um für Yzebel Brot zu tauschen.
»Wir kommen von deiner guten Freundin Yzebel«, sagte ich. »Sie wünscht, dass wir diesen Krug Rosinenwein gegen sechs Laibe deines frischesten Brots tauschen.«
»Wir?«, sagte Bostar und legte seine Fäuste auf seine Hüften, versuchte sehr fest, dass sein vergnügtes Gesicht einen strengen Ausdruck annahm. »Trägst du einen Frosch in den Falten deines Umhangs oder gibt es unsichtbare Helfer, die an deinen Fersen heften?«
Ich schaute zurück und fand vor, dass Tendao einmal mehr von mir davongeschlüpft war.
»Er hat mir gerade gesagt –«, begann ich, aber hörte auf.
Ich erkannte, dass mein Freund Tendao ein sehr schüchterner Mann sein musste, der große Schwierigkeiten damit hatte mit Menschen umzugehen. Aus irgendeinem Grund machte mich das glücklich, denn es schien, dass er wollte, dass ich für ihn sprach, wenn er es selbst nicht tun konnte.
Ich schaute zum Bäcker und sah, dass er seine ernste Miene nicht lange beibehalten konnte. Seine Haut hatte die Farbe von Sand unter Wasser und seine dunklen Augen leuchteten vor unterdrückter Gutmütigkeit. Ich mochte ihn bereits.
»Woher weißt du von meinem froschähnlichen Freund, der mit mir reist und so schüchtern ist, dass er nur mit einem Auge herausspähen wird, um zu sehen, was ich vorhabe?«
Der Mann brach in Gelächter aus und klatschte mich so fest auf die Schulter, dass ich beinahe meinen kostbaren Krug fallenließ.
»Wenn du mir das nicht abnimmst«, sagte ich und hielt ihm den Wein hin, »werde ich sicherlich bei dem Versuch sterben ihn zu beschützen.«
Bostar gluckste und nahm den Krug. »Ich sehe, dass du in sehr jungem Alter die kühne Verantwortung lernst dich um die Kostbarkeiten einer anderen Person zu kümmern.«
»O ja. Ich lerne.«
Bostar brachte den Wein in sein Zelt. Als er zurückkehrte, waren seine Arme mit einigen runden, flachen Brotlaiben beladen.
»Das sind die Letzten der heutigen Arbeit. Ich habe sie gerade kurz vor Sonnenuntergang fertig gebacken und zurückgehalten, da ich wusste, dass deine Yzebel sie heute Abend für ihre Tische brauchen würde.« Er legte die großen Laibe auf einen rauen Stoff, der auf der Werkbank ausgelegt war. »Hier sind sechs Laibe plus einer extra.« Er nahm die Ecken des Stoffs auf und band sie obenauf. »Du kannst ihr sagen, dass das zusätzliche dafür ist, dass du mir am Ende eines langen Tages einen guten Lacher geschenkt hast. Und stell sicher, dass du morgen mein Tuch zurückbringst.«
»Ich danke dir, Bostar.« Ich nahm das schwere Bündel, um es über meine Schulter zu schwingen. »Möchtest du, dass ich dir vom Fluss ein Fröschlein mitbringe, wenn ich morgen zurückkomme? Du kannst ihn in deiner Schürze tragen und wirst niemals einsam sein.«
Nach einem Moment lächelte der riesige Mann, zeigte weiße, gleichmäßige Zähne unter seinem ordentlich gestutzten Schnurrbart. »Nein, mein Kind. Ich bin den Göttern dankbar, dass du diesen sauertöpfischen Jabnet ersetzt hast. Du und Fröschlein kommt jeden Tag zu meinem Zelt und ich soll niemals die Narren bedauern, die ich ertragen muss.«
Es wäre so leicht eine Weile zu bleiben und ein wenig mehr mit dem Bäcker zu sprechen, denn ich fand Trost in seiner Gegenwart.
»Das ist besser«, sagte Bostar. »Ich wusste, dass du lächeln könntest.«
Ja, ich fühlte mich viel besser, aber ich musste Yzebel noch immer gegenübertreten und erklären, was dem ersten Weinkrug zugestoßen war.
»Ich muss gehen und Yzebel etwas erzählen. Auf Wiedersehen, Bostar.«
Ich hörte, wie er sich hinter mir verabschiedete, während ich mit dem Bündel Brot davoneilte.
Kapitel Fünf
Auf meinem Weg zurück zu Yzebels Tischen hielt ich nach Tendao Ausschau, aber sah ihn nirgendwo entlang der Pfade.
Ich kam zu Lotaz’ Zelt. Es war im Inneren erleuchtet und ich konnte ihre Silhouette durchdie Flamme ihrer Lampe flattern sehen – ein unscharfer Schatten gegen den Stoff. Jemand war bei ihr. Der dunkle Schatten eines großen Mannes, steif in der Haltung, stand sehr nahe bei ihr. Sein Schatten flatterte ebenfalls hin und her, als ob er unsicher war, ob er ihr näherkommen oder vor ihr zurückweichen sollte. Er trug einen merkwürdigen Hut, vorne hoch und hintennieder.
Ich ging entlang der gegenüberliegenden Seite des Pfads weiter, blieb weit weg vom Zelt. Ich konnte die Augen von Lotaz’ Sklave auf mir spüren. Er musste irgendwo in der Dunkelheit außerhalb des Zelts versteckt sein und beobachten.
An der Gabelung im Weg hielt ich inne, um die Elefanten Straße hinunter zu blicken. Eine leichte Brise sammelte die gefallenen Blätter ein und wisperte sie entlang des Pfads. Ich hörte nur ein gedämpftes Rumpeln von ein paar der Tiere – ein deutlicher Kontrast zu früher am Tag, als ich die ganze Herde in einen Aufruhr versetzt hatte. Ein paar hängende Lampen schwangen an Ästen und manche der Tiere mampften das Letzte ihres Heus, aber die meisten von ihnen ließen sich nieder, um zu schlafen, oder dösten auf ihren Füßen. Ein einzelner Wasserjunge arbeitete noch an seiner Aufgabe.
Als ich die Elefanten Straße verließ, fragte ich mich, wie Obolus schlief. Würde er sich hinknien, sein beträchtliches Gewicht auf seinen Knien ruhen lassen, oder würde er sich auf seine Seite drehen? Sicherlich würden seine Rippen unter seiner beträchtlichen Masse brechen. Möglicherweise schlief er in einer stehenden Haltung, aber dann könnte er bei Nacht vielleicht umkippen. Ich beschloss eines Nachts dorthin zu gehen, um zu sehen, wie er ruhte.
Bald kam ich an den Ort, wo das Sklavenmädchen früher daran gearbeitet hatte Garn zu spinnen, aber ich sah sie nicht. Das Zelt war im Innerendunkel.
Der Lärm von Yzebels Tischen erreichte mich, bevor ich die letzte Kurve auf dem Pfad umrundete. Ich schätzte, es mussten die Soldaten sein, die scherzten und lachten, während sie ihr Abendbrot aßen. Ich erschauderte beim Gedanken daran, dass sie sich wieder lustig über mich machten. Aber sogar noch mehr graute es mir vor dem Ausdruck auf Yzebels Gesicht, wenn ich ihr meinen Unfall mit dem Wein gestand.
Einer der Soldaten verkündete meine Ankunft, bevor ich die Gelegenheit hatte mit Yzebel zu sprechen. Er wandte mir sein haariges Gesicht zu, als ich am ersten Tisch vorbeiging.
»Gib mir etwas von dem Brot, Mädchen!«, brüllte er. »Wie erwartest du von mir, diesen Eintopf ohne Brot zu essen?«
Yzebel drehte sich beim Geräusch der Stimme des Soldaten und verkippte beinahe eine Schüssel heißesContu Luca auf den Schoß des Mannes. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Überraschung und Verärgerung, während sie mich anstarrte, aber er verwandelte sich bald in Erleichterung. Sie schaute dann mit einem wütenden Ich-habe-es-dir-gesagt-Blickzu ihrem Sohn Jabnet. Er stand am ersten Tisch, goss Wein in eine Trinkschale, die ihm von einem der Soldaten hingestreckt wurde.
Ich beobachtete Jabnet, wie er mich anstarrte, seine Augen groß und sein Mund offen.
»Zur Hölle mit dir, Junge!«, schrie der Mann mit der Trinkschale, als der purpurfarbene Wein sich über den Rand ergoss und seinen Arm herunterlief. »Geh weg, bevor ich dich niederschlage.«
Ich legte mein Bündel am Ende des Tischs ab und begann den Knoten aufzumachen. Einer der Männer schnappte sich ein Laib aus dem Tuch, bevor ich es gelöst hatte. Er riss einen Brocken vom Laib und reichte ihn einem anderen Mann weiter. Der Soldat, der gegenüber von ihm saß, nahm ebenfalls einen Laib und warf ihn zum nächsten Tisch. Er schnappte sich dann einen weiteren und warf ihn in die wartenden Hände eines Mannes am vierten Tisch.
Bald verblieb nur noch ein Laib. Der Mann griff danach, aber ich riss ihn weg. Dieser eine gehörte mir und ich hatte nicht die Absicht ihn ohne Kampf aufzugeben. Der Mann funkelte mich an und ich dachte, dass er mich schlagen würde, aber einer seiner Kameraden warf einen Brocken Brot nach ihm. Er prallte von seiner Nase ab und fiel in seine Schüssel. Er schnappte das Brot, schenkte mir ein Grinsen mit Zahnlücke und machte sich an seinen Eintopf.
Überall entlang der Tische saugten die Soldaten geräuschvoll ihren Eintopfsaft auf und schlangen ihn wie ein Rudel wilder Tiere herunter.
Ich eilte zum Feuer und stellte mein Bündel neben der Kochstelle ab.
»Hier«, sagte Yzebel, schob einen schweren Holzkessel in meine Hände. »Füll jede Schüssel, die leer ist, mit diesem Contu Luca, außer sie sagen dir das Gegenteil. Dann mach das Gleiche mit dem Eintopf vom Topf über dem Feuer.«
»Ja, das werde ich.«
Das köstliche Aroma des Essens erinnerte mich daran, dass ich hungrig war, aber ich würde warten, bis die Soldaten gefüttert waren. Als ich entlang des Tischs begann, jede Schüssel füllte, die mir hingestreckt wurde, nahm Yzebel Jabnet am Arm und zog ihn zur Seite. Sie gab ihm ein paar starke Worte und schüttelte ihren Finger vor seinem Gesicht, aber ich konnte nicht hören, was sie sagte.
Am dritten Tisch hatte ein Mann die komplette Seite für sich. Gegenüber von ihm drängten sich fünf Männer zusammen und verschlangen ihr Essen, nahmen manchmal Bissen von der Schüssel ihrer Nachbarn. Dieser Mann saß still, seine Augen folgten jeder Bewegung um sich herum. Ich mochte seine Züge; weit auseinanderstehende Augen, starke Kieferpartie, fast quadratisches Kinn, sein langes Haar war dick und dunkel. Die meisten anderen Soldaten waren älter als er. Ich dachte jedoch, dass er sich auf eine reifere Weise verhielt als jeder von ihnen.
Ich hielt den Holzlöffel über seine leere Schüssel, um sie mit dampfenden Hartweizen und Hammel zu füllen, aber er winkte meine Hand weg.
»Nichts mehr«, sagte er. »Aber ich werde eine weitere halbe Schale eures Weins nehmen.« Er streckte seine leere Trinkschale aus und blickte mich zum ersten Mal an. »Wenn es recht ist«, fügte er hinzu.
Ich wusste nicht, ob es seine Höflichkeit, ordentliche und saubere Erscheinung oder Augen war. Sie hielten einen Ausdruck, den ich nur als ruhige Stärke beschreiben konnte, aber mein junges Herz vollführte irgendeinen neuen Trick in meiner Brust. Sein Duft brachte den Geruch neuen Leders und strapaziöser Anstrengung in meinen Sinn. Bei einem unbedeutenderen Mann hätte es unangenehm sein können.
Ich blinzelte, als eine haarige Faust auf einen Tisch in der Nähe hämmerte, wo ein ungebetener Neuankömmling nach Essen schrie.
Es brauchte nur einen Blick von dem Mann neben mir, um den anderen zum Schweigen zu bringen. Ausgenommen von Tendao und Bostar schienen alle Männer im Lager abstoßend, ungestüm und unausstehlich. Dieser Mann war keines dieser Dinge. Er war jung; sein Bart fing gerade an zu wachsen. Seine Augen hatten ein dunkles Braun und sein Auftreten war stark, aber nicht überheblich. Seine Haut war um ein paar Schattierungen der Bräune dunkler als meine. Die Farbe erinnerte mich an eine Feder eines Falkenflügels.
»Ja«, sagte ich schließlich und stellte meine Servierschüssel auf den Tisch. Ich nahm die Trinkschale aus seiner Hand. »Ich hole Euch Wein.«
Ich eilte dorthin, wo Jabnet am letzten Tisch Wein einschenkte. Nachdem ich mir den Weinkrug von ihm schnappte, füllte ich die Trinkschale des Mannes zur Hälfte, stieß dann den Krug in Jabnets Hände.
Zurück am Tisch des Mannes stellte ich die Trinkschale vor ihn. »MöchtetIhr mehr Eintopf? Wir haben etwas auf dem Feuer.«
Er schüttelte leicht seinen Kopf und nahm die Trinkschale auf, entließ mich mit einer lockeren Handbewegung. All das geschah so geschmeidig, wenn er gesprochen hätte, hätte er vielleicht gesagt: »Nein, danke. Du kannst jetzt gehen und deinen Pflichten nachgehen.«
Ich machte mit meiner Arbeit weiter, nahm die Schüssel mit Contu Luca, um den anderen Männern aufzutischen. Am Ende des vierten Tischs war meine Schüssel leer. Ich ging zur Kochstelle und begann sie vom Topf zu füllen. Yzebel stand am Feuer, schöpfte das Letzte des Eintopfs heraus.
»Wer ist dieser Mann?«, flüsterte ich Yzebelzu.
»Welcher?«, flüsterte Yzebel auch.
»Dieser.« Ich nickte meinen Kopf nach hinten, aber schaute nicht in seine Richtung. »Der allein sitzt.«
Yzebel machte einen raschen Blick über meine Schulter. »Aber, das ist Hannibal. Sohn von General Hamilkar.«
Ich erinnerte mich daran, dass Hannibals Name am Fluss von Tendao erwähnt worden war.
Yzebel lehnte sich zu mir hin, flüsterte noch immer. »Ich hoffe, diese Männer füllen bald ihre Bäuche. Das ist der Rest vom Eintopf.«
»Und dem Contu Luca.« Ich schöpfte den verbliebenen Hartweizen und Fleisch mit dem Holzlöffel.
Yzebel zwinkerte mir zu. »Nun ja, lass uns sehen, was passiert. Verteil es, gib jedem Mann nur ein bisschen.«
»Wir haben noch einen Brotlaib.« Ich nickte auf mein Bündel auf dem Boden beim Feuer. »Wenn sie wütend auf uns werden, können wir es auf den Weg werfen und sie werden losrennen, um sich wie eine Horde Schakale darauf zu stürzen.«
Yzebels Gesicht hellte sich auf und ich dachte, sie würde lachen, aber tat sie nicht.
»Komm jetzt«, sagte Yzebel mit einem Lächeln, »lass uns zurück an die Arbeit gehen.«
* * * * *
Irgendwann nach Mitternacht gingen die letzten Soldaten. Sie hatten jede Schüssel saubergeleckt.
Ich war froh sie gehen zu sehen.
Jabnet begann einen der Tische abzuräumen, aber Yzebel hielt ihn auf, sagte, dass er es bis am Morgen lassen könnte. Wir drei sammelten all die Kupfermünzen und den Schmuck ein, welche die Männer auf den Tischen gelassen hatten, und legten sie zusammen an das Ende des ersten Tischs. Jabnet und ich setzten uns dann gegenüber von Yzebel und beobachteten, wie sie durch die Gegenstände ging.
»Silber.« Sie hielt eine große glänzende Münze ins Lampenlicht.
»Ich denke, Hannibal hat das hiergelassen«, sagte ich.
»Wirklich?« Yzebel drehte sie herum, um auf die andere Seite zu schauen. »Sie ist Römisch.«
»Römisch?«
Sie reichte mir die Münze. »Das sind die Menschen jenseits des Meeres. Diejenigen, die General Hamilkar im letzten Krieg besiegt haben.«
»Sie sieht wirklich alt aus. Ist das ein Pferd mit Flügeln?«
»Ja«, sagte Yzebel. »Die Römer nennen ihn Pegasus. Verrückte Menschen, denken, dass Pferde fliegen können.«
Auf der Rückseite der Münze war der Umriss vom Gesicht eines Mannes und ein paar Worte um die Kante herum. »Wer ist das?«, fragte ich, reichte die Münze zurück an Yzebel.
»Irgendein toter Römer.« Sie schleuderte die Münze zurück auf den Haufen.
»Ich habe Hunger«, sagte Jabnet.
Yzebel blickte auf all die leeren Schüsseln, dann auf die Töpfe am Feuer; sie waren ebenfalls leer. »So wie ich«, sagte sie, »aber sie haben alles gegessen.«
»Nein, haben sie nicht.« Ich rannte, um mein Bündel von der Kochstelle zu holen. Ich brachte es zurück an den Tisch und zog den letzten Laib Brot heraus. »Ich habe diesen aufgespart.«
Yzebel lachte und nahm den Laib. Sie zerbrach ihn, gab jedem von uns ein großes Stück des Brots, griff dann nach einem Krug auf dem Tisch. Sie schüttelte den Krug und fand vor, dass er noch immer ein wenig Wein enthielt. Ich nahm drei Trinkschalen von einem anderen Tisch und Yzebel goss Wein hinein, teilte ihn gleichmäßig zwischen den drei Schalen auf.
»Jabnet, bring mir den Wasserschlauch«, sagte sie.
Er glitt von der Bank und latschte auf die Feuerstelle zu, murmelte etwas über den Wein. Als er mit dem Wasserschlauch zurückkehrte, verwässerte Yzebel den Wein; Jabnets und meinen viel mehr als ihren.
Wir aßen unser Brot, während Yzebel ein Paar Ohrringe mit großen goldenen Schlaufen und einen Kamm aus Elfenbeinuntersuchte.
Ich hatte beinahe den Mut aufgebracht Yzebel von dem Wein zu erzählen, den ich auf der Elefanten Straße verschüttet habe, als sie einen Ring von dem Haufen Schmuck aufnahm und ihn Jabnet gab. Er studierte ihn, versuchte dann ihn über seinen Daumen zu ziehen, aber er wollte nicht passen.
Nachdem er den Ring auf seinen kleinen Finger gleiten lassen hat, sagte er: »Das ist alles, was ich bekomme?«
Yzebel ignorierte den Jungen und sah weiter den Schmuck durch, während sie ihr Brot mampfte. Schließlich hob sie einen weiteren Gegenstand auf, schaute ihn einen Moment lang genau an, reichte ihn dann mir.
Meine Augen wurden groß und ich atmete durch. »Für mich?«, flüsterte ich.
Kapitel Sechs
Ich konnte nicht glauben, dass Yzebel mir den Armreif gab. Er war aus dickem Kupfer gemacht, war breit und kompliziert graviert. Die Mitte bestand aus einem großen Kreis, der ein Bild von etwas umschloss, das ich nicht ausmachen konnte. Je genauer ich schaute, desto mehr Details sah ich. Ich legte ihn an mein Handgelenk an, aber er glitt über meine Handherunter.
»Hier.« Yzebel griff nach dem Armring. »Lass es mich dir zeigen.«
Sie untersuchte ihn für einen Moment. Eine Lücke, die so breit bemessen wie ihr Daumen war, trennte die zwei Enden, die sich um mein Handgelenk bogen. Sie drückte die Enden aufeinander zu, ließ los, drückte sie dann noch einmal, brachte sie enger aneinander. Sie bedeutete mir meine Hand auszustrecken, ließ den Armreif dann ein wenig aufspringen, um ihn über mein Handgelenk zu schieben. Er passte genau, mit gerade genug Platz, um sich drehen zu lassen, aber nicht über meine Hand zu rutschen.
»Schön.« Ich streckte meine Hand aus, um ihn zu bewundern. »Es ist das Erstaunlichste, das ich jemals gesehen habe. Ich danke dir, Yzebel. Ich werde ihn niemals ausziehen.«
Ich winkte mit meinem Handgelenk zu Jabnet, so dass er die Schönheit davon sehen konnte. Seine Augen verengten sich auf eine hasserfüllte Art und Weise.
»Ich gehe ins Bett«, sagte er.
Seine Mutter wünschte ihm eine gute Nacht und er nahm unsere Lampe, um ins Zelt zu gehen.
Ich bewegte eine andere Lampe näher, um den Armreif im helleren Licht zu untersuchen. Plötzlich erkannte ich, was darauf eingraviert war.
»Elefanten!«, schrie ich auf.
Zwei Spalten fein gravierter Elefanten marschierten die Seiten hoch, in Richtung des runden Abschnitts in der Mitte. Das runde Stück bedeckte teilweise den letzten Elefanten auf jeder Seite, schenkte den Anschein, dass die Elefanten geradewegs daruntergegangen waren.
»Hast du die Elefanten gesehen?« Ich drehte mein Handgelenk Yzebel zu.
Sie lächelte und nickte.
Der runde Mittelteil enthielt einen kleinen polierten Bereich, der wie eine Bohne geformt war, mit etwas, das einem Stiefel ähnelte, der sich von der oberen Kante hineinstreckte. Flocken von Blau hingen an dem offenen Bereich, was mich denken ließ, dass es einst vielleicht gefärbt war, aber ich konnte die Bedeutung davon nicht ausmachen. Symbole schienen um die Außenseite des Kreises herum eingeschrieben zu sein, aber ich hatte kein Wissen über ihre Bedeutung. Ich fragte Yzebel, ob sie es wusste, aber sie schüttelte ihren Kopf.
»Was ist mit dem Weinkrug passiert, den ich dir für Bostar den Bäcker gegeben habe?«, fragte sie.
Meine Schulter sackten zusammen. Es hatte mir den ganzen Abendvor diesen Moment gegraut. Ich spielte mit meinem Armreif, entließ dann ein tiefes Seufzen.
»Du nimmst vielleicht den Armreif zurück, wenn ich es erzähle.«
»Nein. Du hast heute Nacht hart für mich gearbeitet. Er gehört dir. Als du so lange weg warst, habe ich Jabnet geschickt, um dich zu suchen, und er sagte, du hast meinen Weinkrug auf den Boden geworfen und bist weggerannt. Er hat mir die zerbrochenen Stücke zurückgebracht.«
»Das ist wahr, nehme ich an. Auf dem Weg zu Bostars Zelt habe ich die Elefanten Straße gekreuzt, wo all die Elefanten leben. Als ich diese schönen Tiere entlang beider Seiten des Pfads gesehen habe, musste ich mir das genauer ansehen. Ich dachte, ich würde nur ein kleinesStücklaufen, dann für deine Brotlaibe zu Bostar gehen. Aber dann habe ich Obolus gefunden und er war am Leben! Ich dachte, dass er sicher am Fluss gestorben war.«
Ich erzählte ihr davon, wie Obolus mich aus dem Fluss gezogen hat und rückwärts in den Baum gerannt war, dann bewusstlos dalag, nachdem er gefallen und sein Kopf auf den Felsbrocken aufgeschlagen war.
Offenbar war das überraschend für Yzebel. »Er ist gefallen?«
»Ja, ich dachte, ich hätte ihn umgebracht.«
»Warum warst du im Fluss?«
»Jemand hat mich letzte Nacht ins Wasser geworfen.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Es scheint, als ob ich für eine lange Zeit geschlafen hätte. Ich kann mich an nichts anderes vor dem Fluss erinnern. Ich bin unter Wasser gegangen und Obolus hat mich mit seinem Rüssel gepackt.«
Yzebel kaute ihr Brot und nahm einen Schluck Wein. »Aber du erinnerst dich nicht, wer dich in den Fluss geworfen hat?«
»Nein.«
Sie nahm ihren letzten Bissen vom Brot und hielt mich mit ihrem stetigen Blick fest. Schließlich sagte sie: »Fahr fort.«
»Als ich Obolus auf der Elefanten Straße gesehen habe, habe ich den Weinkrug fallen gelassen –« Ich hörte auf, um darüber nachzudenken. »Nein, Moment, der Krug zerbrach nicht. Er fiel zu Boden, aber ich bin sicher, dass er nicht zerbrochen ist, da ich ihn zerspringen gehört hätte. Als ich davon zurückkam Obolus zu sehen, war da nur eine große purpurne Schlammpfütze, also nahm ich an, dass er zerbrochen war, aber jetzt, da ich darüber nachdenke, dürfte er nur umgekippt und ausgelaufen sein, als ich ihn fallen gelassen habe. Dann kam jemand vorbei und hat den Krug weggenommen. Aber es ist trotzdem meine Schuld. Ich hätte ihn niemals fallen lassen dürfen.«
»Hmm. Ich habe diesen Stopfen fest hineingeschoben. Ich denke nicht, dass er herausgeknallt wäre, als er auf dem Boden aufschlug.« Yzebel blickte über ihre Schulter in Richtung des dunklen Zelts, wo Jabnet schlief, schaute dann wieder zu mir. »Aber du hast dennoch das Brot von Bostar bekommen?«
»Ja. Ich saß auf der Erde auf der Elefanten Straße und weinte, als jemand mich fragte, ob ich etwas verloren hätte. Ich schaute auf und sah Tendao dort stehen.«
»Tendao!« Yzebel lehnte sich zu mir hin, ihre Augen groß. »Woher kennst du Tendao?«
»Du hast mir von ihm erzählt.«
»Ich?« Sie richtete sich auf.
»Ja, heute, als ich zum ersten Mal hierherkam. Du hast gefragt, woher ich seinen Umhang habe.«
Sie schaute auf den Umhang, den ich noch immer trug, und lehnte sich auf den Tisch, brachte ihr Gesicht näher zu mir. »Sag mir genau, wie du dazu kamst Tendaos Umhang zu tragen.«
»Die Soldaten haben gelacht und sich am Fluss über den armen Obolus und mich lustig gemacht, nachdem er seinen Kopf an dem Felsbrocken angeschlagen hat. Ich verstand nicht, was geschehen war, und die Männer machten mir Angst. Ich machte mir Sorgen darüber, was sie mit mir tun würden. Mir war kalt und ich zitterte. Dann spürte ich seinen Umhang meine nackten Schultern berühren. Ich sprang weg, aber dann sah ich, dass es ein nett aussehender, junger Mann war. Er hatte keinen Bart und seine Augen waren von einem weichen Braun, genau wie deine. Er streckte mir den Umhang hin und –«
Yzebel unterbrach mich. »Wie alt, denkst du, ist er? In Hannibals Alter?«
»Nein«, sagte ich. »Jünger als Hannibal, aber älter als Jabnet. Ist Tendao Jabnets Bruder?«
Yzebel antwortete nicht; stattdessen studierte sie ihre Hände, die nun fest ineinander verschränkt waren. Nach einer Weile schluckte sie und blickte starr in die Dunkelheit hinaus.
Soweit ich wusste, begann mein Leben an diesem Tag. Aber so viel war geschehen: Obolus, der mich rettete; die drohenden Soldaten; der große Mann in der rot-violetten Robe, der einen Turban trug; Tendao; Jabnet; Yzebel; wieder Obolus, dieses Mal lebendig; Tendao, der mir ein zweites Mal half; Lotaz mit ihren vielen Armketten – aber keine schöner als meine; der große Sklave; das Mädchen, das Garn spann – ich war wegen ihr noch immer neugierig; der vergnügte Bostar; die lärmenden Soldaten zur Abendessenszeit; und Hannibal, der gutaussehende Hannibal. Er erinnerte mich an den Fluss, mächtig und tief. Aber der Fluss hat mich beinahe umgebracht, warum verglich ich ihn also damit?
»Es tut mir leid«, flüsterte ich Yzebel zu. »Ich muss lernen meinen Mund zu halten.«
»Ja.« Sie nahm meine Hände in ihre. »Tendao war Jabnets Bruder.«
Ich wollte wissen, was geschehen war, aber ich sah Yzebels Tränen. Nein, ich würde meine Neugier unter Kontrolle halten – fürs Erste.
»Komm.« Yzebel stand auf, wischte ihre Wange ab. »Es ist spät und wir müssen ein Bett für dich machen.«
Ein Vollmond schien über die Baumspitzen, erhellte Yzebels Tische in einem silberfarbenen Schimmer. Der Lärm des Lagers erstarb, während sich die Menschen für die Nacht niederließen.
Das Zelt hatte mehr Platz im Inneren als ich erwartete. Jabnet schlief auf einer Palette neben einem großen Wagenrad im Hinterteil. Ein weiteres Bett lag zur Rechten in der Nähe der Vorderseite.
Yzebel stellte die Lampe auf eine Holzkiste in der Mitte, öffnete ein Stoffbündel und lud drei Tierhäute ab; jede hatte eine Seite gegerbt und die andere Seite war mit dickem, weißem Fell bedeckt. Sie breitete diese auf dem Boden aus, gegenüber ihrem Bett.
»Wird das ein gutes Bett für dich sein?«
Ich nickte und lächelte. Es wäre in der Tat angenehm. Ich dachte, dass es ein weicher und warmer Ort zum Schlafen wäre.
Yzebel hob etwas anderes auf, das mit den Häuten herausgefallen war – ein Kleid. Sie schüttelte es aus und wich einen halben Schritt zurück. Sie schaute mich an, dann das Kleid. Es war eines ihrer Kleider. Der Saum fiel bis zu ihren nackten Füßen.
»Hol ein Messer von der Kochstelle«, sagte sie.
Ich rannte durch die Zeltklappe, schnappte ein Messer und eilte zurück.
Yzebel hielt das Kleid an meinem Körper hoch. »Halt es bis an deine Schultern hoch, so.«
Während ich das Kleid hielt, nahm Yzebel das Messer aus meiner Hand. Sie kniete auf der Erde, blickte hoch, um zu sehen, ob ich es noch immer auf die Weise hielt, wie sie angewiesen hatte, begann dann einen breiten Streifen vom unteren Teil abzuschneiden.
»Als die Priester vor sechs Sommern meinen Ehemann genommen haben«, sagte sie, während sie am Saum arbeitete, »haben sie auch Tendao mitgenommen. Er war nur ein Junge und ich habe ihn seit diesem Tag nicht gesehen. Als du an diesem Morgen zu meinem Zelt kamst, Tendaos Umhang trugst, war ich schockiert.« Sie stutzte den unteren Rand des Kleids zurecht, um das Kleid auszugleichen. »Dann hast du ihn wieder auf der Elefanten Straße gesehen. Jetzt will ich wissen, ob irgendjemand sonst ihn gesehen hat und warum er nicht nach Hause kommt.«
Sie stand auf, nahm mir das Kleid ab und sagte mir, dass ich den Umhang ausziehen sollte. Ich tat es und legte ihn auf mein Bett, hielt dann meine Arme nach oben, während sie das Kleid über meinen Kopf gleiten ließ.
Als sie zurücktrat, legte sie ihre Finger an ihre Lippen, versuchte sich davon abzuhalten zu kichern. Ich schaute an mir herunter und begann zu lachen. Jabnet rollte sich in seinem Bett herum, murmelte etwas und legte sich wieder schlafen.
Die Ärmel kamen über meine Hände herunter und das Gewand hing mehr wie ein Zelt als ein Kleid. Yzebel grinste noch immer, als sie das Stück aufhob, das sie von der Unterseite abgeschnitten hatte. Sie benutzte das Messer, um einen langen Streifen zu schneiden, bedeutete mir dann mich umzudrehen, legte den Stoffstreifen um meine Taille, raffte den ganzen Schlupf des Kleids am Rücken und knüpfte einen Knoten in den behelfsmäßigen Gürtel. Sie stand dann auf, zog die Kordel am Halsausschnitt fest, was es über meine flache Brust nach oben brachte, und band es in meinem Nacken. Als nächstes schnitt sie die Ärmel genau über meinen Ellbogen ab.
Ich wirbelte auf meinen Zehenspitzen herum, beobachtete, wie der Saum meines Kleids sich aufwölbte. »Ich danke dir, Yzebel.« Ich hielt an, schaute ihr ins Gesicht. »Es ist wundervoll.«
»Es ist nicht perfekt«, Yzebel hob die Stoffreste auf, »aber es wird genügen, bis wir ein Neues für dich machen.«
Während sie den Stoff und das Messer auf die Kiste legte, stand ich dort, schaute zu, wie sie ihre Dinge weglegte, und dachte daran, wie viel sie für mich getan hatte, als ob ich ein Teil ihrer Familie wäre, sprach sogar von einem neuen Kleid.
Ich rannte, um sie zu umarmen, und sie legte ihre Arme um mich und hielt mich für einen Moment.
»Nun«, sie schob mich auf Armeslänge weg, »sollten wir besser schlafen gehen. Als Erstes werden wir morgen frisches Fleisch finden gehen, Hartweizen, Wein und –«
»Brot von Bostar«, beendete ich für sie.
Wir lachten. Dann, bevor sie die Lampe ausblies, sagte sie mir, dass ich ins Bett gehen sollte.
Ich legte mich hin, zog Tendaos Mantel über mich und lauschte Yzebel, wie sie ins Bett ging. »Gute Nacht, Yzebel.«
»Gute Nacht … wie war der Name, den du für dich ausgewählt hast?«
»Obolus«, sagte ich. »Aber jetzt, da er am Leben ist, werde ich seinen Namen nicht nehmen. Ich denke, ›Liada‹ ist ein hübscher Name.«
»Liada?«, sagte Yzebel. »Wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört?«
Tendao, wollte ich sagen, aber ich blieb still. Ich wollte nicht, dass Yzebels älterer Sohn der letzte Gedanke in ihrem Kopf war, bevor sie schlafen ging.
Nach einem Moment sagte Yzebel: »›Liada‹ ist ein guter Name für dich. Gute Nacht, Liada.«
»Gute Nach, Yzebel.«
Ich hob meinen linken Arm, aber es war zu dunkel, um den Armreif zu sehen. Also fuhr ich mit meinen Fingern entlang der Seiten und spürte die eingravierten Elefanten, wie sie ihren Marsch hoch zu dem mysteriösen Zufluchtsort machten. Ich fragte mich, wie viele unter dieser merkwürdigen runden Mitte des Armreifs waren.
Nach einem langen und ereignisvollen Tag war ich sehr müde, aber mein Verstand ging noch immer alles durch, was geschehen war. Ich dachte an Hannibal, Tendao und Obolus. Ich wusste, dass sie schlafen sollten und fragte mich, wo. Ich hatte keine Ahnung, wo Hannibal oder Tendao schliefen, aber ich wusste genau, wo Obolus war. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er auf seinem Bett aus Stroh lag oder döste, während er stand und auf seinen Füßen schwankte.
Ich setzte mich auf meinem Bett auf und starrte auf Yzebel. Ich hörte nichts außer langsamer, gemäßigter Atmung und ich wusste, dass sie schlief. Ich hob also leise meinen Umhang auf, schlüpfte aus dem Zelt und ging im strahlenden Mondlicht in Richtung Elefanten Straße.
Als ich zum Pfad kam, der sich zwischen den Elefanten wand, fand ich ein paar von ihnen liegend vor, manche fraßen Heu, während einer mit seinem Rüssel Wasser aus einem Wasserloch aufsaugte, um es in seinen Mund zu spritzen. Einige dösten schlafend, während sie standen. Ich war überrascht so viele wach zu sehen. Ein großer Kerl versuchte eine Melone zu erreichen, die jenseits der Länge seines Rüssels gerollt war. Ich hob sie auf und, als sich sein Mund für mich öffnete, schob ich sie hinein.
Die friedliche Atmosphäre des Ortes war bemerkenswert. Diejenigen, die wach waren, schienen den Schlaf ihrer Mitelefanten zu respektieren, blieben ruhig, während sie fraßen oder sich umherbewegten, während sie von den Ketten an ihren Füßen eingeschränkt waren. Alle Elefantenbabys waren auf dem Boden ausgestreckt neben ihren Müttern, abgesehen von einem winzigen, das gesäugt wurde.
Ich sah keine Elefantenführer oder Wasserjungen, aber ich fand Obolus auf seiner Seite liegend, fest schlafend. Darauf bedacht ihn nicht zu wecken krabbelte ich in die Beuge zwischen seinem eingerollten Rüssel und Hals. Ich glättete mein neues Kleid, breitete Tendaos Umhang über mir aus und rollte mich ein, fühlte mich sicher und warm. Ich würde nur eine kleine Weile bleiben, dann zurück zu Yzebels Zelt rennen und in mein Bett gehen.
* * * * *
Ich erwachte zu Heustücken, die auf mein Gesicht fielen. Vom blassen Licht wusste ich, dass es bald dämmern würde, aber ich bemerkte nicht, wo ich war. Zuerst dachte ich, dass ich im Wald läge, zwischen zwei Bäumen. Die großen grauen Pfosten erhoben sich auf jeder meiner Seiten und trafen sich über meinem Kopf in einem gewaltigen, grauen, runzeligen Himmel. Ich kippte meinen Kopf zurück und sah einen großen Mund, der eine Armladung Heu mampfte.
»Obolus«, flüsterte ich. »Wann bist du aufgestanden?«
Der große Rüssel schwang in meine Richtung und streifte die Seite meines Kopfs. Ich ergriff ihn und spürte, wie er Luft einatmete, als er meine Hand beschnüffelte. Ich hielt mich fest, um mich hochzuziehen, und fand vor, dass seine Füße so eng an mir positioniert waren, dass es beinahe so schien, als ob er mich hielt. Ich wusste nicht wie, aber er hatte es geschafft sich zu erheben, ohne mich zu stören, stand dann über mir, während ich schlief.
Ich fuhr mit meinen Händen entlang der großen, gebogenen Stoßzähne, die sich weit vor ihm ausstreckten. Wenn es mir möglich wäre darauf zu liegen, würde mein Kopf noch immer nicht die Spitze erreichen. Er hatte zwei dieser beträchtlichen Stoßzähne auf jeder Seite seines Rüssels. Sie erinnerten mich an wunderschöne Zähne, die bei Berührung sehr glatt waren.
»Wie ich sehe, frühstückst du bereits, mein Freund.«
Er machte ein rumpelndes Geräusch tief in seiner Brust und ich hörte auf Anhieb ein beinahe identisches Geräusch von quer über dem Weg, gefolgt von einem schweren, dumpfen Schlag. Obolus hob seinen Fuß und ließ ihn fallen, machte einen sogar noch lauteren dumpfen Schlag. Ein antwortender dumpfer Schlag kam von weiter oben vom Pfad. Ich wusste nicht, was sie sagten, aber diese großen Tiere führten eine Unterhaltung. Da war ich mir sicher.
»Hast du meinen Armreif bemerkt?« Ich hielt mein Handgelenk hoch, so dass er ihn sehen konnte. Er blinzelte und griff nach mehr Heu. »Siehst du die Melone dort drüben?«
Ich deutete über den Pfad auf eine große grüne Wassermelone, die neben dem Heuhaufen eines weiteren Elefanten lag. Ich war nicht sicher, ob er dorthin schaute, wo ich zeigte, aber sein Rüssel kringelte sich um meinen Unterarm.
»Ich werde sie für dich holen, dann muss ich gehen. Yzebel und ich haben an diesem Morgen eine Menge Arbeit zu tun und ich muss mich beeilen zum Zelt zurückzukommen, bevor sie aufwacht.«
Ich blickte an der Elefanten Straße hoch und runter, um sicherzustellen, dass keiner der Männer in der Nähe war, dann rannte ich über den Pfad, schnappte die Melone und rannte zurück zu Obolus. Er hob sofort seinen Rüssel und öffnete seinen Mund. Ich konnte nicht sicher sein, aber ein großes Lächeln schien auf seinem Gesicht zu sein, als ich die Melone in seinen Mund schob. Als er seinen Kopf nach hinten neigte und sie knirschend kaute, machte er mit seinem erhobenen Rüssel ein komisches Geräusch. Das brachte ein tiefes trompetendes Geräusch vom vorigen Besitzer der Melone, gefolgt von einem Fußstampfen von jedem von ihnen. Ich hoffte, ich hatte keinen Streit zwischen den zwei großen Kerlen begonnen.
Ein Wispern von Lavendel tünchte den östlichen Himmel, als ich Tendaos Umhang aufhob und das Heu abschüttelte. »Auf Wiedersehen, Obolus. Ich muss zurück zu Yzebels Zelt eilen. Aber ich werde bald zurück sein, das verspreche ich.«
Kapitel Sieben
Als ich vor der Dämmerung zurück zu Yzebels Tischen kam, war alles ruhig. Ich benutzte das Schüreisen, um durch die Kohlen zu rechen, fand ein paar glimmende, glühende Holzstücke. Mit ein wenig Anzündholz und ein paar Atemhauchen erblühte das Feuer. Ich fügte größere Stöcke hinzu, erweckte das Feuer zu Leben.
Yzebel kam heraus und streckte sich. »Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Soll ich mit dem Frühstück beginnen?«
Sie blickte in Richtung Osten, wo die Sonne bald über die Bäume brechen würde. »Es ist am besten früh Vorräte zu handeln, während es noch eine gute Auswahl an Gegenständen gibt.«
Jabnet schlief noch immer, als wir gingen.
Ein Lederbeutel, der an einer Schnur um Yzebels Taille festgemacht war, hielt alle Münzen, Ringe und Schmuckstücke, welche die Soldaten in der Nacht zuvor auf ihren Tischen hinterlassen hatten.
Wir fanden den Abdecker an seiner Werkbank an einem Bach in der Nähe der Mitte des Camps. Ich blieb still und beobachtete, während Yzebel über verschiedene Fleischzuschnitte feilschte. Sobald sie mit dem Hammel und dem kleinen Schwein zufrieden war, die er ausgegeben hatte, stritten sie viel über den Wert des Schmucks, den sie als Bezahlung anbot. Schließlich warf sie einen Goldring in den Handel und verlangte drei lebendige Hühner zusätzlich zum Fleisch. Der Abdecker untersuchte den Ring für eine lange Zeit, bevor er der Transaktion zustimmte. Yzebel bat ihn dann die Kiste, worin die Hühner eingepfercht waren, miteinzuschließen.
Auf dem Weg zurück zu Yzebels Zelt balancierte ich die Kiste mit gackernden Hühnern auf meinem Kopf, während sie das geschlachtete Schwein auf ihrer Schulter trug. Wir würden für den Hammel einen zweiten Ausflug machen müssen.
»Also das«, sagte Yzebel in einem trällernden Ton, »ist, was ich einen guten Handel nenne.« Ihre Stimme hob und senkte sich in einer Melodie aus Worten. »Wir haben nicht nur die doppelte Menge an Fleisch bekommen, als wir wollten, sondern auch die Hühner.« Sie lehnte sich herunter, um mich unter der Kiste anzuspähen. »Was hältst du davon, Liada?«
»Ich dachte, dass du eine Menge für die eine Münze, zwei Halsketten und einen kleinen Goldring bekommen hast, aber ich wollte nicht sprechen, während du mit dem Mann handelst.«
»Ja.« Yzebel richtete sich auf und verlagerte ihr Schwein auf ihre andere Schulter. »Es ist gut für dich zu beobachten und zu lernen. Du musst nicht nur die Qualität der Dinge kennen, um die du handeln willst, sondern auch den Wert der Gegenstände im Austausch.«
Wir kamen am Zelt an und Yzebel rief nach ihrem faulen Sohn, so dass er aufwachte. Sie musste ihn noch einmal rufen, bevor er schließlich sich die Augen reibend in den Sonnenschein stolperte.
Er murrte etwas, das ich nicht verstehen konnte, als sie ihm sagte, dass er über das Schwein und die Hühner Wache halten sollte, während wir losgingen, um das restliche Fleisch zu holen.
Auf dem Weg zurück vom Abdecker hielten wir in der Nähe des Fußes vom Steinklopf Hügel an, um noch um Rosinenwein und Hartweizen zu handeln. Unsere Arme waren vollbeladen, als wir zum Zelt zurückkehrten.
Ich konnte von der Länge unserer Schatten sehen, dass es beinahe Vormittag war.
»Sie hat dein Kleid gestohlen«, sagte Jabnet, während wir die Vorräte auf dem Tisch auslegten.
Yzebel griff nach einem Krug und goss Wein für mich und sie ein. »Nein, hat sie nicht.«
»Warum trägst sie es dann?«
»Jabnet.« Yzebel nahm den Wasserschlauch auf, um meinen Wein mit einem großen Maß Wasser zu verdünnen. »Sie trägt es, weil ich es ihr geschenkt habe. Du machst mich mit deinen törichten Fragen müde. Geh in den Wald und sammle Feuerholz, so dass wir zu kochen anfangen können. Ich brauche außerdem einen starken Zweig, um das Schwein über dem Feuer zu rösten. Hol keine Kiefer; der Saft ruiniert den Geschmack des Fleischs.«
Jabnet murmelte mir etwas zu über Saft, als er zwischen uns ging. Yzebel hob ihre Hand und ich dachte, dass sie ihn packen würde, aber sie schüttelte einfach ihren Kopf und verdrehte ihre Augen zum Himmel. Sie lächelte mich an und steckte eine verirrte Locke hinter ihr Ohr.
Als wir unsere Getränke beendetet haben, gab sie mir zwei Kupferstücke, eine winzige Goldkette und ein paar in eine Schleife gelegte Silberohrringe. »Geh zu Bostar«, sagte sie. »Sag ihm, dass wir sieben Brotlaibe brauchen.« Sie zögerte einen Moment. »Nein, hol heute acht Laibe. Zeig ihm die Münzen und den Schmuck und er wird nehmen, was er braucht. Er ist der einzige Händler im Lager, dem du auf diese Weise vertrauen kannst. Bostar nimmt niemals mehr als der Wert seines Brots. Lerne von ihm, worauf man bei einem Mann achten sollte; er ist einer der Besten.« Sie lud ihre restlichen Münzen und Schmuck auf einem viereckigen Tuch ab und reichte mir ihren leeren Geldbeutel.
»Wer noch?«, fragte ich, während ich den Schmuck für Bostar in den Geldbeutel legte.
Yzebel lachte und faltete den Stoff in ein Säckchen, der den restlichen Schmuck enthielt. »Lass gut sein. Wenn einer vorbeikommt, werde ich ihn dir zeigen.« Sie steckte den Beutel hinter die Bänder ihrer Schürze, zog dann den Gürtel meines Kleids enger. »Du siehst, wo die Sonne ist?«
Ich schützte meine Augen vor der Sonne und schaute mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. »Es ist beinahe Vormittag.«
»Sei zurück, bevor die Sonne die Baumspitzen erreicht.«
»Das werde ich. Keine Sorge.«
* * * * *
Auf dem Weg zu Bostars Zelt traf ich auf das Sklavenmädchen vom Tag zuvor. Sie saß auf einem kleinen Schemel außerhalb des schwarzen Zelts mit einem Korb mit Baumwolle neben sich. Ich hielt an, um zu beobachten, wie sie einen zugespitzten Stock, der nicht länger als ihr Unterarm war, aufhob. Ein Spinnwirtel aus Ton, wie ein kleines Rad, war in der Nähe eines Endes des Stocks montiert. Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln und nahm eine Baumwollkapsel aus dem Korb, pflückte einige Samen ab, kitzelte ein paar Faserstränge heraus und verband sie mit der Länge des Garns, das bereits um den Schaft ihres Werkzeugs herumgewickelt war. Sie wirbelte dann den schweren Wirtel und begann ihn mit Fasern von den Baumwollkapseln zu füttern, während neues Garn sich um den Spinnschaft schlang.
Das Mädchen war so fachmännisch bei ihrer Aufgabe und ihre Finger so rasch und flink, das Garn schien von selbst länger zu wachsen. Sie nahm mehr Baumwolle aus dem Korb, entfernte die Samen, kitzelte die Fasern heraus und arbeitete sie in die Schnur aus Garn, während sie die ganze Zeit über den Spinnwirtel wirbeln ließ.
Als das Werkzeug schneller in Richtung Boden wirbelte, stand sie auf und fütterte mehr Baumwolle an das Ende des Garns. Bald hielt sie den Spinnstock an, der von dem Garn, das sich um den Schaft schlang, fett in der Mitte angewachsen war, band dann das Ende des neuen Garns an eine neue Schnur, die bereits zu einemKnäuel gerollt war, und begann das Garn vom Schaft abzurollen und es dem anwachsenden Knäuel hinzuzufügen.
»Tin tin ban sunia«, sagte sie und reichte mir den Schaft.
Das Brandmal verunstaltete ihr hübsches Gesicht. Lotaz’ Sklave hatte auch ein Brandzeichen, aber seines war ein anderes Symbol und war vor langer Zeit vernarbt. Dieses Brandzeichen des Mädchens sah wie ein Pfeil mit drei Spitzen aus und es hatte eine sich windende Schlange als Schaft. Das abstoßende Brandzeichen schien neu zu sein und noch nicht vollständig verheilt.
»Was?«, fragte ich.
»Tin tin ban sunia.« Sie zerrte am Garn, das noch um den Schaft geschlungen war.
»Tin bim suny?«
»Tin tin ban sunia.«
»Tin tin ban sunia«, sagte ich und hielt die Enden des Schafts locker in meinen Händen, so dass er frei rotierte.
Das Sklavenmädchen nickte und machte sich an die Arbeit das Garn auf den Knäuel zu wickeln, während ich den Schaft des Werkzeugs hielt.
»Ich verstehe nicht, was das bedeutet.«
Als der Rest des Garns vom Schaft kam, nahm sie ihn mir ab und begann eine neue Schnur zu spinnen.
»Kennst du die Frau, die Lotaz genannt wird?«, fragte ich.
Das Sklavenmädchen drehte den Spinnwirtel und arbeitete den Faden länger und länger, ignorierte mich scheinbar.
»Lotaz hat langes, lockiges Haar«, sagte ich. »Und sie macht Farbe auf ihre Lippen und Wangen.«
Ich nahm eine Baumwollkapsel vom Korb, entfernte die Samen und kitzelte ein paar neue Fasern heraus, wie ich es das Mädchen tun gesehen habe. Sie nahm mir die Baumwolle ab und arbeitete sie rasch in ihre Garnlänge. Ich nahm eine weitere Kapsel auf und wir machten uns an die Arbeit, aber sie reagierte zu keiner Zeit auf irgendeines meiner Worte.
»Kannst du hören, was ich sage?«
Keine Antwort.
»Deine Haare stehen in Flammen!«
Sie nahm eine weitere Baumwollkapsel aus meiner Hand, aber sagte nichts.
»Es gibt einen abscheulichen Soldaten, der hierher rennt, um uns in kleine Stückchen zu hacken und uns an die Löwen zu verfüttern!«
Noch immer nicht die geringste Reaktion. Schließlich sagte ich: »Tin tin ban sunia.«
Das Mädchen lächelte. Offenbar konnte sie hören und sie war mit dem, was ich zu ihr gesagt habe, zufrieden, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich gesagt hatte.
Wir fuhren auf diese Weise fort; sie machte Garn, während ich die Baumwolle herauskitzelte und weiter über das Lager, Yzebel, Obolus und meinem Abenteuer mit dem Weinkrug schwatzte. Ich erzählte ihr sogar, dass ich Hannibal gesehen hatte und wie gutaussehend er war.
Ich dachte, sie war ungefähr in meinem Alter, zwölf Sommer, vielleicht ein wenig jünger, gertenschlank und weniger als zwei Pfeile groß. Ihr Teint war dunkler als Zimtpfirsich, mit Augen, die dunkel wie die Nacht im Wald waren. Sie sprach kein Wort und erkannte niemals meine Anwesenheit an, ausgenommen wenn sie die Baumwollkapseln aus meiner Hand nahm und in ihr Garn arbeitete.
Bald hatten wir den Korb mit Baumwolle in drei große Garnknäuel verwandelt. Das Mädchen legte sie in den Korb, hob ihn dann auf und ging an mir vorbei.
»Tin tin ban sunia«, sagte sie.
Soweit ich wusste, konnte es bedeutete haben »Auf Wiedersehen, schön dich zu kennen« oder »Ich bin jetzt fertig, du kannst gehen« oder »Bitte belästige mich nicht wieder.«
Während ich im Schneidersitz auf der quadratischen Matte saß, wo ich während der letzten zwei Garnknäuel gewesen war, starrte ich das Mädchen an, das von mir davonging, fühlte mich verlassen.
Nach ein paar Schritten hielt sie an, schaute zurück und sagte mit einem großen Lächeln: »Tin tin ban sunia.« Sie neigte ihren Kopf in die Richtung, in die sie losgegangen war, als ob sie sagen wollte: »Komm schon. Worauf wartest du?«
Ich sprang auf und rannte, um neben ihr zu gehen. »Tin tin ban sunia?«
Sie deutete den Pfad hinauf und gab mir einen Griff des Korbs, so dass wir ihn zwischen uns trugen. Der Pfad führte einen steilen Anstieg hinauf, wo er sich dann durch einen Kiefernwald auf der dunklen Seite von Steinklopf Hügel wand. Die Zelte und Baracken unterhalb wichen Hütten, die aus Holzstämmen gemacht waren, mit Dächern aus strohgedeckten Zweigen. Es schien, dass wir die ärmere Nachbarschaft verlassen hatten und in eine wohlhabendere gegangen waren.
Die Hütten lagen weit auseinander und niemand schien in der Gegend zu sein. Untenherum ging der Lärm der Aktivität weiter, mit vielen Menschen, die ihren Geschäften nachgingen, aber dort im Wald war alles, was ich hörte, die Brise in den Baumspitzen und ein einsamer Rabe, der in der Ferne krähte.
»Wer lebt dort oben?«
Ich erwartete keine Antwort, aber dachte, dass ich vielleicht etwas aus dem Ausdruck des Mädchens lesen könnte. Das tat ich. Das mühelose Lächeln war verschwunden, ersetzt von einem Ausdruck der Besorgnis.
»Tin tin ban sunia«, flüsterte sie und deutete auf eine kleine Hütte am Ende eines Seitenpfads weit weg von den anderen. Sie war umgeben von großen, dunklen Bäumen.
Die Besorgnis auf dem Gesicht des Mädchens wurde zu einem Ausdruck des Grauens. Ich konnte sehen, dass sie nicht dorthin gehen wollte.
»Lass uns zurückgehen.« Ich deutete den Pfad hinab.
Sie schaute dorthin, wo ich hingezeigt habe, aber trottete dann in Richtung der Hütte. Ich hielt noch immer den gegenüberliegenden Griff des Korbs, also ging ich mit ihr mit, aber ohne jeglichen Eifer.
Als wir in die Nähe der Hütte kamen, öffnete sich die Tür knarrend auf ihren Lederscharnieren und ein abstoßender Ochse eines Mannes kam heraus. Er trug nichts als den unteren Teil einer Tunika, die mit einem Seil unter seinem riesigen Bauch gebunden war, und einem Paar schwarzer Stiefel. Sein zotteliger Kopf saß auf runden Schultern, was es scheinen ließ, als ob er überhaupt keinen Hals hatte. Ich hatte noch nie zuvor so viel Haare auf irgendjemandem gesehen. Sie bedeckten seine Brust, seinen Bauch und das meiste seines Gesichts. Wahrscheinlich auch seinen Rücken, aber ich wollte nicht noch mehr von ihm sehen.
Er nagte das letzte bisschen Fleisch von dem Knochen eines kleinen Tiers und warf ihn zur Seite. »Das ist alles, was du gemacht hast?«, knurrte er das Mädchen an und gestikulierte auf den Korb.
Seine kratzende, raue Stimme rieb über meine Nerven. Etwas Schmieriges lief von seinem Mundwinkel und er spuckte auf den Boden zu meinen Füßen. Er funkelte mich an und wischte sein Kinn mit seinem Handrücken ab.
Das Mädchen und ich drängten uns langsam rückwärts. Ich hatte nie gewusst, dass ein fetter Mann sich so schnell bewegen konnte, aber er trat vor und schwang seine Hand, bevor ich die Gelegenheit hatte mich wegzudrehen. Ich drückte meine Augen fest zu, erwartete zu spüren, dass er mir einen Schlag ins Gesicht verpassen würde, aber er schlug stattdessen das Mädchen. Es war keine Ohrfeige mit offener Hand, sondern ein harter Hieb mit seiner Faust. Der Schlag ließ sie in einen Baum stolpern. Ihr Hinterkopf schlug gegen den Stamm und sie wurde regungslos, fiel zu Boden.
Ich ließ den Korb fallen und rannte zum Mädchen, fiel an ihrer Seite auf meine Knie. Ich rollte sie herüber und schrie auf. Blut lief aus dem Mund und der Nase des Mädchens und ein lilafarbener Bluterguss begann sich auf der Seite ihres Gesichts zu bilden. Ihre Augen waren geschlossen.
»Tin Tin Ban Sunia«, flüsterte ich und nahm sie in meine Arme.
Ich sah den Stiefel des Mannes zu keiner Zeit kommen.
Kapitel Acht
Der schwere Stiefel des fetten Mannes traf mich in die Seite, stieß mich rückwärts auf die Erde. Ich versuchte zu schreien, aber meine Lungen enthielten keinen Atem. Ich kam auf meine Knie und lehnte mich vor, umklammerte meinen Bauch mit beiden Händen, hatte Mühe damit zu atmen. Als er den Arm des Mädchens packte, um sie in Richtung seiner Hütte zu zerren, versuchte ich aufzustehen, aber ein großer Druck krachte gegen meine Brust und ich fiel zurück auf den Boden, rang noch immer nach Atem.
Die Augen des Mädchens öffneten sich flatternd und sie machte einen schwachen Versuch auf ihre Füße zu kommen, aber sie stolperte und fiel, während der Mann sie mitzog. Sie schrie auf und packte einen Pfosten an der Türöffnung mit ihrer freien Hand, aber er hebelte ihre Hand weg, zog sie nach innen und schloss krachend die Tür. Ich hörte dann, wie der hölzerne Bolzen an Ort und Stelle fiel, als er sie verschloss.
* * * * *
Ich wusste nicht, wie lange ich im Schmutz saß und weinte, aber schließlich stand ich auf. Mein Kopf schwamm vor Schwindel, als ich die Blätter und Zweige von den drei Garnknäueln pflückte und sie in den Korb legte. Als ich den Korb neben die Tür stellte, hörte ich nichts vom Inneren. Ich klopfte und wartete auf eine Antwort, aber niemand kam. Ich hämmerte an die Tür und versuchte sie aufzuschieben, aber sie wollte nicht nachgeben.
»Tin Tin Ban Sunia«, flüsterte ich durch einen Spalt im Holz. Niemand antwortete.
Nach einem weiteren Moment ging ich in Richtung des Pfads zurück. Als ich Bostars Zelt erreichte, waren meine Tränen trocken. Ich fühlte mich krank. Es schmerzten nicht nur mein Bauch und meine Seite, ich fühlte mich tief im Inneren verwundet. Es war kein Gefühl, dass ich verstehen konnte. Es verstörte mich, als ob ich etwas falsch gemacht hätte, indem ich dem Mädchen nicht half. Ich wollte nur zu Obolus gehen und mich in diesem weichen Fleck zwischen seinem Kinn und seiner Brust einrollen, wo ich die Nacht zuvor geschlafen hatte.
Ich setzte für Bostar ein Lächeln auf, weil er glücklich zu sein schien mich zu sehen und er sagte, dass er mein Kleid mochte. Er war ein großer Mann wie der oben auf Steinklopf Hügel. Ich gab ihm das Stück Tuch vom Tag zuvor zurück, das ich hinter meinen Gürtel gestopft hatte, und schaute zu, wie er die Brotlaibe auslegte. Sicherlich war er nicht wie der Mann, der Tin Tin Ban Sunia so fest geschlagen hatte.
»Besitzt du …«, krächzte ich heraus, bemerkte nicht, dass meine Stimme mich im Stich gelassen hatte. Ich schluckte und begann noch einmal. »Besitzt du einen Sklaven, Bostar?«
Er runzelte die Stirn und studierte mein Gesicht, bevor er antwortete. »Nein, mein Kind. Ich kann mir keine Sklaven leisten.«
»Wir brauchen heute acht Laibe.«
Ich beobachtete ihn für einen Moment, während er Brot auf das Tuch stapelte. Ich nahm dann zwei Münzen und den Schmuck, die Yzebel mit mir geschickt hatte, und streckte sie ihm hin.
»Was sind die Kosten für einen Sklaven?«, fragte ich.
Bostar las die winzige Goldkette heraus, um sie zu untersuchen. »Ein Sklave würde eine Handvoll von diesen kosten.« Er hielt die kleine Kette am Ende.
»Oh.« Ich legte den restlichen Schmuck wieder in meinen Geldbeutel.
»Warte hier einen Moment.« Er ging ins Innere.
Ich zog die Schnüre meines Geldbeutels fest und hob die Ecken des Bündels hoch, um sie zusammenzubinden, aber er kam mit mehr Brotlaiben heraus.
»Diese Goldkette ist zu viel für acht Laibe. Du bekommst drei mehr, damit sind wir ausgeglichen.«
»Hmm«, sagte ich. »Yzebel hatte Recht.«
»Womit?« Er stapelte die zusätzlichen Laibe auf das Tuch.
Yzebel hatte mir gesagt, dass Bostar ein guter Mann war, ein fairer Händler. Woher wusste sie von Männern? Wie lernt ein Mädchen den Unterschied zwischen Menschen, trennt die Guten von den Bösen?
»Siehst du, wo die Sonne ist, Bostar?«
Er blickte in den Himmel. »Beinahe unten bei den Baumspitzen.«
»Yzebel sagte mir, dass ich zurück bei ihren Tischen sein soll, bevor sie die Baumspitzen erreicht.«
»Dann solltest du dich schleunigst auf den Weg machen, Kleine.« Er band meinen Gürtel im Rücken; er war locker geworden, als ich das Brottuch entfernt habe. »Werde ich dich morgen sehen?«, fragte er.
»Du siehst mich vielleicht für eine lange Zeit jeden Tag.« Ich schaute zu ihm hoch.
»Gut. Das bedeutet, dass die Götter nicht unzufrieden mit mir sind.« Er hielt inne, schaute mich an, fügte dann hinzu: »Noch nicht.«
Ich starrte ihn an, fragte mich, zu welchen Göttern er betete und warum. Dieser Mann auf der Elefanten Straße hatte gesagt, dass die Götter der Unterwelt mich dazu gebracht haben müssen zu versuchen die Elefanten gegen die Führer aufzubringen. Möglicherweise waren dieselben Götter an der Arbeit, als der Mann Tin Tin Ban Sunia verletzt hatte.
»Denk nicht so schwer nach, Kleine. Das ist nur ein bisschen Bäcker-Humor.«
»Bostar?«, fragte ich.
»Ja?«
»Da oben auf Steinklopf Hügel ist ein Mann, der in einer Baracke in den Bäumen lebt. Er ist groß wie du, aber mit Haaren bedeckt. Weißt du von ihm?«
Bostar zog die vier Ecken des Tuchs hoch, um sie über dem Brot zusammenzubinden. »Derjenige, der mit Garn handelt?«
Ich nickte.
»Ich habe von ihm gehört.«
»Er hat ein Sklavenmädchen, das er sehr schlecht behandelt.«
»Ja, man sagt er handelt mit Sklaven.«
»Ich denke, sie ist ein wenig jünger als ich und sehr süß, obwohl sie nicht unsere Sprache spricht.«
»Viele der Sklaven, die nach Karthago gebracht wurden, kommen aus entlegenen Orten, wo sie in merkwürdigen Zungen sprechen.«
»Ich war heute mit ihr dort oben und er hat sie mit seiner Faust geschlagen.«
Bostar hielt seine Hände an, wo sie waren, oben auf dem Bündel.
»Alles, was sie falsch gemacht hat, war es nur drei Garnknäuel für ihn zu machen. Er dachte nicht, dass es genug war, also hat er sie ins Gesicht geschlagen.«
Bostar schüttelte seinen Kopf. »So grausam«, sagte er. »Es gibt niemals einen Grund ein Kind zu schlagen.«
Ich sagte ihm nichts davon, dass der Mann mich in die Seite getreten hatte.
Als ich ihm das Bündel abnahm, legte Bostar seine Hand auf meine Schulter. »Die Kaufleute des Bösen begegnen schließlich der Errettung.«
Ich verstand nicht, was das bedeutete.
Bostar musste den verwirrten Ausdruck auf meinem Gesicht gesehen haben, denn er lächelte und sagte: »Mach dir keine Sorgen, Kind. Und denk daran, die Dinge wenden sich immer zum Besten.«
»Ich werde daran denken, Bostar. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte er, als ich davonging. »Pass auf dich auf.«
* * * * *
Ich wollte nicht an dem Ort vorbeigehen, wo ich früher Tin Tin Ban Sunia getroffen hatte. Ich fragte mich, ob mich ein anderer Pfad auf Umwegen zu Yzebel führen würde, aber ich fühlte mich veranlasst am Zelt des Sklavenmädchens vorbeizugehen. Ich sah einen weiteren Korb Baumwollkapseln auf der kleinen Matte stehen und ihr Spinnwerkzeug lag daneben. Sie war nicht dort und der Ort schien verlassen.
Ein kleines Stück jenseits des Zelts sprach jemand hinter mir. Ich wirbelte herum, verlor beinahe mein Gleichgewicht und die Ladung Brot.
»Du hast mich erschreckt.«
»Es tut mir leid.« Das waren die weichen Worte von Tendao.
Meine Seite schmerzte mehr als zuvor, aber ich wollte niemandem erzählen, was passiert war. Froh über eine Pause, legte ich meine Bürde auf das Gras neben dem Pfad und dachte daran, wie sehr Tendao wie Hannibal schien, nur dass Tendao nicht die Stärke der Autorität besaß, die ich in Hannibal sah. Obolus, obwohl er ein Elefant war, war auch männlich, stärker als jeder von ihnen, aber er bekam Angst vor kleinen Dingen, so wie ich es tat.
»Wirst du für mich zu Lotaz gehen?«, fragte Tendao.
Ich zögerte, wollte sie nicht wiedersehen. Aber ich wusste, dass Tendao Schwierigkeiten hatte mit Menschen zu sprechen und er hatte mir geholfen, also sollte ich nicht einmal darüber nachdenken.
»Selbstverständlich.«
Er streckte mir einen Gegenstand hin. »Das muss vor Sonnenuntergang bei ihr sein.«
Als ich es ihm abnahm, war es viel schwerer als ich erwartet habe. »Was ist das?«
»Das ist unsere Göttin, Tanit. Lotaz will es für ihren Altar.«
Die Figur oben auf dem Objekt war entzückend und anmutig, zwei Hände groß und gemeißelt aus schwarzem Onyx, mit polierten blauen Steinen als Augen. Die zwei Perlen, die Lotaz mir in der Nacht zuvor gegeben hatte, waren jetzt in baumelnde Ohrringe gestaltet worden. Die Göttin Tanit saß auf einem Thron, der auf einer viereckigen Basis stand, alles aus einem einzigen Steinblock gemeißelt.
»Du hast das gemacht?« Ich schaute zu ihm auf.
»Die Bildhauerei des Steins wurde vor ein paar Tagen fertiggestellt. Ich brauchte nur die Perlen, um die Statue zu vervollständigen.«
»Sie ist so schön.« Ich bemerkte einige Worte, die in den Sockel gemeißelt waren. »Du weißt, wie man Worte macht?«
»Ja, ein wenig.«
»Sag mir die Worte.«
»Ich bin Tanit deine Göttin deine Tanit bin ich«, las Tendao.
»Wirst du es mich lehren?«
Tendao betrachtete mich für einen Moment, schaute dann weg, entlang des Pfads. Schließlich wandte er sich wieder mir zu.
»Warum willst du –« Er senkte seine Stimme. »Warum willst du Worte lernen?«
»Ich will über alles lernen. Worte, Elefanten, Menschen.«
»Ich werde es dir lehren, aber du musst versprechen, dass du es niemals jemandem erzählst. Die Priester verbieten es jeder Person außerhalb des Tempels zu wissen, wie man liest und schreibt.« Er deutete zu jeder Gruppe Symbole auf der Statue, während er sie aussprach. »Bemerkst du irgendetwas Unübliches im Muster der Worte?«
Ich inspizierte sie noch einmal, aber verstand nicht. »Es tut mir leid, Tendao. Ich weiß nicht, wie man liest. Ich sehe nur, dass einige Worte wiederholt sind.«
»Du bist gescheiter als du denkst, meine Freundin. Ja, die Worte sind wiederholt.« Er las noch einmal, begann dieses Mal vom linken Ende der Reihe anstatt von rechts, aber es klang exakt wie zuvor. »Siehst du, es liest sich gleich, vorwärts und rückwärts.«
»Das ist erstaunlich, Tendao. Sind alle Worte auf diese Weise geschrieben?«
»Nein, überhaupt nicht.«
Dann erinnerte ich mich an meinen Armreif. »Kannst du das lesen?«
Ich verlagerte die Statue in die Beuge meines rechten Arms und streckte mein linkes Handgelenk aus, so dass er es sehen konnte. Seine Augen wurden groß, während er den Armreif an meinem Handgelenk rotierte, um die feinen Gravuren zu untersuchen.
»Woher hast du das?«
»Einer der Soldaten hat es letzte Nacht auf Yzebels Tischen gelassen. Sie hat es mir gegeben.«
»Das wurde nicht hier oder in Karthago gemacht.« Er untersuchte die andere Seite. »Kein Handwerksmann aus unserer Region kann diese Qualität von Arbeit machen.«
»Kannst du die Worte lesen?«
»Worte?«, fragte er. »Wo?«
»Um den Kreis an der Oberseite, sehr winzige Worte.«
»Ah, ja. Ich sehe sie jetzt. Diese Worte sind unsere, aber der Kunsthandwerker ist nicht aus unserer Mitte.«
»Sag die Worte für mich.«
»Alle Elefanten kehren nach Valdacia zurück«, sagte Tendao.
»Valdacia?«
»Ja, da ist mehr.« Er neigte seinen Kopf, um den Rest zu lesen, fuhr um den Kreis herum fort, von rechts nach links. »Ganz egal, wie weit sie schweifen.«
»Was ist Valdacia?«, fragte ich.
»Ich habe niemals von diesem Ort gehört.«
»Alle Elefanten kehren nach Valdacia zurück«, sagte ich. »Was ist der Rest?«
»Ganz egal, wie weit sie schweifen.«
»Alle Elefanten kehren nach Valdacia zurück, ganz egal, wie weit sie schweifen.« Ich wiederholte die Zeile und zog mein Handgelenk aus seiner Hand, um die Worte selbst zu sehen. Während ich im nachlassenden Licht die Augen zusammenkniff, bemerkte ich plötzlich, dass die Sonne bald wieder vom Himmel verschwunden sein würde. »O nein!«, sagte ich. »Ich muss mich zurück an Yzebels Tische beeilen.«
»Ja«, sagte Tendao. »Es wird spät.«
»Pass auf das Brot auf, während ich mit der Statue zu Lotaz gehe.«
»Werde ich.«
Ich rannte entlang des Pfads, hielt die Statue von Tanit in meinen Armen. Der Schmerz in meiner Seite war beinahe unerträglich, aber ich musste mich beeilen.
Als ich zu Lotaz’ Zelt kam, saß ihr großer Sklave auf dem Teppich, mit seinen Knöcheln verschränkt und Unterarmen auf seinen Knien ruhend. Er stand auf, als ich zum Gehen verlangsamte.
»Also«, sagte er. »Das Elefantenmädchen kommt zurück.«
»Elefantenmädchen?«
»Ich habe gehört, wie du all die Tiere auf der Elefanten Straße in Panik versetzt hast.«
»Ich habe sie nicht in Panik versetzt.«
»Wirklich?« Er grinste und ich konnte sehen, dass er es nicht böse meinte; er neckte mich nur.
»Na ja«, sagte ich, »es gab ein bisschen Aufruhr.«
»Ein bisschen Aufruhr ist manchmal eine gute Sache.«
»Wie wirst du genannt?«
»Ich bin Ardon. Und du?«
»Liada.« Ich mochte Ardon und dachte, dass er vielleicht in der Lage wäre mir zu helfen. »Ich will mit dir über ein Sklavenmädchen sprechen, aber ich muss mich zurück an Yzebels Tische beeilen. Könnte ich das jetzt Lotaz geben? Es ist von Tendao, die Arbeit, die er für einen Krug Rosinenwein versprochen hat.«
»Lotaz ist im Moment nicht hier. Sie ist losgegangen, um sich mit Artivis zu treffen. Von welchem Sklavenmädchen sprichst du?«
»Dasjenige, das aus Baumwolle Garn macht, am Zelt hinten den Weg hoch.« Ich deutete mit einer Neigung meines Kopfs.
»Dasjenige, das ungefähr so hoch ist?« Er streckte seine Hand flach aus, Handfläche nach unten. »Mit dunklen Augen?«
»Ja«, sagte ich.
»Warum fragst du wegen ihr?«
»Bitte, ich muss jetzt gehen. Wirst du dies Lotaz geben, wenn sie zurückkommt?« Ich streckte ihm die Statue hin. »Ich werde morgen von dem Sklavenmädchen sprechen.«
Er nahm die Figur und ich rannte zurück zu Tendao. Ich erzählte ihm davon, dass Lotaz nicht da war.
»Sie ist zu jemandem gegangen, der Artis genannt wird.«
Tendao schien von diesen Neuigkeiten überrascht. »Wolltest du eigentlich ›Artivis‹ sagen?«
»Ja, Artivis. Ihr Sklave sagte, Lotaz ist losgegangen, um sich mit ihm zu treffen.«
»Ich muss gehen.«
Er eilte den Pfad entlang davon.
* * * * *
Als ich mit ihren Brotlaiben an Yzebels Tischen ankam, war es Sonnenuntergang, aber noch immer Dämmerung. Keiner der Soldaten war bisher angekommen.
»Du hast eine große Ladung zu tragen«, sagte sie, als ich mein Bündel auf den Tisch legte.
»Ja, Bostar gab uns elf Laibe für die eine kleine Kette.« Ich reichte ihr den Geldbeutel, dann, ohne nachzudenken, presste ich meine Hand an meine rechte Seite.
»Warum hältst du derart deine Seite?«
»Oh«, sagte ich, nahm meine Hand weg, um das Bündel mit Brot aufzubinden. »Es ist nichts.«
Wenn ich ihr sagte, was mit dem fetten Mann auf Steinklopf Hügel geschehen war, würde sie mich vielleicht nicht weiterhin auf Botengänge schicken. Oder sie würde vielleicht darauf bestehen, dass Jabnet mit mir ginge. Ich wollte ihr beweisen, dass ich allein arbeiten und nicht wieder in Schwierigkeiten geraten konnte.
Yzebel öffnete den Geldbeutel und schüttete die verbliebenen Kupfermünzen und ein Paar Ohrringe in ihre Handflächen. Sie lächelte.
»Das hast du gut gemacht mit Bostar.« Sie brachte die Gegenstände zurück in ihren Geldbeutel und zog die Kordel fest. »Jetzt lass uns an die Arbeit gehen. Die Soldaten werden bald hier sein.«
Jabnet hatte das Schwein auf einem Spieß über einem zweiten Feuer, also machte ich mich an die Arbeit mit den Lampen. Als sie alle angezündet waren, schnitt ich gelbe Melonen und höhlte die Samen aus, fühlte mich sehr erleichtert, dass Yzebel nicht gefragt hatte, warum ich so lange gebraucht habe, um das Brot zu holen.
»Bitte schäle diese Erdnüsse für mich«, sagte sie zu mir von hinter dem Feuer, wo sie Karotten in den Eintopf schnitt. »Stelle eine volle Schüssel auf jeden Tisch und sprenkle Salz darauf. Aber nur ein wenig. Salz ist kostbar, bis der nächste Ochsenkarren durch die Wüste kommt.«
Ich machte die Erdnüsse fertig und stellte acht leere Tonschüsseln auf jeden Tisch, zusammen mit Holzlöffeln – als ob die Männer diese jemals benutzen würden.
Gerade nach Einbruch der Dunkelheit kamen zwei Männer an und verlangten gespeist zu werden. Ich füllte deren Schüsseln mit Eintopf und servierte Melonenscheiben zusammen mit kleinen Brotstücken. Mehr Männer kamen und bald waren alle Tische besetzt. Ich eilte mit den saftigen, dicken Scheiben Schweinefleischs, die Yzebel vom Spieß abgeschnitten hat,von einem Soldaten zum nächsten.
»Wird Hannibal heute Abend kommen?«, fragte ich, als ich eine Schüssel ausstreckte, um eine Scheibe aufzufangen, die Yzebel vom Knochen schnitt.
»Nein. Er nimmt sein Abendbrot wahrscheinlich mit dieser Frau, Lotaz, ein.«
Ich blickte zu ihr hoch. ›Diese Frau‹? Was meinte sie? Und hörte ich einen Hauch von Gift in Yzebels Worten, als ob Lotaz eine andere Art von Wesen als sie war?
Gerade als ich fragen wollte, was sie meinte, brüllte ein hungriger Mann nach mehr Fleisch.
Die ganze Nacht lang kamen und gingen die Soldaten. Ich suchte nach Hannibal, aber er kam in dieser Nacht nicht. Schließlich blieben nur noch drei Männer an den Tischen. Sie ließen sich mit ihrem Essen und Trinkenlange Zeit, sprachen über eine große Expedition nach Gadir in Iberien, die vorbereitet wurde. Ich wusste nichts von Iberien, also beschloss ich später Yzebel deswegen zu fragen.
Irgendwann nach Mitternacht gingen die drei letzten Männer weg. Yzebel, Jabnet und ich begannen dann die Tische zu säubern.
»Na ja«, sagte Yzebel, »zumindest haben sie uns heute Nacht ein wenig Essen gelassen.«
Wir sammelten die Münzen und den Schmuck von den Tischen ein, dann setzten wir drei uns hin, um unser Abendessen zu uns zu nehmen.
»Wo ist Iberien?«, fragte ich Yzebel.
Bevor sie antworten konnte, kamen vier betrunkene Männer den Pfad entlang, torkelten auf uns zu.
»Aha!«, brüllte einer von ihnen. »Schaut euch das an, meine Freunde. Es ist das Elefantenmädchen selbst.« Er deutete auf mich und lachte. »Lasst uns nach dem mächtigen Obolus rufen und sie wird ihn zur Unterhaltung heute Abend über die Tische tanzen lassen.«
Ich erkannte den widerlichen Mann wieder. Er war die letzte Person, die ich jemals sehen wollte.
Kapitel Neun
Die vier Soldaten stolperten zu einem Tisch und fielen auf die Bänke. Sie stießen eine Lampe um und das flammende Öl breitete sich rasch über dem Tisch aus, entzündete ein kleines Feuer und ließ sie in einen Lachanfall ausbrechen. Jabnet wich zurück und ich tat es auch, wusste nicht, was ich tun sollte.
Yzebel entfernte ihre zerlumpte Schürze und erstickte die Flammen. Die Männer applaudiertem ihrem geistreichen Trick, hämmerten dann auf den Tisch nach Essen und Trinken.
Jabnet ersetzte die umgestürzte Lampe und gab ihnen die letzten drei Schüsseln Essen. Als ich eine leere Schüssel zum Tisch für den vierten Mann brachte, um etwas des Essens zu teilen, hatten sie bereits das verschlungen, was unser Abendessen hätte sein sollen.
»Aufgepasst!«, schrie der Mann, den ich wiedererkannt hatte. »Das hässliche Elefantenmädchen wird uns zu Fall bringen, wie sie es mit allen Biestern des Walds tut.«
Seine Freunde fanden seine Bemerkung sehr originell und offenkundig dachte Jabnet auch, dass es witzig war, weil er hinter meinem Rücken lachte. Der großmäulige Soldat war derselbe, der sich über mich lustig gemacht hat, als Obolus mich aus dem Fluss zog. Seine grauen Knopfaugen lagen zu nahe beieinander zu einer verdrehten Nase und seine wenigen verbliebenen Zähne waren schief, kaputt und gelb. Sein Haar ähnelte einer wirren Masse toten Unkrauts und ich fragte mich, warum es nicht wie sein zotteliger Bart war. Ich mochte ihn oder seine Freunde nicht und wünschte, dass er mich nicht »Elefantenmädchen« nennen würde.
Ich wusste, dass es weiser gewesen wäre wegzugehen, aber stattdessen schenkte ich ihm meinen fiesesten Blick. Er lachte mich einfach weiter aus.
»Oh-oh«, sagte einer der anderen Soldaten. Die drei mittleren Finger seiner linken Hand waren abgehackt worden, was nur seinen Daumen und kleinen Finger ließ, welche er wie eine Krabbe benutzte. »Sei vorsichtig, Sakul, sie wirft dir den bösen Blick zu.« Er klickte mit seinen Krabbenfingern in meine Richtung.
Mehr Gelächter. Ich stand so nahe bei Sakul, dass sein fauler Geruch mir schlecht werden ließ. Er konnte sich einfach ausstrecken und mich ohrfeigen oder mit seiner Faust umhauen, genau wie der fette Mann es Tin Tin Ban Sunia angetan hatte. Andererseits könnte ich ihn ebenfalls schlagen oder sein Gesicht zerkratzen und das würde ich vielleicht, wenn er nicht die Klappe hielt. Meine Hände waren so fest verkrampft, dass ich spürte, wie meine Fingernägel in meine Handflächen schnitten.
»Liada!«, rief Yzebel von der Kochstelle. »Komm und hilf mir.«
Ich starrte in Sakuls Wieselaugen, bemerkte, dass sie seicht und wässrig waren, genau wie sein benebeltes Gehirn.
Nachdem ich den Tisch verließ, hörte ich einen der Männer sagen: »Du bist knapp mit deinem Leben davongekommen, Sakul.«
»Schneid diese letzten zwei Melonen für sie auf«, sagte Yzebel. »Und ich werde sehen, ob ich ein wenig mehr Fleisch von den Knochen des armen Schweins schneiden kann.«
Ich hob ein Messer von der Kochstelle auf. »Wir geben ihnen keinen Wein. Sie hatten genug.«
Jabnet kicherte und ging zu einem anderen Tisch, brachte einen frischen Krug mit Rosinenwein und vier Trinkschalen zu den Männern.
Ich schob mein Messer in eine fette Melone, um sie aufzuschneiden. Nachdem ich die Samen ausgehöhlt und sie auf die Erde geworfen hatte, stach ich auf eine weitere ein.
»Liada«, sagte Yzebel mit leiser Stimme. Ich blickte sie an. »Ich glaube, diese Melonen sind bereits tot«, sagte sie und schenkte mir ein Zwinkern.
Ja, ich hatte eine Schweinerei aus ihnen gemacht. Ich brachte die vier gelben Hälften zum Tisch, hackte sie in Stücke und warf sie in den Freiraum zwischen die Männer. Sie schienen Freude daran zu haben wie Tiere gefüttert zu werden, konkurrierten miteinander, um zu sehen, wer die ekelhaftesten Geräusche machen konnte. Möglicherweise würde ein Trog auf dem Boden besser zu ihren Essgewohnheiten passen.
»Es ist nicht mehr viel übrig, Jungs.« Yzebel hob Scheiben des gerösteten Schweins mit ihren Fingern hoch und ließ das Fleisch in ihre Schüsseln fallen. »Ihr seid ein bisschen spät zum Abendbrot gekommen.«
Als sie sich über das Ende des Tischs beugte, um nach einer Schüssel zu greifen, legte Sakul seine Hand auf ihre Seite. »Dein ausgezeichnetes Essen ist nicht die einzige Sache, die den Appetit eines Mannes speist.«
Yzebel richtete sich auf und ich dachte, sie zog ihre Hand zurück, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen, aber sie steckte nur eine verirrte Haarlocke hinter ihr Ohr. Zu meiner Überraschung schenkte sie ihm ein süßes Lächeln.
»Sakul«, sagte Yzebel, »ich dachte dein einziges Vergnügen läge darin den Speer zu werfen und wehrlose Dörfer zu plündern?«
Zwei seiner Kameraden brachen in Gelächter aus und nach einem Moment begriff auch der Krabbenhändige und schloss sich ihnen in der Ausgelassenheit an, winkte mit seiner deformierten Hand, als ob er nach Fliegen in der Luft schnappte.
»Den Speer zu werfen ist in Ordnung«, sagte Sakul, »aber das ist nicht mein einziges Talent.«
Das brachte Gemurmel der Bewunderung von seinen Mitsoldaten, dann schnaubendes Gelächter.
Ich fand nichts an seiner Bemerkung lustig. Ich schaute zu Jabnet, während er mit den betrunkenen Männern mitlachte, offensichtlich vorgab das Geplänkel der Erwachsenen zu verstehen.
»Liada«, sagte Yzebel. »Bring diesen feinen Schaftmännern einen Laib Brot.« Sie lächelte Sakul einmal mehr an, überließ sie dann deren Mahlzeit.
Als ich das Brot auf ihren Tisch fallen ließ, packte Sakul mein Handgelenk und verdrehte es, zwang mich auf die Knie. Ich biss die Zähne zusammen und starrte zu ihm hoch, weigerte mich aufzuschreien.
»Sogar ein unwissendes Sklavenmädchen weiß genug, um das Brot eines Mannes zu schneiden«, knurrte er. »Ich sollte dir dein –«
»Genug, Sakul!« Yzebel eilte zurück an den Tisch. »Lass sie los.«
Sakul drehte sich, um Yzebel anzuschauen, die ihn anfunkelte, während sie nah bei ihm stand. Ihre rechte Hand war hinter ihm außer Sicht. Nach einem Moment grinste er und ließ mein Handgelenk los, schob mich rückwärts in den Schmutz.
»Weißt du von Tashid und Glotel?«, fragte Yzebel ihn.
Ich stand auf und rieb hinter meinem Rücken mein Handgelenk, trat dann zu Yzebel hinüber.
»Ja«, sagte Sakul. »Ich kenne diese zwei Melonenköpfe.« Er behielt seine Augen auf mir. »Sie sind nichtsnutzige Pfeilschleuderer von der zweiten Truppe.«
»Und wo nehmen sie ihr Abendbrot zu sich?«
»An Sojas Tischen, schätze ich.«
»Was gibt Soja ihnen zu essen?«, fragte Yzebel.
»Getrocknetes Pferdefleisch und altes Brot.« Sakul schaute in seine Schüssel mit zartem gebratenem Ferkel. »Dasselbe, das jeder bekommt, wenn sie an ihre Scheunen-Tische gehen.«
»Gibt sie ihnen jemals Lammeintopf?«
»Nein.«
»Und was zu trinken?«
»Diesen schrecklichen Feigenessig, den sie Wein nennt.«
»Ja«, sagte Yzebel. »Diese zwei Schleuderer sind nicht länger an meinen Tischen willkommen, weil sie zänkisch, gemein und obszön und beleidigend sind. Dein Name könnte der Liste hinzugefügt werden, wenn du noch einmal Hand an meine Kinder anlegst oder sie wie Sklaven behandelst.«
Sakul murmelte etwas und nahm einen Schluck von seinem Wein.
»Du kannst mich behandeln, wie es dir gefällt, aber rühr meine Kinder nicht an«, fuhr Yzebel fort, legte ihre freie Hand auf meine Schulter. »Verstehst du mich, Sakul?«
Er donnerte seine leere Trinkschale auf den Tisch und hob den Brotlaib auf. »Selbstverständlich.« Er reichte mir den Laib. »Nun, wird das herzallerliebste kleine Elefantenmädchen bitte mein Brot schneiden?«
Sein Tonfall war ein bisschen zu süß, aber ich nahm den Laib und begann in Richtung der Kochstelle zu gehen, um ein Messer zu holen.
Yzebel hielt mich auf. »Hier«, sagte sie, reichte mir das Messer, dass sie in Sakuls Rücken gehalten hatte.
Seine Augen wurden beim Anblick des Messers, das hinter ihm zum Vorschein kam, groß, aber dann lachte er und klatschte auf den Tisch, was die Schüsseln und Lampe auf den Holzplanken hüpfen ließ.
»Yzebel!«, schrie er. »Du musst dich mir auf unserem nächsten Schlachtfeld anschließen. Wir könnten da draußen zusammen eine nette Zeit haben.«
»Ja, Sakul. Sobald du kochen lernst, soll ich lernen Menschen zu töten.«
Das erschien den Männern komisch, aber ich dachte nicht, dass sie es als Witz meinte.
Yzebel ging zurück zur Kochstelle.
Nachdem ich das Brot geschnitten habe, begann ich die Tische zu säubern, blieb weg von den Männern.
Als Sakul nach einer weiteren Schüssel rief, zusammen mit einer brennenden Kohle vom Feuer, schaute ich zu Yzebel, die mir zunickte es zu tun. Ich benutzte einen Stock, um eine glühende Kohle aus dem Feuer und in die Schüsselzu arbeiten, fragte mich, was er vorhatte. Ich brachte sie ans Tischende, legte sie ab und ließ sie zu Sakul rutschen. Er schenkte mir ein wölfisches Grinsen, griff dann nach der Schüssel, band einen Beutel von seinem Gürtel auf und nahm eine Handvoll getrockneter Blätter heraus, welche er in die Schüssel über die heiße Kohle krümelte, während seine Freunde mit wachsendem Interesse zusahen. Er hob dann die Schüssel an seine Lippen und blies sanft, bis ein dicker grauer Rauch in die Luft waberte. Sakul atmete den Rauch tief ein und schloss seine Augen. Nachdem er für einen Moment den Atem angehalten hat, öffnete er seine Augen und reichte die Schüssel über den Tisch an einen seiner Kumpane. Der andere Mann wiederholte das Ritual, dann streckte der Dritte seine Hand nach der Schüssel aus.
Ich bekam eine Duftwolke des Rauchs ab; es roch wie ein totes Tier. Ich spürte, wie mein Magen schlingerte und ich musste weg. Ich ging dazu zurück Tische zu säubern, während die Männer bei jeder närrischen Sache, die einer von ihnen sagte, kicherten und lachten.
Ich ertrug den ausgelassenen Klamauk, bis das Essen und der Wein ausgingen. Schließlich erhoben sie sich vom Tisch und torkelten davon. Ich hörte Sakul etwas davon sagen Lotaz einen Besuch abzustatten. Seine drei Freunde stimmten enthusiastisch zu.
Nachdem das Geräusch ihrer Stimmen entlang des Pfads erstarb, ging Yzebel ins Zelt und ich sammelte die Gegenstände ein, welche die vier Männer als Bezahlung für ihr Abendbrot hinterlassen hatten. Es war nicht viel; eine kleine Silbermünze, eine Goldkette mit einem baumelnden blauen Stein und drei Kupfermünzen. Ich fügte sie dem Rest des nächtlichen Einkommens auf dem ersten Tisch hinzu.
»Schau, was ich habe«, sagte Yzebel, als sie aus dem Zelt kam.
Ich drehte mich um und meine Augen wurden bei dem Anblick groß. »Du hast einen Laib Brot gerettet.«
»Ja«, sagte Yzebel mit einem Lächeln. »Genau wie du es letzte Nacht getan hast.«
Wir genossen es unser Brot in Frieden zu essen, während wir die Gegenstände durchsahen, die auf den Tischen gelassen wurden.
»Was war dieses schreckliche Zeug, das Sakul in seiner Schüssel verbrannt hat?«, fragte ich Yzebel.
»Blätter der Hanfpflanze. Der Rauch lässt Männer betrunkener sein als der Wein es tut.«
»Mirwurde schlecht davon.«
Jabnet zeigte mit seinem Kinn in meine Richtung und sagte zu Yzebel. »Sie ist nicht dein Kind.«
Ich starrte ihn an, versuchte zu ergründen, was er meinte. Dann erinnerte ich mich daran, dass Yzebel Sakul gesagt hatte seine Hände von ihren Kindern zu lassen.
Yzebel runzelte ihre Stirn und studierte das Gesicht ihres Sohns für einen Moment. »Sie ist meins, wenn sie das sein will.« Sie zwinkerte mir zu.
Ich grinste und nickte, nahm einen weiteren Bissen von meinem Brot. Jabnet konnte meinetwegen den ganzen Haufen Münzen und Schmuck haben; Yzebel hatte mir gerade etwas viel Wertvolleres gegeben.
Wir beendeten unser mageres Abendessen, dann ging der mürrische Jabnet ins Bett, ohne seiner Mutter auch nur gute Nacht zu sagen.
»Gute Nacht, Jabnet«, flüsterte sie, als sie eine kleine Münze aufhob, sie dann wieder auf den Tisch fallen ließ.
»Wer hat das dagelassen?«, fragte sie, hielt ein Schmuckstück hoch, so dass ich es sehen konnte.
»Sakul.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Bring die Lampe näher. Ich will etwas sehen.«
Ich rückte die Lampe hinüber zu Yzebel und sie ließ die Goldkette mit einem kleinen blauen Stein vor der Flamme baumeln. Sie lächelte und bewegte sie langsam herum, so dass sie zwischen mir und dem flackernden Licht kam.
»Yzebel!«, rief ich. »Ein Stern!«
Sie lächelte.
»Ein perfekter Stern«, sagte ich und zählte mit meinem Finger. »Sechs Spitzen, die davon ausgehen.« Da das Licht durch ihn hindurchging, wurde der blassblaue Stein zu einem brillanten Blaugrün, wie Wasser und Himmel vermischt. »Es ist ein Sternsaphir, aus dem entlegenen Osten, dieselben Länder, wo die Gewürze herkommen. Das ist ein sehr kostbarer Stein.«
Yzebel starrte mich an, offenkundig durch meine Worte überrascht. Ich blickte von ihr zum Stein und wieder zurück.
»Woher um alles in der Welt weißt du das?«, fragte sie, studierte den Saphir.
Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte meinen Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Es kam einfach von selbst aus meinem Mund.«
»Eine Sache ist sicher, du hast zuvor einen Stein wie diesen gesehen.«
»Ja, aber wo?«
»Du kennst den Stein beim Namen, woher er kam und etwas über seinen Wert.«
Ich nickte, aber ich war verblüfft. »Dieser Ochsenkopf Sakul, er wusste nicht einmal, was er hatte.«
Yzebel zeigte mir eine gehobene Augenbraue. »Denkst du nicht?«
»Ich bezweifle, dass er einen Saphir von einem Schweineknöchel unterscheiden könnte. Er dachte, er hat uns ein wertloses Kinkerlitzchen hinterlassen.«
»Möglicherweise gab er uns seinen wertvollsten Besitz.«
Ich zeigte Yzebel eine gehobene Augenbraue, was sie zum Lachen brachte.
»Morgen«, sagte sie, »werden wir zu Bostar gehen und sehen, was er darüber denkt.«
»Ja, er würde uns vielleicht zwanzig Laibe für diesen Saphir geben.«
»Ha! Wenn es ein Sternsaphir ist, wie du sagst, wird er vielleicht seine ganze Bäckerei dafür eintauschen. Öfen, Tische, Ochsenkarren, Zelt und alles.«
»Wirklich?« Ich dachte einen Moment darüber nach. »Dann könnten wir unser eigenes Brot backen und die Laibe für Baumwolle eintauschen.«
»Baumwolle? Warum Baumwolle?«
»So dass wir es zu Garn spinnen können.«
»Ich weiß nichts davon Garn zu spinnen. Du?«
»Ich könnte es lernen.«
»Lass uns herausfinden, was dieser kleine Stein wert ist, bevor wir Brot backen und Garn spinnen gehen«, sagte sie.
* * * * *
In dieser Nacht wartete ich, um sicher zu sein, dass Yzebel fest schlief, bevor ich davonschlüpfte.
Als ich zum Zelt des Sklavenmädchens kam, waren der Korb mit Baumwolle und ihr Spinnwerkzeug verschwunden. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, gut oder schlecht, aber etwas war passiert, seit ich mit meiner Ladung Brot vor Sonnenuntergang vorbeigegangen war.
Ich brauchte nur einen Moment, um zu entscheiden, was ich tun sollte. Mit meiner Hand an meiner Seite rannte ich den Pfad entlang, der zur Seite vom Steinklopf Hügel und in die Wälder führte. Ich folgte dem Weg, wie Tin Tin Ban Sunia und ich es mit dem Korb mit Garngetan hatten, kam schließlich zu dem Weg, der zu der abgeschiedenen Hütte führte, wo der haarige, fette Mann lebte.
Das Mondlicht warf schwarze Schatten entlang des Pfads. Ich rannte zu einem der Bäume und presste mich an den Stamm, versteckte mich dort, um die Hütte zu beobachten. Die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren ein bellender Hund irgendwo im Hauptlager und mein Atem, der in kurzen Stößen kam. Nichts bewegte sich irgendwo. Ich rannte zu einem weiteren Baum, der näher an der Vordertür war, und blieb absolut bewegungslos, lauschte. Nichts, nicht ein Geräusch von innen.
Ich rannte zu der Seite der Hütte und kroch zu einem Fenster hoch, aber es war versperrt. Nach einem Moment machte ich mich auf den Weg zur Rückseite der Hütte und fand ein weiteres Fenster, bei dem die Läden offen waren. Ich bewegte mich langsam zur Kante des Fensters hoch, um ins Innere zu spähen, aber sah noch immer nichts. Ich drückte mich flach gegen die Wand und lauschte. Ich hörte ein schwaches Geräusch, wie schweres Atmen, aber vielleicht war es nur mein eigener abgehackter Atem und mein hämmerndes Herz.
Wäre ich mutiger gewesen, wäre ich ins Innere geschlüpft und hätte versucht Tin Tin Ban Sunia im Dunkeln zu finden, aber ich hätte vielleicht nur darin Erfolg gehabt sie wieder verprügeln zu lassen.
Ich rannte von einem Baumschatten zum nächsten und erreichte den Pfad und ging wieder mit einem schweren Herzen zurück zum Lager.
* * * * *
Auf der Elefanten Straße fand ich Obolus im Mondlicht Heu mampfend vor.
»Hallo, Obolus.«
Er schien mich nicht zu bemerken, da er nach mehr Heu griff. Dass er sich mit mir in der Nähe behaglich fühlte, war ein gutes Zeichen. Und ich wusste, was ihn erfreuen würde.
»Ich werde gleich zurück sein.«
Ich schaute den Pfad hoch und herunter, um sicher zu sein, dass niemand in der Nähe war, rannte dann über den Weg, um eine riesige grün-gestreifte Melone zu holen. Sie war so groß, dass ich sie kaum tragen konnte.
Als ich zu Obolus zurückkehrte, hob er seinen Rüssel an und öffnete seinen Mund, aber die Melone war zu schwer für mich, als dass ich sie anheben konnte. Ich dachte daran sie auf den Boden fallen zu lassen, um sie aufzubrechen, und ihm ein Stück nach dem anderen zu geben, aber dann würde er etwas der Säfte verlieren, die er so gerne mochte. Ich hob die Melone und dieses Mal kringelte sich dein Rüssel darunter und zusammen schoben wir sie in seinen Mund. Er kippte seinen Kopf zurück, zerdrückte die Melone wie ein großes Ei. Nachdem er sie zu Ende gegessen hatte, streifte er seinen Rüssel gegen mich, warf mich beinahe um.
»Obolus«, sagte sich lachend. »Du schubst mich besser nicht herum.«
Ich packte seinen Stoßzahn mit beiden Händen, zog so fest daran, wie ich konnte. Er riss seinen Kopf nach oben, hob mich hoch vom Boden. Ich kreischte vor Lachen und er senkte mich behutsam auf den Boden.
»Ich wünschte, ich könnte auf deinen Kopf klettern und auf deinem Rücken reiten, so wie es die Mahuts tun.« Ich tätschelte die Seite seines Gesichts. »Und warum schläfst du nicht? Es ist sehr spät, weißt du.«
Als er nach mehr Heu griff, ging ich zur anderen Seite seines Heuhaufens herum und hob ein klotzartiges Objekt hoch. »Was ist das, Obolus?«
Ich hielt es hoch, so dass er es sehen konnte. Es war eine Art verdichteter Block, der Karotten, Datteln und Oliven enthielt, zusammen mit anderem grünen und gelben Gemüse.
Obolus ließ sein Heu fallen und griff nach dem Klotz. Er legte ihn in seinen Mund, zerbröselte ihn und schluckte.
»Nun ja, ich hoffe, dass das etwas war, dass du essen solltest.«
Was auch immer der Klotz war, er schien seinen Hunger zufriedenzustellen, denn er kniete sich auf seine vorderen Knie, senkte seine Hinterbacken und rollte sich vorsichtig auf seine Seite.
»Jetzt sehe ich, dass du endlich etwas Ruhe bekommst.« Ich schnappte mir einen Armvoll Heu und ließ es vor seiner Brust auf den Boden fallen, dann kringelte er seinen Rüssel hinein. »Nein!« Ich zog seinen Rüssel weg. »Das ist mein Bett, das du zu essen versuchst.«
Ich breitete das Heu aus und krabbelte hinein, legte meinen Kopf auf seinen eingerollten Rüssel. Er schnaubte einen beträchtlichen Seufzer und ich wusste, dass er bald schlafen würde. Ich rollte mich auf meine Seite und schloss meine Augen.
Irgendwann später in dieser Nacht wurde ich aufgeschreckt – jemand bewegte sich neben mir im Heu!
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