Mattes Blut
Amy Blankenship
Als eine Werwölfin hatte Jade schon immer den Eindruck gehabt, dass alle Alpha-Männer einfach nur selbst-verliebte, mordende, Macho-Tyrannen sind, die die Mitglieder des Rudels nur als Trittsteine benutzen, um selbst zum König der Sippe zu werden. Sie musste es wissen. Ihr Bruder, ihr Verlobter und ihr Geiselnehmer waren alle Alphas der ärgsten Sorte. Nachdem sie alle Beweise hatte, die sie brauchte, um zu wissen, dass Alphas nichts Gutes bedeuteten, schwor Jade sich, dass sie niemals einem Werwolf, welcher Art auch immer vertrauen würde… und sich schon gar nicht in einen verlieben wollte. Es wird schwierig, diesen Schwur zu befolgen, als sie von einem blonden, blauäugigen Alphamann gerettet wird, der den Körper eines Griechischen Gottes hat. Egal wie engagiert sie auch kämpft, Jade fürchtet sich vor diesem einen Alphamann, gegen den sie verlieren wird.
Table of Contents
Kapitel 1 (#ulink_3ce4115c-d06d-5751-9e4a-ac58990cb71f)
Kapitel 2 (#ulink_39068266-fbf7-5314-9e27-8b577db64d5c)
Kapitel 3 (#ulink_dcb4561e-b8f3-542d-84c2-12c203f92156)
Kapitel 4 (#ulink_417a02b6-c392-5be3-a9cf-26fa34ece2bc)
Kapitel 5 (#ulink_085796dc-85ad-538f-b438-451dbe968ddd)
Kapitel 6 (#litres_trial_promo)
Kapitel 7 (#litres_trial_promo)
Kapitel 8 (#litres_trial_promo)
Kapitel 9 (#litres_trial_promo)
Kapitel 10 (#litres_trial_promo)
Kapitel 11 (#litres_trial_promo)
Kapitel 12 (#litres_trial_promo)
Kapitel 13 (#litres_trial_promo)
Kapitel 14 (#litres_trial_promo)
Kapitel 15 (#litres_trial_promo)
Kapitel 16 (#litres_trial_promo)
Mattes Blut
Blutsbündnis-Serie Buch 10
Amy Blankenship, RK Melton
Translated by Martina Hillbrand (https://www.traduzionelibri.it/profilo_pubblico.asp?GUID=fed007dfaf061d98c1cfff6a25035574&caller=traduzioni)
Copyright © 2012 Amy Blankenship
Zweite Auflage herausgegeben von Amy Blankenship
Ins Deutsche übersetzt von Martina Hillbrand
Alle Rechte vorbehalten.
Kapitel 1
Vor elf Jahren… LA, der Hogo-Schrein.
Tasuki lauschte der Stille des Hauses und langsam trieb sie ihn in den Wahnsinn. Er könnte jetzt auch nicht schlafen, wenn sein Leben daran hängen würde. Er kletterte aus seinem Bett und schaltete das Licht an, sodass er das Bild sehen konnte, das er in den Rahmen des Spiegels seiner Kommode gesteckt hatte. Es war das Bild der Schwester seines besten Freundes, das er genommen hatte, als niemand hingeschaut hatte.
Das Foto war perfekt, hatte festgehalten, wie das Sonnenlicht ihre schönen, smaragdgrünen Augen beleuchtete. An dem Tag, wo es aufgenommen worden war, musste es windig gewesen sein, denn es schien, als würde ihr Haar sich wie ein Rahmen um ihr süßes Gesicht ausbreiten.
Er hatte sich nie eine Freundin gewünscht, aber das kleine Mädchen, das ihn aus dem Foto ansah, war das Einzige, woran er im Moment denken konnte. Während er die Hand nach dem Bild ausstreckte, hielt er plötzlich inne, als er etwas Weißes im Hintergrund seines Spiegelbildes sah, das sich bewegte. Er drehte sich um und ging zum Fenster, um zum Haus der Nachbarn hinüberzusehen.
Er runzelte die Stirn, als er Kyoko erkannte, die ein weißes Nachthemd trug und auf ihrem Balkon stand. Was machte sie um diese Uhrzeit draußen? Tasuki öffnete vorsichtig das Fenster, wobei er hoffte, dass es nicht quietschen und seinen Vater aufwecken würde. Er stöhnte, als es auf halbem Wege stecken blieb, und er es mit Gewalt nach oben schieben musste, sodass es sich schließlich mit einem lauten Knall ganz öffnete.
Kyoko trat hinaus auf den kleinen Holzbalkon, der an ihr Schlafzimmer im oberen Stock grenzte. Die kühle Nachtluft fühlte sich angenehm an, als sie mit dem unteren Rand ihres knielangen Nachthemds spielte, und ihr nussbraunes Haar aus ihrem Gesicht blies. Smaragdgrüne Augen starrten hoch in den Sternenhimmel und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das nur ein glückliches Mädchen zustande brachte.
Es war schon fast Mitternacht, aber sie konnte nicht schlafen. Sie war zu aufgeregt. Es war fast ihr Geburtstag und dann würde sie zehn Jahre alt sein. All ihre Freunde aus der Schule würden zu ihrer Party kommen, sogar einige Freunde ihres Bruders Tama. Tama war ein Jahr jünger als sie, aber schon so viel größer. Doch sie war nicht eifersüchtig, sie liebte ihren Bruder über alles.
Tama hatte sie letztens verteidigt, als sie auf dem Heimweg von der Schule gewesen waren. Einige der Jungen aus der Schule hatten begonnen, sich über sie lustig zu machen, weil sie behaupteten, dass sie von einem verrückten alten Mann erzogen wurde, der jedem erzählte, dass es Dämonen wirklich gab. Einer der Jungen war sogar so weit gegangen, dass er behauptet hatte, dass er gehört hatte, wie sein Vater seiner Mutter erzählt hatte, dass die Leute aus dem Irrenhaus ihren Großvater mit einer Zwangsjacke holen kommen würden.
Kyoko hatte ihre Schultasche zu Boden geworfen und war auf den Jungen losgegangen, der solche Lügen erzählte. Er war ein böser Junge, dieser Yohji!
Die gemeinen Kinder hatten keine Chance gehabt, als Tama und Tasuki plötzlich aufgetaucht waren. Tasuki hatte sie von dem anderen Jungen weggezogen und sich zwischen sie und ihren Gegner gestellt, während Tama einen dicken Ast vom Boden aufgehoben und ihn wie einen Baseballschläger gehalten hatte.
Yohji hatte nur gelacht, wollte vor seinen Freunden gut aussehen und hatte Tama beschuldigt, dass er ebenso verrückt wäre, wie seine Schwester. Tama hatte ihm mit dem Ast auf den Arm geschlagen, sodass Yohji sich den Ellbogen hielt und vor Schmerz auf die Knie sank.
Als Yohjis großer Bruder ankam, um es Tama zurückzuzahlen, zögerte Tasuki keine Sekunde und schleuderte den größeren Jungen rückwärts gegen dessen Bruder. Kyoko hatte gedacht, dass der Kampf vorbei war, und war froh gewesen... aber Tama war noch nicht zufrieden.
Ihr Bruder hatte sich zu Tasuki umgedreht und geschrien: „Ich bin ihr Beschützer… ich! Nicht du!“
Kyoko kicherte über die Erinnerung an den wütenden Ausdruck auf Tasukis Gesicht. Es war dieser Ausdruck gewesen, der den bösen Jungs erst richtig Angst gemacht hatte. Sie hatte einschreiten müssen, um den Streit zwischen ihrem Bruder und Tasuki zu schlichten, ehe es alles vorbei war. Sie waren doch beste Freunde, um Himmels Willen, und es war einfach falsch, anzusehen, wie sie stritten.
Schlussendlich hatten sie sich beide darauf geeinigt, dass sie beide sie beschützen würden. Sie nannten sich jetzt ihre Beschützer… sie hatten sogar ein Blutsbündnis darüber geschlossen. Zumindest hatte Tama ihr das erzählt.
Schon alleine der Gedanke, dass sie von Beschützern umgeben war, gab Kyoko ein so angenehmes Gefühl, dass sie meinte, dass ihr nie etwas zustoßen könnte. Nachdem Tasuki im Haus nebenan wohnte, konnten sie immer gemeinsam zur Schule und nach Hause gehen, und die anderen Kinder würden sie in Ruhe lassen.
Ihr Lächeln wurde sogar noch glücklicher, als sie die alte Standuhr unten zwölf schlagen hörte. Es war Mitternacht vorbei, damit war sie jetzt offiziell zehn Jahre alt.
Sie schielte hinüber zu Tasukis Haus und ihr Gesicht erhellte sich, als sie sah, wie er an seinem Fenster stand, und sie beobachtete. Sie wollte gerade winken, aber plötzlich drehte er sich um und das Licht in seinem Zimmer ging aus, gleich nachdem er hinter dem Vorhang verschwunden war.
Kyoko biss sich auf ihre Unterlippe und fragte sich, ob sein Vater ihn dabei ertappt hatte, dass er so spät noch auf war. Sie verstand nicht, wieso Tasukis Eltern ihm überhaupt vorschrieben, wann er im Bett sein musste. Er war zwölf Jahre alt und in ihren Augen war er damit ein großer Junge. Wenn sie groß waren, würden sie heiraten… das hatte er ihr gerade heute noch gesagt.
Sie blickte hinaus auf den Teich, der hinter dem Schreinhaus ihres Großvaters angelegt war, und seufzte leise, als sie das Spiegelbild des Mondes in dem stillen Wasser sah. Kyoko legte ihren Kopf ein wenig zur Seite, als etwas von dem Schreinhaus ihre Aufmerksamkeit erregte und sie fragte sich, ob ihr Großvater noch innerhalb der Holzwände war. Sie hätte schwören können, dass er schon im Bett lag.
Mit einem angestrengten Blick auf das kleine Häuschen konnte sie ein blaues Leuchten in dessen Inneren erkennen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, als sie sich über das Geländer lehnte, um besser sehen zu können. Das Licht, das durch die Spalten in dem Holz schien, war… wie schwarzes Licht, aber blauer. Ihre smaragdgrünen Augen wurden schmal, als sie dachte, dass sie einen Schatten sah, der sich vor dem Licht bewegte, sodass sie hinuntergehen wollte, um nachzusehen.
Kyoko verzog das Gesicht und blies sich ihre Stirnfransen aus den Augen, als sie sich daran erinnerte, was das letzte Mal geschehen war, als sie dem heiligen Schreinhaus zu nahe gekommen war. Ihr Großvater war hineingegangen, und hatte die Tür einen kleinen Spalt breit offengelassen. Alles, was sie getan hatte, war, hineinzuspähen und er war völlig ausgerastet.
„Ich verstehe nicht, wo das Problem ist… es ist doch nur eine Statue einer Prinzessin“, flüsterte Kyoko noch einmal dieselben Worte, wie an jenem Tag.
Großvater hatte daraufhin die Tür zugeschlagen und sie versperrt. Er hatte so besorgt ausgesehen, als er sich umgedreht und ihr gesagt hatte, dass sie nie, niemals dort hineingehen durfte. Sie hatte es ihm sofort versprochen, denn wenn etwas ihrem Großvater solche Angst machte… wollte sie nichts damit zu tun haben. Doch das war vor ein paar Monaten gewesen und ihre Neugier nagte schwer an ihr.
Mit einem verschmitzten Lächeln schaute Kyoko über ihre Schulter in ihr Schlafzimmer, um sicherzugehen, dass die Luft rein war, ehe sie auf das Geländer kletterte und ihre Füße auf der anderen Seite hinunterhängen ließ. Wenn irgendjemand wach gewesen wäre und dies gesehen hätte, hätte sie große Probleme bekommen. Aber so zu sitzen war es allemal wert, eine Standpauke zu bekommen. Nachdem alles andere hinter ihr war, wo sie es nicht sehen konnte, hatte sie fast das Gefühl, durch die Nacht zu schweben, während sie auf das Wasser blickte.
Ihre Aufmerksamkeit kehrte wieder zurück zum Schreinhaus, als das blaue Licht plötzlich viel heller wurde, als würde ein Stern geboren werden. Mit einem blendenden Blitz explodierte es plötzlich. Die Tür des Schreinhauses wurde aus ihren Angeln gerissen und landete mit einem dumpfen Knall, der von einem lauten Platschen gefolgt wurde.
‚Ein Platschen?‘, dachte Kyoko.
Sie riss ihren Kopf wieder herum und schaute auf das glitzernde Wasser des Teiches, wo nun kreisförmige Wellen zu sehen waren, die sich von dem Punkt ausdehnten, wo etwas gerade hineingefallen war. Ohne an die gefährliche Höhe ihres Balkons zu denken, drehte sie sich um und ließ sich von den Händen von der Unterkante des Geländers hängen, ehe sie sich fallen ließ.
Kaum, dass ihre kleinen Füße im Gras landeten, lief sie los, aus Angst, dass ihr Großvater irgendwie ins Wasser geschleudert worden war. Von der kleinen Brücke aus sprang Kyoko ins Wasser, in die Richtung, von wo aus sich die Wellen kreisförmig ausbreiteten. Sie nahm sich nicht die Zeit, über das eisige Stechen des kalten Wassers nachzudenken, als sie mit kräftigen Stößen zum tiefsten Punkt des Teichs tauchte.
Sie wusste, dass es zu dunkel sein würde, um etwas zu sehen, aber trotzdem öffnete sie ihre Augen in dem trüben Wasser. Ihr Großvater war hier irgendwo und sie musste ihm helfen. Ihre Lippen öffneten sich überrascht, als sie doch etwas im Wasser sah… etwas, das so hell war, dass es fast blendete. Genau da, in der Mitte des Lichts war ein Engel und er sank langsam zum Grund des Teichs.
Sie konnte fühlen, wie das eiskalte Wasser in ihre Lungen schoss, als sie verzweifelt nach der leuchtenden Hand griff. Er war wunderschön und sah aus, als würde er schlafen. Flügel… er hatte silberne Flügel. Nachdem sie seine Hand fest gepackt hatte, zog sie so fest sie konnte, aber dadurch kam sie ihm nur näher. Sie versuchte, ihm etwas zuzurufen, aber dadurch gelangte nur noch mehr Wasser in ihre Lungen. Es tat nicht weh, aber ihr war kalt… und sie war so müde.
Kyoko fühlte, wie sich seine Finger um ihre Hand schlossen, und ihr letzter Gedanke war, dass ein Engel gekommen war, um sie in den Himmel zu bringen, damit sie wieder bei ihrer Mami und ihrem Papi sein konnte.
Toya kam ruckartig wieder zu Bewusstsein und öffnete seine Augen. Wasser? Wieso war er im Wasser? Er fühlte, wie jemand seine Hand berührte, und wandte seinen Kopf herum, um ein kleines Mädchen bei ihm im Wasser zu sehen. Ihr Haar, das an der Oberfläche trieb, umrahmte das hübscheste Gesicht, aber ihre Augen waren geschlossen, und ihre herzförmigen Lippen leicht geöffnet.
Als ihm klar wurde, was das bedeutete, zog Toya sie in seine Arme und schoss so schnell aus dem Wasser heraus, dass er riesige Wellen schlug.
Als er auf das kleine Bündel in seinen Armen hinuntersah, setzte sein Atem aus… sie war wunderschön und sah so zerbrechlich aus. Er streckte seine Flügel nach oben und sank hinunter auf das weiche Gras, wo er sie vorsichtig hinlegte. Toya legte seine Hand auf ihr Herz und betete, dass er es schlagen fühlen könnte.
Seine goldenen Augen wurden groß, und sein eigenes Herz begann zu rasen, als er fühlte, wie seine Beschützermacht sich in seiner Handfläche sammelte. Heiße Tränen traten in seine Augen, sodass das Bild vor ihm verschwamm. Seine Augen verfärbten sich leicht silbern, als er fühlte, wie seine Beschützermacht nach ihr griff.
„Kyoko?“ Toya konnte fühlen, wie sich ihre Macht mit der seinen vermischte, sich zwischen seiner Hand und ihrem Herzen sammelte, und er wusste, dass er recht hatte. Er hatte sie endlich wiedergefunden, aber in dieser Welt war sie erst ein Kind. Er hob seinen Blick zum Himmel und flehte: „Du hast mich doch nicht grundlos hierher gebracht… oder? Bitte sag, dass ich nicht nur gekommen bin, um wieder zuzusehen, wie sie stirbt. Ich kann es nicht… ich werde es nicht tun.“
Als nichts geschah, drückte Toya sie fest an sich und das Echo seines verzweifelten Winselns war zu hören, als sie reglos blieb. Er drückte sein Gesicht in ihren Hals und schmiegte seine Brust an ihre, wollte, dass ihr Herz das seine schlagen fühlte.
„Verdammt, Kyoko, ich bin hier… fühle mich.“ Toyas Nerven zerbröckelten mit jeder Sekunde mehr, bis er schließlich nicht mehr konnte und schrie: „Bitte…lass mich sie diesmal retten!“
Instinktiv wandte er sein tränenverschmiertes Gesicht dem kleinen Häuschen zu, das ein paar Meter entfernt stand. Dort… gleich hinter der Tür war die Jungfernstatue. Als er den leuchtenden Blick des Herzens der Zeit sah, fühlte Toya, wie seine Wut ihn übermannte und er setzte alles auf eine Karte.
„Es ist mir egal, wenn die Dämonen kommen, und du kannst deinen verdammten Kristall haben. Es ist mir alles egal… ich will nur sie! Ich liebe sie. Ich habe sie schon immer geliebt. Wage es nicht, sie mir wieder wegzunehmen!“
Die leuchtenden Augen der Statue schienen ihn einen Moment lang nachdenklich zu betrachten, dann leuchteten sie heller. Ohne ein Wort wusste Toya, was das Herz der Zeit von ihm wollte. Er fühlte sich völlig ruhig, sein Ärger wie weggeblasen, als er seinen Blick von der Statue löste und auf das sterbende Kind in seinen Armen sah.
„Wenn ich sie damit rette“, flüsterte Toya, war bereit, alles zu opfern, solange sie nur leben durfte. Ihr kleiner Körper begann im gleichen blauen Licht zu leuchten, wie seiner. Indem er seine Lippen auf die ihren presste, schenkte Toya ihr seinen Atem… besiegelte ihr Schicksal, gerade als ihr Herz wieder zu schlagen begann.
Das Wasser in ihren Lungen verdampfte, als Kyoko die warme Luft einatmete und sich aus der zähen Dunkelheit nach oben kämpfte. Wärme, sie war davon umgeben. Sie bemühte sich, ihre Augen zu öffnen, als sie sich an den Engel erinnerte, den sie retten hatte wollen.
Während sie das Wasser wegblinzelte, wartete sie darauf, dass das blendend blaue Licht erlosch. Als es endlich dunkler wurde, erkannte sie, dass der Engel sie in den Armen hielt und sie beobachtete. Nachdem sie fühlte, wie ihre Lippen kribbelten, berührte sie sie staunend mit ihren Fingerspitzen.
Toya konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen, nachdem sie diese smaragdgrünen Augen geöffnet hatte, die ihn mit einer liebenden Neugier und Intelligenz betrachteten. Er fühlte, wie sich seine Brust schmerzhaft verkrampfte, als sie ihn anlächelte. Er fühlte den ganzen Schmerz seiner inneren Wunden, als sie ihre Finger hob, um ihre Lippen zu berühren, als wüsste sie, dass er sie geküsst hatte.
„Was bringt einen Engel zum Weinen?“, fragte Kyoko, als sie die Tränen sah, die über seine Wangen liefen.
Toya sah, wie ihr Lächeln verblasste, und erkannte… er weinte. „Ich weine nicht.“ Er blinzelte die Tränen weg und wischte mit der Hand über seine Wange. Er musste noch mehr Tränen wegwischen, konnte sie nicht aufhalten. „Versprich mir einfach nur, dass du nicht mehr ins Wasser gehst, bevor du schwimmen lernst.“
Er konnte schon fühlen, wie er aus ihrer Welt verschwand… aber solange sie lebte, war das egal.
Kyoko richtete sich in seinen Armen auf und schaute auf den Teich, dann zurück in sein Gesicht. „Ich hatte vergessen, dass ich es nicht kann“, flüsterte sie, während sie sich innerlich fragte, wie man so etwas vergessen konnte.
Toya konnte das Leuchten der Statue über ihre Schulter sehen, und wusste, dass seine Zeit knapp wurde. Die Hände der Jungfer hatten noch heller zu leuchten begonnen, und in der Ferne konnte er die Monster seiner Welt hören, die versuchten, durch den Spalt zu kommen. Die Barriere zwischen den Welten war immer dort am schwächsten, wo Kyoko war.
Ohne Vorwarnung drückte er Kyoko fest an sich, vermisste sie jetzt schon. Er rieb seine Wange an ihrem nussbraunen Haar und seine Stimme zitterte, als er flüsterte: „Ich muss zurück auf die andere Seite gehen, um die Dämonen davon abzuhalten, hierherzukommen.“
„Du klingst wie Opa… er weiß alles über die Dämonen“, sagte Kyoko und drückte ihr Ohr an seine Brust, damit sie seinem Herzschlag lauschen konnte. Sie legte einen ihrer Arme um seinen Rücken und fragte sich, wieso sie seine Flügel nicht fühlen konnte, wenn sie doch wusste, dass sie da waren.
Während er wieder auf diese Unschuld hinunterblickte, hob er ihr Kinn, um in diese umwerfenden, grünen Augen sehen zu können. „Habe keine Angst vor den Dämonen, Kyoko… du hast die Macht, sie aus dieser Welt wegzuschicken.“ Mit dieser Offenbarung schielte Toya wieder zurück zu der Jungfernstatue. Er konnte fühlen, wie die Dämonen gefährlich schnell durch das Herz der Zeit kamen.
Nachdem er sie im Gras abgesetzt hatte, stand Toya auf und ging zur Statue, während er schon seine Zwillingsdolche zog. „Und ich bin kein Engel… ich bin dein Beschützer. Mein Name ist Toya.“
Immer noch auf ihren Knien beugte Kyoko sich nach vor und sah zu, wie er das Schreinhaus betrat und es in einem blauen Nebel zu leuchten begann. Sie schrie, als ein paar Arme plötzlich aus dem Licht ragten und den Engel packten, woraufhin mehrere Dämonen neben ihm erschienen. Als ihr Schrei und das Brüllen des Engels durch die Nacht hallten, begann das Licht der Statue nach innen zu implodieren, als würde es von einem Staubsauger aufgesaugt werden.
Kyoko konnte hören, wie die Hintertür des Hauses zugeschlagen wurde, aber sie konnte ihren Blick nicht von dem Engel und den Dämonen lösen. Stolpernd kam sie auf die Füße und rannte auf den offenen Eingang des Schreinhauses zu. Sie konnte ihren Großvater und ihren Bruder ihren Namen schreien hören, aber es war Tasuki, der sich ihr schnell näherte.
Genau in dem Moment, wo sie die Hand ausstreckte, um den Engel zurückzuhalten, schlossen sich Tasukis Arme um sie, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor, aber eine Sekunde zu spät. Als Kyokos Zeigefinger die ausgestreckte Hand der Statue nur kurz streifte, schossen dicke Lichtstrahlen aus genau dem Punkt, den sie berührt hatte. Für Tasuki sah es so aus, als wäre gerade ein ganzer Eimer voll Feuerwerke auf einmal direkt vor seinem Gesicht gezündet worden.
Einer dieser Lichtstrahlen traf Tasukis linke Brust, sodass der Junge vor Schreck den Kopf einzog. Doch statt Schmerz zu fühlen, fühlte er sich, als würde etwas sein Inneres auffüllen… so, als ob er sein ganzes Leben lang etwas vermisst hätte, und es endlich zurückgekommen wäre.
Seine Augen wurden groß, als er ein schönes Band aus fluoreszierend blauem Licht sah, das noch immer Kyokos Fingerspitzen mit den Händen der Statue verband, als wollte es versuchen, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Tasuki blinzelte, als er einen Augenblick lang einen hübschen Kristall sah, der in dem Band kreiste. Nachdem er Kyoko davon entfernen wollte, stolperte er rückwärts, seine Arme fest um sie geschlungen.
Der Kristall drehte sich schneller, bis er explodierte und Lichtsplitter diesmal gerade in die Höhe schossen und sich über die Stadt verteilten… es sah aus wie eine überwältigende Wunderkerze in der dunklen Nacht.
Tasuki atmete schwer. Als er wieder zurück zu seinem Schlafzimmerfenster geschlichen war, hatte er den fremden Mann mit Kyoko in seinen Armen gesehen und die Panik hatte ihn ergriffen, als er erkannt hatte, wie schlaff ihr Körper war. Er wusste nicht genau, was der Mann gemacht hatte, aber er war froh gewesen, als das Licht ihn weggesaugt hatte, zusammen mit den rotäugigen Dämonen.
„Der Engel braucht unsere Hilfe!“, schrie Kyoko und versuchte, sich von Tasuki loszureißen, aber er war zu stark. Als sie sah, wie ihr Großvater zwischen sie und die Statue trat, rief sie verständnislos: „Da sind Dämonen in der Statue und sie werden ihn verletzen. Du kämpfst doch gegen Dämonen… geh und hilf ihm… bitte!“
Sie lehnte sich zurück an Tasuki und schluchzte, als sie den ängstlichen Ausdruck wieder über das Gesicht ihres Großvaters flimmern sah, nur dass er diesmal noch viel schlimmer war. „Du kannst… ihm nicht helfen?“
Opa Hogo drehte sich um und schaute in den Schrein. Die Schutzsiegel, die er im ganzen Schreinhäuschen verteilt hatte, rauchten noch, aber hatten sich großteils in Asche verwandelt. Nachdem er dem Schrein wieder den Rücken zugekehrt hatte, betrachtete er den Jungen, der seine Enkelin in seinen Armen hielt, und fühlte einen kalten Schauder über seinen Rücken kriechen. Tasukis Augen waren normal weich und braun… nicht so wütend violett wie jetzt, wo er die Statue mit seinem Blick aufspießte.
Sein Blut war kälter als Eis geworden, als er die Verbindung gesehen hatte, die Kyoko mit der Jungfernstatue gehabt hatte, und Großvater wusste, dass ihre Zeit abgelaufen war. Die Erscheinung des Kristalls war schon schlimm genug, aber mit anzusehen, wie er so zersplitterte, erweckte eine große Angst in ihm. Es war ihm auch nicht entgangen, dass ein Stück des Kristalls in die Brust des kleinen Tasuki geschossen war.
„Die Schriften hatten recht“, flüsterte er heiser, wünschte sich, dass es eine Lüge wäre.
Opa Hogo richtete seinen Blick zum Himmel und schickte ein stilles Gebet an welche Gottheit auch immer ihn erhören wollte, bat um Hilfe. Er musste die Kinder hier wegbringen und, noch wichtiger… er musste Kyoko von Tasuki trennen. Ohne es zu wollen, würde der Junge die Dämonen geradewegs zu Kyoko führen und die Beschützer des Kristalls würden ihm bald folgen.
Tasuki zuckte, als Kyoko aus seinen Armen gerissen wurde. Er richtete seine violetten Augen auf denjenigen, der sie ihm weggenommen hatte… ihren Großvater. Er sollte ihre Schultern wirklich nicht so brutal festhalten.
„Tasuki, du solltest in der Nacht nicht hier draußen sein. Wenn du nicht willst, dass ich deinen Vater aufwecke, dann solltest du nach Hause gehen. Jetzt“, befahl Opa Hogo mit barscher Stimme. Er schob Kyoko in Tamas Arme und wandte sich dann den zwei Enkeln zu, deren Vormund er war.
Tasuki starrte Kyoko an, beobachtete, wie sie ihr Gesicht an Tamas Brust vergrub und weiterhin um den Engel weinte, von dem sie meinte, dass er von den Dämonen getötet worden war.
„Kyoko, ich werde dich morgen zur Schule begleiten“, erklärte Tasuki, warf dem Schrein einen letzten bösen Blick zu und drehte sich um, um in sein eigenes Haus zu gehen.
Opa Hogo wartete, bis Tasuki wieder durch sein Schlafzimmerfenster geklettert war. Er atmete tief ein, wusste, dass es eine grobe Meinungsverschiedenheit geben würde, wenn seine Enkel erst einmal herausfanden, was sie nun machen würden.
„Packt eure Sachen, Kinder… wir fahren in einer Stunde los“, trug er ihnen auf.
*****
Heute… TEP-Hauptquartier im Schloss.
Storm lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte hoch zur Decke, verloren in seinen eigenen Gedanken über die Beschützer. Die Legende über die ursprünglichen Beschützer erzählte eine merkwürdige Liebesgeschichte mit einem paradoxen Ende.
Er war neugierig geworden, nachdem er die komische Legende gefunden hatte, und hatte sie zurückverfolgt bis zu einem mächtigen Kristall, der als der Schützende Herzkristall bekannt war. Das alleine war schon keine einfache Aufgabe gewesen, nachdem die Legende einmal auf Papier geschrieben war, einen Moment in Stein gemeißelt und im nächsten Augenblick wieder spurlos verschwunden war. Selbst für den Zeitreisenden war sie ein Rätsel.
Die älteste Legende über den Kristall, der zwischen den Dimensionen existieren konnte, erzählte von zwei Zwillingen, Beschützern, zwei Unsterblichen, die die Menschenwelten davor schützten, mit der Dämonenwelt in Berührung zu geraten. Diese zwei mächtigen Unsterblichen hatten sich in eine Menschenfrau verliebt, die mithilfe eines Kristalls, den ihr Vater erzeugt hatte, durch einen Riss zwischen den Dimensionen gekommen war.
Die beiden Beschützer hatten um sie gekämpft, und dabei fast die Barriere zerstört, die sie bewachen sollten.
Einer der beiden Zwillinge hatte den gefährlichen Konflikt beenden wollen, indem er den paradoxen Kristall genommen und ihn mit der Seele der Frau verschmolzen hatte, wobei er eine Statue von ihr erzeugt hatte, die aus dem Material hergestellt war, das alle Dimensionen trennte. Er hatte gedacht, dass sie in allen Welten, die sie beschützten, gleichzeitig erscheinen würde, wenn er die drei verband.
Er hatte vorgehabt, seinen Zwillingsbruder dann in einer dieser Parallelwelten einzuschließen, sodass sie beide sie haben konnten. Aber es funktionierte nicht so wie geplant. Als die Frau, die Statue und der Kristall miteinander verbunden waren, verschwand sie plötzlich aus der Dämonenwelt und der Riss war wieder versiegelt.
Als der andere Bruder herausfand, was sein Zwillingsbruder angestellt hatte, wodurch sie von der Frau getrennt worden waren, hatte die Eifersucht ihn zur Rage getrieben und er hatte seinen Bruder getötet, sodass ihrer beider Seelen zersplitterten. Nachdem sie unsterblich waren und nie wirklich sterben konnten, verwandelten sich ihre Seelen und fünf neue Beschützer erschienen, die sich allesamt immer noch zu der Frau hingezogen fühlten, die nun in allen Parallelwelten existierte.
Er betrachtete die Decke, wusste, dass diese fünf Beschützer nun im dritten Stock des Schlosses lebten.
Das Rätsel war für Storm schwer zu verstehen, denn der Kristall sprang nicht nur in Zeit und Raum… er wanderte auch zwischen den Dimensionen. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich aus Dingen herauszuhalten, die ein Zeitreisender nicht beeinflussen konnte. Jetzt, wo die Dämonen schon in LA waren und seine Mächte bis zum Äußersten beansprucht wurden, war es nicht der richtige Moment, sein Glück herauszufordern, außer er wollte riskieren, in eine Parallelwelt gesogen zu werden, ohne einen Weg zurück in diese.
Nein… die Beschützer waren auf sich alleine gestellt.
Kapitel 2
Tasukis Laune hatte sich nicht viel verbessert, seit er auf die Station zurückgekommen war. Den ganzen Weg dorthin hatte er Polizisten über Funk von Dämonensichtungen berichten gehört. Es erinnerte ihn immer wieder an das erste Mal, wo er einen Dämon gesehen hatte… in der Nacht, in der Kyoko verschwunden war.
Er berührte die Stelle an seinen Rippen, wo das Licht in jener Nacht in ihn eingedrungen war, und runzelte die Stirn, als er an die Angst und die Enttäuschung dachte, die er gefühlt hatte, als er am nächsten Morgen erkannt hatte, dass die Hogo-Familie weg war. Er war gekommen, um mit Kyoko zur Schule zu gehen, wie er versprochen hatte, aber das Haus war verlassen gewesen.
Diese Tatsache hatte ihm lange keine Ruhe gelassen und er war immer noch nicht darüber hinweg. Verdammt, er hatte immer noch Kyokos Geburtstagsgeschenk. Es war ein kleiner, goldener Freundschaftsring, den er mit Hilfe seiner Großmutter, Frau Tully, ausgesucht hatte.
In den letzten elf Jahren hatte er immer wieder Träume von Kyoko und den Dämonen gehabt. Merkwürdiger Weise war sie über die Jahre in seinen Träumen auch älter geworden und nun wurden die Träume immer häufiger und immer verstörender. Der Gedanke, dass sie irgendwo da draußen in Gefahr war, ließ ihn oft ganze Nächte lang kein Auge zutun.
Seufzend schob er Kyoko aus seinen Gedanken und sah zu, als vier der fünf Wachen aus der Lagerhalle, die sie geräumt hatten, über die Straße auf die Polizeistation gebracht wurden, damit sie dort von Boris und seinen Leuten befragt werden konnten.
Der Wachmann, der Micah fast erschossen hätte, würde in einem speziellen Verhörzimmer hier in der Abteilung befragt werden. Das Zimmer war verstärkt worden, nur für den Fall, dass sie irgendwelche Paranormalen verhören wollten… sogar niedrige Dämonen, wenn es sein musste.
Wenn es nach Tasuki ging, dann hatten sie nicht mehr gemacht, als drei der vielen entführten Frauen zu befreien und ein paar Wachleute festzunehmen, die mehr Muskeln als Hirn hatten. Er würde nicht einmal an feiern denken, es sei denn, einer der Wachleute plauderte aus, wo Lucca die restlichen Gefangenen versteckte. Er glaubte wirklich nicht, dass diese Lakaien viel mehr wussten, als das, was ihre kleinen Aufgaben betraf und sich nur um ihre nächste Zigarette kümmerten.
Er lehnte sich an die Wand und beobachtete, wie der große Lieferwagen rückwärts in die Garage ihres Gebäudes fuhr. Er nahm an, dass Titus derjenige sein würde, der das Abladen der Wolfsfrau beaufsichtigen würde… nachdem er der Alpha war und so. Wenn es nach ihm ginge, dann würde sie auf ihren eigenen beiden Beinen… oder vier… wie sie wollte, das Gebäude betreten.
So wie er die Dinge sah, hielten ihre Retter sie ebenso sehr gefangen, wie die Sklavenhändler es getan hatten.
Tasuki schaute nur mit zusammengezogenen Augenbrauen zu, als Titus auf der Fahrerseite des Wagens ausstieg und die Tür zuschlug. Der Hauptgrund für seinen bösen Blick war die kleine Gruppe Männer, die um das hintere Ende des Fahrzeugs versammelt waren und darauf warteten, einen Blick auf die Wolfsfrau zu erhaschen. Seine Aufmerksamkeit wurde von Micah abgelenkt, als dieser den fünften Wachmann um den Lieferwagen herum führte… nicht besonders sanft, musste man anmerken.
Micah hatte den Mantelkragen des Wachmanns fest im Griff und schob den Mann an dem Wagen vorbei. Tasuki grinste innerlich, als er sah, dass der Puma ein kleines Bisschen Rache üben konnte, als er den widerspenstigen Mann vor sich herschob. Die Füße des Werwolfs waren sehr eng aneinandergefesselt, sodass er nur sehr kleine Schritte machen konnte.
„Vergnügst du dich?“, fragte Tasuki, als Micah sich näherte.
„Noch nicht“, sagte Micah mit einem Grinsen und zog den Kragen des Werwolfs fest zurück, sodass das Hemd unter der Jacke gegen dessen Kehle drückte. Der Mann ließ ein gurgelndes Geräusch hören und bäumte sich auf. „Aber es wird langsam.“
Tasuki hob eine Augenbraue über Micahs Verhalten, aber er musste zugeben, dass er, wenn ihm jemand eine Pistole an den Kopf gehalten hätte… auch so handeln würde. Der Wachmann sah ihn und fauchte, wobei alle seine menschlich aussehenden Zähne sichtbar wurden, und Tasuki legte seinen Kopf zur Seite und fragte sich, wie der Werwolf auf die Idee kommen konnte, dass das beängstigend war, wenn er in seiner menschlichen Gestalt war.
„Ja, ja. Brüll, fauch, sabber dir auch, du Arschloch“, entgegnete Tasuki mit gelangweilter Stimme.
Micah lachte über Tasukis Mut angesichts eines wütenden Werwolfs. Er begann langsam zu denken, dass Tasuki derjenige wäre, der unverletzt davonkommen würde, wenn es zu einem Kampf kommen sollte. Irgendetwas an dem Neuling war anders und ein Formwandler ignorierte seine Instinkte nie.
Er schob den Wachmann vor sich her zu dem speziellen Verhörzimmer und gab ihm einen Arschtritt, nur weil er es konnte. Der Wachmann stolperte vorwärts, wobei er mit der Schulter gegen den metallenen Türrahmen stieß. Ein unwillkürliches Jaulen kam über die Lippen des Mannes… und klang genauso wie ein getretener Welpe, nicht wie ein wilder Werwolf.
„Ups.“ Micahs Stimme triefte vor Sarkasmus. „Hat das weh getan? Ich bin normal sanfter, aber ich habe anscheinend ein Problem mit Leuten, die versuchen, mir eine Kugel ins Hirn zu jagen. Also wenn ich schlecht gelaunt wirke, bitte… nimm es persönlich.“
Er holte sich noch mehr Glücksgefühle, indem er den Werwolf im wahrsten Sinne des Wortes in das Zimmer warf. Dann seufzte er zufrieden, als der Mann in den Titan-Tisch krachte, der mitten im Zimmer am Boden festgeschraubt war.
Nachdem er hinter ihn getreten war, packte Micah den Werwolf und drückte ihn in den Titan-Stuhl, der aussah wie die elektrischen Stühle, die sie in Gefängnissen für Hinrichtungen verwendeten. Sobald der Werwolf bemerkte, welche Art von Stuhl es war, schien er noch einen Energieschub zu bekommen und wehrte sich wieder. Micah machte es wirklich Spaß, die Handgelenke des Wachmanns in die Handschellen am Stuhl zu drücken und diese zu schließen.
„Und jetzt nage dir nicht die Hände ab, bevor wir fertig sind… okay?“, befahl Micah und ignorierte den langen Schwall an Beleidigungen, die ihm nachgerufen wurden.
Tasuki schüttelte den Kopf über Micahs Benehmen und richtete seinen Blick wieder auf den Lieferwagen, wo er den Rand des Käfigs durch die offenen Türen sehen konnte. Die Tatsache, dass er wusste, dass da eine Frau in dem Käfig war, verstörte ihn sehr, aber nur er konnte zur Gänze verstehen, wieso.
Er schob die Gedanken zur Seite und drückte sich von der Wand ab, als Titus mit leeren Händen auf ihn zu kam.
„Also, was wirst du tun?“, fragte Tasuki leise. „Ihren Käfig in eine Gefängniszelle stecken?“
Titus runzelte die Stirn über den sarkastischen Ton von Tasukis Stimme. „Ich werde in ein paar Minuten ihren Käfig öffnen und sie in eine Zelle setzen. Sie doppelt einzusperren, wäre ein bisschen zu viel, aber wir brauchen einen Ort, wo sie bleiben kann, bis wir uns überlegt haben, was das Sicherste für sie ist.“
„Wieso lässt du sie nicht im Night Light bleiben, mit den anderen Werwölfen? Zumindest könntet ihr sie dann immer im Auge behalten“, fragte Tasuki, der auf dem Weg hierher schon zu diesem Schluss gekommen war.
Titus schüttelte seinen Kopf. „Das ist eine noch schlechtere Idee, als sie in eine Gefängniszelle zu stecken.“
Tasuki zog die Augenbrauen zusammen. „Das verstehe ich nicht.“
„Siehst du nicht, wie sie alle um ihren Käfig versammelt sind?“, fragte Titus, während er die Menge mit einem bösen Blick musterte.
„Ja… es macht mich richtig wütend“, bemerkte Tasuki.
Titus sah ihm in die Augen, hatte plötzlich etwas mehr Respekt vor dem Neuling. „Dann sollten wir die Sightseeingtour vielleicht auflösen.“
Micah gesellte sich in genau diesem Moment zu ihm und schickte einen zornigen Blick hinüber auf die Polizisten. „Ja, sie benehmen sich wie läufige Hunde.“
Tasuki hob eine Augenbraue über den Vergleich. „In diesem Fall… ist das wahrscheinlich wahr.“
„Mehr als ihr denkt“, bemerkte Titus und wandte sich zu den besagten Männern. „In Ordnung Jungs, Zeit wieder an die Arbeit zu gehen“, erklärte er laut. „Es ist ja nicht so, als hättet ihr noch nie einen weiblichen Werwolf gesehen.“
Titus runzelte die Stirn, als einige von ihnen so aussahen, als wollten sie seinem Befehl nicht gehorchen… ihr Sextrieb ließ sie schon mit dem verkehrten Kopf denken. Er war wirklich nicht in der Stimmung, seine Autorität als Alpha spielen zu lassen. Wenn es nach ihm ging, dann war er nur zwischenzeitlich der Alpha-Mann… aber Boris schien zu meinen, dass es auf Dauer war. Nachdem Lucca der einzige andere Alpha-Mann in der Stadt war, schien es, dass es keine Option war, die Stelle nur vorübergehend zu besetzen.
„Jetzt!“, donnerte Titus, sodass die Männer die Köpfe einzogen und sich schnell verkrümelten. Als sie weg waren, ging er zu der Käfigtür und öffnete sie, um die Wölfin in die Zelle zu bringen, wo sie in Sicherheit sein würde.
„Gibt es im Night Light nicht einen Polizisten, den du damit beauftragen kannst, auf sie aufzupassen, damit sie nicht wieder eingesperrt sein muss?“, fragte Tasuki dessen Haut zu kribbeln begann, als er sich dem Käfig näherte.
„Sie braucht die Gitterstäbe als Schutz vor dem Rudel, dem du sie so dringend ausliefern möchtest“, erklärte Micah. „Verstehst du, wir sperren sie nicht ein, damit sie unsere Gefangene ist. Es geschieht zu ihrem Schutz. Ein weiblicher Werwolf, der keinen Partner hat, ist eine sehr wertvolle Sache und Titus will sein Rudel wirklich nicht dafür bestrafen müssen, dass sie mit ihren tieferen Organen denken… wenn du verstehst, was ich meine.“
„Und um alles nur noch schlimmer zu machen… haben wir in dem Mülleimer neben ihrem Käfig leere Spritzen gefunden, nachdem du gegangen bist. Die Etiketten belegen, dass sie ihr Hormone gespritzt haben“, bemerkte Titus.
„Hormone?“, fragte Tasuki, der das Gefühl hatte, dass, was auch immer die anderen ihm verklickern wollten, ihm einfach viel zu hoch war.
„Sie haben versucht, sie läufig zu machen, damit sie sie züchten können“, erklärte Titus mit kalter Stimme. „Über siebzig Prozent der Wölfe sind single und die meisten haben menschliche Partnerinnen. Es würde nicht viel brauchen, um einen Aufstand auszulösen. Soweit ich weiß… ist sie wahrscheinlich die einzige weibliche Werwölfin in der Stadt, die erwachsen ist und keinen Partner hat. Unsere Rasse neigt dazu, um Frauen zu kämpfen, noch lange bevor sie erwachsen sind.“
Tasuki runzelte die Stirn, erkannte plötzlich die andere Sichtweise. „Wenn das so ist, dann verstehe ich es sogar… aber es ist trotzdem nicht gut.“
Micah klopfte ihm auf die Schulter. „Ist schon in Ordnung… es gibt noch immer eine Menge Dinge über Formwandler, die du nicht weißt, aber du lernst ja schnell. Schon bald wirst du unsere ungeschriebenen Gesetze interpretieren können, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Großartig“, brummte Tasuki. „Noch mehr Gesetze zu lernen.“
Titus kletterte hoch und in den Käfig, aber als er sich bückte, um sie hochzuheben, traf ihn ihr Geruch und er fluchte. Das letzte Mal, als er in der Nähe einer läufigen Formwandlerin gewesen war, hatte er sich eine blutige Nase von der Faust eines eifersüchtigen Sonnengottes geholt. Wenn er sonst nichts konnte, dann lernte er zumindest schnell.
„He Micah, hast du noch dieses Parfum, das deinen Geruch überdeckt?“
Er fing das Fläschchen auf, als es geflogen kam. In wenigen Sekunden war die Flasche leer und er steckte sie in seine Hosentasche. Vorsichtig hob er die Wölfin hoch in seine Arme und verließ mit ihr den Käfig.
Tasuki konnte nur die Schönheit des Tieres bewundern, als Titus sie in die Helligkeit des Gebäudes trug. Ihr Fell war matt schwarz und von den wenigen Augenblicken, wo er sie in der Lagerhalle durch die Gitterstäbe gesehen hatte, wusste er, dass ihre Augen eine hübsche goldene Farbe mit blauen und grünen Flecken darin hatten.
„Ich möchte wissen, wie alt sie ist“, überlegte Tasuki leise, als wollte er sie nicht wecken, obwohl man ihm gesagt hatte, dass das Betäubungsmittel sie noch eine Weile schlafen lassen würde.
„Boris meint, dass sie etwa zwanzig ist, nach der Größe ihrer Füße zu urteilen“, antwortete Micah mit gerunzelter Stirn. „Aber es sieht so aus, als hätte ihr die Gefangenschaft ziemlich zugesetzt.“
Nachdem er sie in die leere Gefängniszelle gebracht hatte, legte Titus die Wölfin vorsichtig auf das Bett. Er hatte die Unterhaltung zwischen Micah und Tasuki gehört und betrachtete sie genauer.
Er musste im Stillen zugeben, dass Luccas Leute sie offensichtlich nicht gut behandelt hatten. Obwohl ihr Fell schön und schwarz war, war es schmutzig und zerzaust, was darauf hindeutete, dass sie sich schon seit einiger Zeit weigerte, sich wieder in ihre menschliche Gestalt zu verwandeln. Ihre Fußballen waren zerkratzt und rau und ein paar Brandwunden durch den Viehtreiber waren auch sichtbar.
Er wusste, wieso sie sich geweigert hatte, sich zu verwandeln, und bewunderte ihren Stolz. Wenn sie sie in ihrer menschlichen Gestalt vorgefunden hätten… dann hätten sie sie vergewaltigt. Sie verwendete die einzige Waffe, die sie gegen sie hatte… die Tatsache, dass ein weiblicher Werwolf in seiner tierischen Gestalt nicht schwanger werden konnte. Es zeigte nicht nur ihren starken Willen, sondern auch ihre Intelligenz.
Nachdem er seine eigenen Gefühle wieder in sich eingeschlossen hatte, verließ Titus die Zelle und verschloss die Tür hinter sich. Sie würde immer noch wütend sein, wenn sie aufwachte, aber zumindest war die Gefängniszelle um vieles besser als der Käfig, in dem sie gewesen war.
„Sollten wir nicht damit beginnen, den Wachmann zu befragen, und zu sehen, ob er weiß, wo sie die anderen Geiseln haben?“, fragte Tasuki und machte sich schon auf den Weg zum Beobachtungsraum.
Titus wollte gerade antworten, als einer der Polizisten, die bei der Räumung der Lagerhalle nicht dabei gewesen waren, durch die Tür schlüpfte und Richtung Zellen ging.
„Wo, zum Teufel, willst du hin, Phillip?“, fragte Titus scharf.
Der Polizist, einer der jüngeren Werwölfe in der Polizei, erstarrte mitten im Schritt und lächelte verschmitzt. „Ich war nicht in der Lagerhalle dabei und wollte sehen, ob sie sich schon in ihre menschliche Gestalt verwandelt hat.“
Micah stieß Tasuki mit dem Ellbogen an. „Siehst du, was ich meine?“
Tasuki zog seine Augenbrauen zusammen und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Leider.“
Der Grund, weshalb der Polizist gekommen war, ließ Tasuki rot sehen, sein Zorn brauste auf. Wenn die Wölfin sich wieder in einen Menschen verwandelte, würde sie keinerlei Würde mehr haben, weil sie nackt wäre. Diese Tatsache machte ihm sehr deutlich, dass Micahs Warnung bezüglich der Wolfsinstinkte richtig war.
„Sie ist ein lebendes Wesen so wie du, nicht eine verdammte Sex-Show“, knurrte Tasuki den Polizisten an, ehe er in das Beobachtungszimmer stürmte.
„Der Junge hat Mut, das muss man ihm lassen“, murmelte Micah.
Titus wandte sich mit erhobener Augenbraue an Phillip. „Ich schätze, du hast deine Antwort. Solange ihr keine anderen Befehle erhaltet, haben sich alle von dieser Abteilung fernzuhalten… verstanden? Oder eigentlich, wieso bleibst du nicht bei der Tür und stellst sicher, dass nicht jemand anders auch auf dieselbe Idee kommt wie du.“
„Was soll ich ihnen sagen?“ Phillip war dumm genug, das zu fragen, dann machte er schnell mehrere Schritte rückwärts, als Titus auf ihn zu kam.
„Du sagst ihnen, dass ich gesagt habe, dass der erste Idiot, der den Kopf durch diese Tür steckt, ihn abgerissen bekommt“, donnerte Titus. Er schaute Phillip wütend nach, der fast über seine eigenen Füße stolperte, als er sich eiligst aus dem Staub machte.
„Hat dir schon jemand gesagt, dass du einen verdammt guten Alpha-Mann abgibst?“, lachte Micah und klopfte Titus auf den Rücken.
Titus schüttelte den Kopf und meinte: „Wir sollten vielleicht eine Runde drehen und alle verdammten Türen und Fenster verriegeln, nur für den Fall, dass sich irgendwo ein Mutiger findet. Ich will nicht abgelenkt werden, wenn wir uns um den Idioten kümmern, der in dem anderen Zimmer angekettet ist.“
„Wir werden uns vielleicht einen Schichtplan überlegen müssen, damit immer jemand hier ist, um sie zu bewachen“, bemerkte Micah. „Aber im Augenblick denke ich, Tasuki könnte unseren Mann da drinnen in den Wahnsinn treiben, wenn wir nicht bald kommen.“
Titus hob eine Augenbraue. „Auch richtig.“
Im Beobachtungszimmer umklammerte Tasuki die Rückenlehne des Stuhls und starrte wütend auf den Werwolf auf der anderen Seite des verspiegelten Fensters. Er schloss seine Augen, konnte nicht verhindern, dass die verhassten Erinnerungen zurückkamen um ihn heimzusuchen. Es war der letzte Traum, den er von ihr gehabt hatte… aber das war das letzte Mal gewesen, wo er geschlafen hatte.
Dieses Mal war da ein Käfig gewesen, der in der Mitte einer riesigen Höhle gestanden hatte, hinter dessen Gittern Kyoko gefangen gewesen war. Aber in dem Traum hatte es sich so angefühlt, als hätte ein Monster sie ihm gestohlen. Er hatte den Käfig panisch umkreist, auf der Suche nach einer Möglichkeit, ihn zu öffnen und sie vor dem Monster zu retten, aber dicke Eisenstangen waren alles, was er fand. Er hatte versprochen, sie zu retten… aber wie konnte er das tun, wenn das verdammt Ding nicht einmal eine Tür hatte?
Er schielte hoch und traf Kyokos Blick gerade in dem Moment, als Hände aus der Dunkelheit sich nach ihm austreckten und ihn in seinen Tod zerrten… er erinnerte sich daran, wie er gestorben war.
Tasuki öffnete die Augen, als die Erinnerung verblasste. Egal wie oft er den Traum geträumt hatte, das Ende war immer dasselbe gewesen… er starb und Kyoko war immer noch in dem verdammten Käfig gefangen. Er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar, versuchte, sich wieder zu beruhigen. Egal wie real die Erinnerungen an die Träume erschienen… sie waren nur in seinem Kopf und dort sollten sie auch bleiben.
Mit Blick auf den Entführer im anderen Zimmer beschloss er, seine Wut an dem echten Monster abzureagieren, das Spaß daran fand, Mädchen in Käfige zu sperren. Wieso nicht… er hatte nichts Besseres zu tun.
Micah folgte Titus in das Beobachtungszimmer, wo Tasuki an dem Stuhl lehnte und mit wütendem Blick durch das verspiegelte Glas schaute. Wenn Blicke töten könnten, wäre der andere Mann nun ein Fettfleck auf dem Stuhl.
„Können wir den Strom in dem Stuhl anschalten, damit er tanzt?“, fragte Tasuki… nur halb im Scherz.
„Klingt verlockend, aber nein“, entgegnete Titus. „Phillips Grund hierher zu kommen hat allerdings eine wichtige Angelegenheit aufgeworfen.“
Tasuki nickte. „Du musst ihr Kleidung besorgen und in die Zelle legen, nur für den Fall, dass sie aufwacht und sich verwandeln will.“ Er betrachtete die beiden Formwandler, als keiner von ihnen sich regte. „Vielleicht hat die Polizistin, die in der Lagerhalle dabei war, extra Kleidung in der Garderobe. Soll ich gehen und fragen?“
„Nein, sie hat schon genug damit zu tun, die anderen Frauen zum Arzt zu begleiten“, erklärte Micah, dann rieb er sich sein Kinn, bis ihm die Lösung dämmerte. „Aber ich habe eine Idee.“
„Das ist neu“, sagte Titus und grinste, als er dafür Micahs Ellbogen in die Rippen bekam.
„Ha ha“, knurrte Micah. „Wie ich sagte… lass mich Alicia anrufen, sie kann ihr ein paar Kleidungsstücke bringen.“
„Wer ist Alicia?“, fragte Tasuki.
„Micahs kleine Schwester“, erklärte Titus. „Er ist ein wenig launisch, seit sie sich kürzlich mit einem Sonnengott gepaart hat.“
„Ein Sonnengott?“, fragte Tasuki verwirrt. Das war neu für ihn, obwohl er sich fragte, wieso er überhaupt noch überrascht war. Man sollte meinen, er wäre mittlerweile immun.
“Hör auf, allen zu erzählen, was ich zum Frühstück gegessen habe”, brummte Micah und zog sein Handy heraus. Während er die Nummer wählte, seufzte er, wusste, dass Titus recht hatte. Er war in letzter Zeit eindeutig nicht gut aufgelegt, weil er seine Schwester vermisste, und Damon war ein Arschloch, weil er sie immer tagelang vor ihm versteckte. Dies war tatsächlich ein großartiger Grund, sie zu sehen und herauszufinden, ob sie noch immer glücklich mit Herrn Besitzergreifend war.
„Du willst Alicia durch die ganze Stadt fahren lassen, nur um uns ein paar Kleidungsstücke zu bringen?“ Titus hob eine Augenbraue. „Leicht verzweifelt?“
“Was, um alles in der Welt, ist ein Sonnengott?” Tasuki wollte es wirklich wissen, damit er es zu seiner wachsenden Liste von Dingen auf seiner innerlichen Wand der Merkwürdigkeiten hängen konnte.
Micah hatte gerade anrufen wollen, als Titus seine Gründe in Frage stellte. Mit einem Geistesblitz kam er schnell zu einer noch besseren Ausrede.
„Genau genommen denke ich, wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, erklärte Micah grinsend. „Alicia hat mir erzählt, dass Damon sie gelehrt hat, Leute ihrer Gedankenkontrolle zu unterwerfen.“
Er zeigte auf den Mann auf der anderen Seite der Glasscheibe. „Wir könnten ihn wahrscheinlich foltern bis er stirbt und nicht viel mehr aus ihm herausbekommen, als Alicia mit ein paar einfachen Fragen erfahren kann. Außerdem muss er ihr die Wahrheit sagen, während wir… keine Möglichkeit haben, herauszufinden, ob er uns einfach nur eine Menge Scheiße erzählt, um keine Probleme mit Lucca zu bekommen.“
„Schon gut“, seufzte Tasuki, der die Tatsache, dass er völlig ignoriert wurde, hinnehmen musste. „Ich bin sicher, ich werde es irgendwann verstehen.“
Kapitel 3
Alicia hatte sich gerade eine Tasse Kaffee gemacht, als ihr Handy zu läuten begann. Sie eilte zu ihrer Handtasche und nahm das Gerät mit einem schnellen Blick auf das Display. Mit einem breiten Lächeln hielt sie es an ihr Ohr.
„He Micah, was gibt’s?“
„Hast du ein wenig Zeit für deinen großen Bruder?“, fragte Micah, während er den anderen beiden Männern den Rücken zukehrte, damit sie sein erleichtertes Gesicht nicht sehen konnten. Er hatte schon halb erwartet, dass Damon seinen Anruf beantworten würde.
Alicia zuckte ihre Schultern. „Ich schätze schon. Damon ist mit Michael und Kane unterwegs. Er wird wohl nicht so schnell zurückkommen.“
„Gut, weil du musst mir einen richtig großen Gefallen tun. Wir haben hier eine Werwölfin in einer Zelle, die wir aus einer Lagerhalle der Sklavenhändler befreit haben. Sie hat sich noch nicht verwandelt, aber wenn sie wieder ihre menschliche Gestalt annimmt… wird sie Kleider brauchen. Meinst du, du kannst etwas für sie auf die Polizeistation bringen?“
Alicia betrachtete ihren riesigen Kleiderschrank ehe sie nickte. „Ja, ich schätze, ich kann etwas ausgraben. Wann soll ich kommen?“
“So bald wie möglich”, antwortete Micah. „Wir wissen nicht, wann sie von ihrer Beruhigungsspritze wieder aufwacht.“
„Bin schon unterwegs“, sagte Alicia. „Brauchst du sonst noch was?“
„Gut, dass du fragst“, sagte Micah, sodass Alicia das Lächeln in seiner Stimme hören konnte. „Du musst für mich einen anderen Wolf deiner Gedankenkontrolle unterwerfen, und ihm ein paar Fragen stellen. Meinst du, du schaffst das?“
„Ja“, antwortete Alicia ein wenig zu schnell. „Ich ziehe mich nur schnell an und suche ein paar Sachen für die arme Frau zusammen, dann komme ich.“
Sie legte das Telefon weg und ein breites Grinsen erhellte ihr Gesicht, als sie sich eilig anzog. Es war schön, etwas zu tun zu haben, während Damon weg war. Zumindest fühlte sie sich so nützlich und wenn alles gut ging, konnte sie Damon beweisen, dass sie auch alleine Dinge auf die Reihe bekam.
Schnell schlüpfte sie in ihre Lieblingsjeans und eines von Damons schwarzen Hemden, holte eine kleine Reisetasche und nahm zwei Garnituren Kleidung aus dem Schrank. Eine für den Fall, dass sie weiche Sachen mit Spitzen mochte, und eine, die ihr das Gefühl geben würde, stark zu sein und alles unter Kontrolle zu haben. Wieso sollte sich die Frau nicht entscheiden dürfen zwischen hübsch und cool. Außerdem hatte Damon ihren Schrank zur Hälfte mit Bad Girl-Klamotten gefüllt, damit sie zu seinem Bad Boy-Image passte.
Nachdem sie die Kleider eingepackt hatte, durchstöberte sie die neue Unterwäsche, die sie bekommen hatte, um nach etwas zu suchen, das sie noch nicht getragen hatte, und steckte auch diese Teile in die Tasche. Sie nahm an, dass die Frau auch kleine Dinge wie saubere Unterwäsche, eine Zahnbürste und vielleicht ein wenig Makeup wertschätzen würde, nachdem sie gefangen gehalten worden war.
Schließlich sah sie sich noch einmal im Zimmer um, um sicherzugehen, dass sie nichts vergessen hatte. Als ihr Blick auf ihre Kommode fiel, nahm sie auch noch einen Kamm, eine Bürste und ein paar Haarspangen, sodass die Frau ihre Haare hochstecken konnte, wenn sie wollte.
Alicia lächelte, als sie die Tasche über ihre Schulter hängte und zur Tür ging. Sie freute sich darauf, Micah wiederzusehen, obwohl erst wenige Tage vergangen waren. Sie vermisste ihn.
Die Tatsache, dass er ausgerechnet sie anrief, wenn er Hilfe brauchte, war für sie sehr aufregend. Endlich durfte sie jemanden mit gutem Grund ihrer Gedankenkontrolle unterwerfen und die Tatsache, dass er ein Werwolf war, machte die Herausforderung nur noch größer.
Menschen konnte man viel leichter kontrollieren, weil sie sich eigentlich nicht wehren konnte, es sei denn, sie hatten besondere Gaben oder Zauber, die sie schützten, wie ihre Halskette. Damon hatte ihr gesagt, dass Formwandler schwieriger zu kontrollieren waren, weil alle ihrer fünf Sinne besser waren. Leider hatte sie bisher noch kaum eine Gelegenheit gehabt, auch nur an Menschen zu üben, nachdem Damon sie kaum aus dem Schlafzimmer ließ.
Alicia hob ihre Schultern. Dies war eine einzigartige Chance für sie, ein echtes Training ohne sexuelle Ablenkungen zu bekommen. Gerade als sie aus ihrem Schlafzimmer kam, stürmte Kane zur Eingangstür herein und murmelte vor sich hin.
„Ist etwas geschehen?“, fragte Alicia.
Kane schien sie nicht zu hören und murmelte weiter etwas von einer Frau namens Olivia. Plötzlich erstarrte er und fluchte laut.
„Verdammt“, rief Kane. „Nicht Olivia… Viktoria.“
Michael und Damon kamen in diesem Moment herein, beide kicherten über Kanes Verhalten.
Alicia stöhnte fast über Damons Timing. Obwohl sie froh war, dass er gesund und munter zurück war, hatte sie gehofft, Zeit zu haben, zur Polizeistation zu fahren und zurückzukommen, ohne dass er es bemerkte.
„Also du bist der Mann, der sich an die Namen von jeder Frau erinnert, mit der er je zusammen war“, stichelte Damon.
„Ich erinnere mich daran“, knurrte Kane.
„Wer ist dann Olivia?“, fragte Michael.
„Fahr zur Hölle!“, murmelte Kane, ehe er auf sein Schlafzimmer zu steuerte.
„Ich schätze, damit ist diese Frage beantwortet“, bemerkte Michael und ging zur Treppe, aber hielt dann an, als er Alicia neben ihrem Schlafzimmer stehen sah, wobei sie aussah, als hätte man sie gerade mit der Hand in der Keksdose ertappt.
Kane schloss die Schlafzimmertür hinter sich und schaute Tabatha an, die vor ihm stand, die Arme vor ihrer Brust verschränkt.
„Also wer sind Olivia und Victoria?“, fragte sie.
„Damons und Michaels Ex-Freundinnen“, antwortete Kane ohne jegliches Zögern und verschloss ihre Lippen mit den seinen.
Im Hauptraum wurde Damons Blick sofort von Alicia auf sich gezogen und er lächelte fast, als er sah, dass sie eines von seinen Hemden trug. Doch als er sah, wie sie auf ihre Unterlippe biss, runzelte er die Stirn und er betrachtete sie genauer. Seine Augen wurden gefährlich schmal, als er die Reisetasche sah, von der sie nicht einmal den Reißverschluss geschlossen hatte, und die über ihrer Schulter hing.
Alicia blinzelte, als Damon plötzlich wenige Zentimeter vor ihr stand und ihr den Weg verstellte, indem er je eine Hand gegen die beiden Seiten des Türrahmens stemmte… wodurch sie in dem Holzrahmen eingeschlossen war. Er beugte sich nach vor und betrachtete sie genau, ohne ein Wort zu sagen, aber seine Augen sprachen Bände.
Sie fühlte, wie sie ein wenig nervös wurde, und versuchte, das zu verbergen, indem sie lächelnd sagte: „Schön, dass du wieder zurück bist.“
„Findest du das?“, fragte Damon, der es nicht schaffte, seine dunkle Seite davon abzuhalten, sich in ihm zu regen. „Wenn ich ein paar Minuten später gekommen wäre… wärst du noch immer hier, um auf mich zu warten?“
Alicia konnte ihren Instinkt nicht unterdrücken und hob ihre Hand, um die Halskette zu berühren, die nicht mehr um ihren Hals hing. Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass sie sie Nick gegeben hatte, und zog innerlich den Kopf ein, als sie bemerkte, wie Damons Blick ihrer nervösen Bewegung folgte und dann schnell wieder hochschoss, um sie mit dunkelvioletten Augen aufzuspießen.
In diesem Moment wusste Alicia, dass er durchdrehen würde, wenn sie log, und das bedeutete viele Gefahren… unter anderem, dass er ihr den Hintern versohlen würde. Obwohl sie fühlte, wie ihre Wangen bei dem Gedanken heiß wurden, hob sie ihr Kinn trotzig an und erzählte ihm ruhig die Wahrheit.
„Nein.“
Sie seufzte, als Damon die Tür öffnete und sie rückwärts ins Zimmer drängte. Dann zuckte sie zusammen, als die Tür hinter ihm ins Schloss krachte. Der Bruchteil einer Sekunde, in dem sie Michaels Gesicht sehen konnte, ehe die Tür dazwischenkam, genügte, um ihr Sorgen zu bereiten.
„Wohin wolltest du?“, fragte Damon, wobei er darauf achtete, dass die Frage in der Vergangenheit gestellt war.
„Ich wollte nur gehen, um mich mit Micah zutreffen“, sagte Alicia in dem Versuch, das Missverständnis aufzuklären, ehe sie mit dem Gesicht zum Boden quer über seinem Schoß landen würde.
„Wolltest du die Nacht mit ihm verbringen?“, fragte Damon leise.
Ein verwirrter Blick strich über Alicias Gesicht, ehe sie ihren Blick auf die offene Reisetasche richtete. Sie sah die hübsche, schwarze Unterwäsche und eine Bürste herausschauen und seufzte. Okay… sie konnte sogar verstehen, wie Damon auf seine Gedanken kam, aber das würde sie nicht davon abhalten, ihm gehörig die Meinung zu sagen, darüber, dass er so perverse Gedanken hatte.
„Er braucht mich“, knurrte Alicia, aber er unterbrach sie sofort.
„Das kann ich mir vorstellen.“ Damon kam schnell einen Schritt näher und schaute auf sie hinunter. Was Micah wirklich brauchte, war ein Priester, der seine Grabrede halten konnte.
„Weißt du was?“, fragte Alicia langsam und hob ihren Blick, um seinen festzuhalten. „Du bist… ein Idiot.“
„Wenn ich ein Idiot bin, weil ich dich davon abhalte, mich zu verlassen… dann bitte, gerne“, entgegnete Damon.
„Nein, du bist ein Idiot, weil du denkst, dass ich vorhatte, dich zu verlassen“, fauchte Alicia, die fühlte, wie ihre eigene Wut wuchs, weil er immer noch so voreilige Schlüsse zog. „Die Kleider… sind nicht… für mich… Damon“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
„Oh ja, lass uns sehen, wie sie Micah stehen“, drohte Damon, der sich schon bildlich vorstellte, wie er Micah mit Alicias Spitzenunterhose erwürgte.
Alicia wollte verärgert knurren, aber unterließ es, weil Glas im Zimmer war. Genau genommen war sie stolz auf Damon, dass er noch nicht alles zerbrochen hatte. Sie zuckte, als der Spiegel ihrer Kommode einen Sprung bekam… Murphys Gesetz in Aktion.
„Verdammt, Damon, hör auf so dumm zu sein!“, zischte Alicia und kam noch näher auf ihn zu, packte seinen Hemdkragen und zog sein Gesicht zu sich herunter. Sie hatte vom besten Lehrer der Welt gelernt, wie man andere einschüchterte… von ihm. „Micah und sein Team bei der Polizei haben heute Nacht eine Werwölfin von den Sklavenhändlern befreit. Ich wollte ihr die Kleider bringen, damit sie etwas zum Anziehen hat, wenn sie sich wieder verwandelt. Ich wollte gerade zur Polizeistation fahren, weil ich ein großes Mädchen bin, Damon, und alleine klarkomme.“
„Oh, meinst du das?“, fragte Damon scharf, denn er wusste, dass sie die Tatsache, dass die Stadt vor Dämonen wimmelte, vergessen hatte.
„Ich weiß es. Du hast gerade deinem Bruder geholfen… jetzt gehe ich, um meinem zu helfen. Und seit wann darf ich meiner Familie nicht mehr helfen, wenn sie mich um einen Gefallen bitten?“ Alicia hob eine Augenbraue, als wartete sie nur darauf, dass er nein sagte.
„Dann ist es dir auch recht, wenn ich mitkomme… nicht wahr?“, knurrte Damon, dem das Bild von ihr, wie sie eine kleine Tasche hielt, wie eine kleine Ausreißerin, nicht gefiel.
Alicia grinste. „Gut, und wenn ich dir beweise, dass deine Annahme falsch ist… wirst du mich dich ans Bett fesseln lassen.“
„Wir verhandeln hier nicht“, erklärte Damon und verschränkte seine Arme.
„Nein, du hast recht… es ist eine Wette“, entgegnete Alicia mit einem arroganten Ausdruck auf ihrem Gesicht betont. „Und wenn du mir durch diese Tür folgst… gehst du sie mit mir ein.“ Damit hob sie ihr Kinn noch ein wenig höher und trat an Damon vorbei zur Tür hinaus.
Damons Lippen wurden schmal und sein Blick streifte den Spiegel, als noch weitere Sprünge darin entstanden. Er beruhigte seine Wut, froh, dass er missverstanden hatte, was sie vorgehabt hatte. Außerdem musste er zugeben, dass es eine ziemlich interessante Idee war, Alicia ihn an das Bett fesseln zu lassen.
Michael hielt es innerhalb der vier Wände nicht mehr aus und ging hinauf aufs Dach, als Alicia und Damon wieder in ihrem Schlafzimmer verschwanden. Er grinste über die Tür, die sich nicht mehr wirklich schließen ließ, und wusste, dass sie das bald reparieren würden müssen. Der frühe Abend versprach kühl zu werden und er schloss seine Augen zufrieden, als die angenehme Brise sein Gesicht streichelte.
Das Geräusch der Eingangstür machte ihn neugierig und er ging zur Dachkante, um hinunterzusehen. Er beobachtete, wie Damon und Alicia aus dem Gebäude kamen, wobei Alicia sehr selbstbewusst aussah. Er fühlte, wie sich seine Mundwinkel anheben wollten, als Damon sich beeilen musste, um ihre Hand halten zu können.
Er hatte anfangs nicht so darüber gedacht, aber nun musste er zugeben… Alicia war die perfekte Partnerin für seinen Bruder. Sie wusste, wie sie mit seinem Temperament umgehen musste, und trotzdem bekommen konnte, was sie wollte.
Er hob eine Augenbraue, als Damon sie zu ihm umdrehte, um sie zu küssen. Das Pärchen nahm sich einen Augenblick, um sich wieder zu versöhnen, ehe Damon zu ihm hoch schielte und selbst eine Augenbraue hob. Michael legte seinen Kopf zur Seite und zuckte die Schultern, wobei er der Versuchung widerstand, etwas zu rufen. Als würde er spüren, was durch Michaels Kopf ging, zog Damon Alicia ein wenig fester an sich und schlang die Schatten um sie.
Michael schüttelte seinen Kopf und grinste, als er sich umdrehte, um wieder zurück nach drinnen zu gehen. Er blieb mitten im Schritt stehen, als er fühlte, wie Tabathas und Kanes Leidenschaft im Inneren des Gebäudes gipfelte.
„So viel dazu“, murmelte er und wandte seine Aufmerksamkeit den hohen Gebäuden in der Umgebung des renovierten Clubs zu.
Er lockerte seine Schultern und seinen Nacken, als er plötzlich die aufgestaute Energie in sich fühlte, die freigelassen werden wollte. Seine Gedanken richteten sich auf Aurora und die eilige Leidenschaft, die sie beide geteilt hatten, als sie einander getroffen hatten. Sie war wie eine Naturgewalt, die sein bestes Stück schon mit einem kurzen Blick steif werden ließ. Er schloss seine Augen und stellte sich vor, wie er seine Zähne in ihre Haut bohrte, als sie gemeinsam ihren Höhepunkt erreichten… er ihr seinen Samen gab, während er ihr Blut trank.
Der süße Geschmack klebte noch an seinen Lippen und er fuhr mit der Zunge darüber, als die Sehnsucht nach einem neuerlichen Schluck davon ihn langsam übermannte. Er wollte… nein er musste wieder tief in ihr sein und ihr Blut schmecken.
Michaels Augen öffneten sich ruckartig, er erkannte Sucht, wenn er sie sah. Kopfschüttelnd beschloss er, dass er einfach nur die überschüssige Energie, die durch ihn strömte, seit er Auroras Blut getrunken hatte, abreagieren musste. Würde der Rauschzustand jemals völlig verschwinden, oder war er dazu verdammt, sich für immer nach diesem ersten Schluck ihres Blutes zu sehnen?
Er trat vom Rand des Dachs und streifte durch die Stadt auf der Suche nach etwas… irgendetwas, das ihn auf andere Gedanken bringen konnte. Er hatte Aurora die Freiheit von Samuel schenken wollen, und er würde nicht Samuels Position als ihr Herr einnehmen.
Er erinnerte sich daran, wie sie die Hände desjenigen gehalten hatte, den sie ihren Bruder nannte… den schönen Skye. Es war eine sanfte Berührung gewesen… weich und kindlich, nicht die Leidenschaft, die sie ihm gezeigt hatte. Er würde ihr die Liebe ihres Bruders zugestehen und würde sich selbst beschäftigen, während er darauf wartete, dass sie zu ihm zurückkam.
Als er durch die Straßen lief, fühlte Michael immer mehr Dämonen… diejenigen, die spät am Abend aus ihren Verstecken kamen und den armen Seelen auflauerten, die sich im Dunklen noch nach draußen wagten. Der Drang zu kämpfen übermannte ihn und er lächelte, wusste, dass er seine überschüssigen Energien dafür verwenden konnte, ein paar Dämonen aus dieser Welt zu entfernen. Er hatte seine Ablenkung gefunden.
Seine Sinne leiteten ihn zu den Slums und sein scharfer Blick sprang von Person zu Person auf der Suche nach dem perfekten Opfer, ähnlich wie die seelenlosen Vampire ihre menschlichen Opfer auswählten… nur sein Ziel lebte mehr auf der dunklen Seite. Er kam an einigen niedrigen Dämonen vorbei, die an einer Straßenecke in einer kleinen Gruppe standen. Nach außen hin erschienen sie wie eine normale Bande Jugendlicher und Michael betrachtete sie genauer, als er an ihnen vorüber spazierte.
Vor seiner Ankunft waren sie laut und ungestüm gewesen, aber als er sich näherte, wurden sie still. Einer seiner Mundwinkel hob sich zu etwas wie einem gemeinen Grinsen, als würde er ihnen still mitteilen, dass er genau wusste, was sie waren. Er machte sich nicht die Mühe, sich noch einmal umzudrehen, als er das Geräusch von Schritten hörte, die sich hinter ihm schnell entfernten. Vielleicht waren die niedrigen Dämonen klüger als er meinte.
An der nächsten Kreuzung sah Michael sich zwischen den Gebäuden und den schmutzigen Straßen um, immer noch auf der Suche. Er wollte gerade weitergehen, als er Macht fühlte… reine, süße, gefährliche Macht. Seine Augen wurden schmal, als er sie sogar riechen konnte und ein Schwindelgefühl stieg in seinen Kopf. Es war keine große Macht, aber sie war stark genug, um in ihm den Drang zu erzeugen, sie zu vernichten.
Das Geräusch eines läutenden Glöckchens ließ ihn den Kopf drehen und seine violetten Augen erblickten eine Frau, die aus einem heruntergekommenen Getränkeladen auf der anderen Straßenseite trat. Sie trug ein Top aus Leder und einen kurzen, durchsichtigen Minirock und Netzstrümpfe, sowie schwarze Stöckelschuhe. Ihr Haar leuchtete in allen Farben von neongrün über pink bis schwarz und blond.
Sie zog eine kleine Flasche Alkohol aus der Tasche in ihrer Hand und öffnete sie. Sie kippte sie in ihren Mund und trank auf einen Zug die Hälfte leer, dann wischte sie mit ihrem Handrücken über ihren Mund. Obwohl sie nach außen hin völlig menschlich wirkte, konnte er das wahre Gesicht des Dämons darunter sehen.
Michael entspannte sich körperlich und mental. Die meisten Dämonen, denen er in der Vergangenheit begegnet war, hatten keine Ahnung, was er wirklich war… sie meinten allerhöchstens, dass er ein Vampir war. Als er fühlte, wie die trügerische Ruhe über ihn schwappte, trat er vom Gehsteig auf die Straße.
Die Dämonin drehte ihren Kopf um ihn anzusehen und lächelte mithilfe des Körpers, den sie gestohlen hatte, um ihr Opfer anzulocken. Michael wusste, dass Dämonen sich auch schon früher von Vampiren ernährt hatten… selbst Misery hatte sie auf diese Art benutzt.
„Schönen Abend, Hübscher“, sagte die Dämonin und klimperte mit ihren langen Wimpern.
Michael kam auf sie zu und streifte mit seiner linken Schulter an ihrer, als er sie umkreiste, während er den Körperkontakt beibehielt.
„Ja, das ist es“, flüsterte Michael, spielte das Spiel mit. „Und wer bist du?“
„Was auch immer du willst, kann ich sein“, flüsterte sie zurück.
„Ich möchte, dass du du bist“, sagte Michael in ihr Ohr, als er wieder vor ihr stehenblieb. Er öffnete mit einem langsamen Lächeln seinen Mund leicht, sodass sie seine Fangzähne sehen konnte, die immer dazu führten, dass er und seine Brüder fälschlicher Weise für Vampire gehalten wurden.
Die Dämonin legte ihren Kopf zur Seite und erwiderte sein Lächeln. „Ich sehe.“
Michael nickte und schloss seinen Mund wieder. „Natürlich.“
„Du kannst mich Morgana nennen.“ Sie schlang ihre Hände um einen seiner Arme und zog ihn mit sich in die Richtung eines alten, einstöckigen Hauses am Ende der Straße.
Sie betraten das Gebäude und Morgana schloss die Tür hinter ihnen. Michael sah sich um und ließ die große Anzahl Leichen, die herumlagen, auf sich wirken. Der Ort stank nach altem Blut und Verwesung… er passte zu der fleischfressenden Dämonin, die seinen Ellbogen umklammerte.
„Gefällt dir mein Haus?“, flüsterte Morgana, dann kicherte sie, als sie sich umdrehte, um ihr Handwerk zu bewundern.
Michael zuckte die Schultern. „Es wird besser aussehen, wenn deine Leiche zwischen den anderen liegt.“
Er duckte sich gerade rechtzeitig, um Morganas plötzlich langen Klauen auszuweichen, die versuchten, seinen Kopf vom Rest seines Körpers zu trennen. Indem er seinen Oberkörper geschickt wendete, rammte Michael seinen Ellbogen in ihren Magen, sodass sie zusammensackte. Seine Faust kam hoch und traf sie genau in die Nase, so fest, dass sie rückwärts durch die Luft flog.
Morgana landete hart am Boden und starrte den Vampir wütend an, ihr Gesicht verzog sich dabei zu einer grotesken Maske als ihr wahres Ich zum Vorschein kam. Ihre nussbraunen Augen wurden lang und blutrot, während ihre Augenbrauen schräg wurden und ihr einst hübscher Mund sich zu einem schrecklichen Lächeln voller schief stehender, kaputter Zähne ausdehnte. Ihre lange Zunge schoss hervor und leckte das Blut weg, das von ihrer flachen Nase tropfte.
Michael verzog das Gesicht… sie war wirklich ekelerregend. Er würde der Stadt eindeutig einen Gefallen tun, wenn er diese hier aus dem Verkehr zog. Solch eine Hässlichkeit ruinierte die Landschaft.
Indem sie rückwärts auf die Wand kletterte, nutzte sie sie als Sprungbrett, um sich wieder auf ihn zu werfen, ihre ausgefahrenen Klauen voraus. Diesmal erwischte sie die Vorderseite seines Hemds und hinterließ ein paar Kratzer… nicht gefährlich aber so, dass er blutete. Er ballte seine rechte Faust und traf die Dämonin ins Gesicht, sodass ihr Kopf sich unnatürlich weit herumdrehte. Nach einem schnellen Tritt in ihr Knie hörte er Knochen brechen. Er fühlte kein Mitleid, denn die Dämonin behauste ohnehin eine Leiche.
Als sie zum zweiten Mal zu Boden sank, näherte Michael sich langsam und packte Morgana am Haar. Er hob sie vom Boden hoch und hielt eine halbe Sekunde lang inne und schloss seine Augen, als der Geruch des Dämonenblutes endlich seine Sinne durchdrang.
„Dämonen sind nichts als monströse Hybriden, die von den Gefallenen Engeln, die eure Eltern waren, ausgestoßen wurden“, zischte Michael, dem plötzlich sehr klar wurde, was ein Dämon wirklich war. Er hatte die schwachen Spuren von Blut von Gefallenen Engeln in Dämonen nie zuvor bemerkt… aber jetzt wusste er, wie sie schmeckten.
Die Gefallenen Engel und die Sonnengötter waren sich in dieser Sache sehr ähnlich… sie konnten Monster erzeugen, wenn sie es wollten. Der einzige Unterschied war die Art, wie sie sie schufen.
Morgana griff nach dem Arm, der ihr Haar hielt und senkte ihre Klauen in das Fleisch, das sie erreichen konnte. Sie schrie auf, als sie plötzlich über dem Boden schwebte und hinunter in wütende, violette Augen blickte. Die billigen Stöckelschuhe fielen zu Boden und sie schloss ihre andere Hand um seinen Nacken, um zu versuchen, sein Rückgrat zu brechen, und sich zu befreien.
Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Körper erschlaffte, als dieser violette Blick sie durchdrang… sodass sie nur noch von ihrem Haar hing.
„Lass mich gehen“, flüsterte Morgana, die es nun mit der Angst zu tun bekam. Sie war stark, eine der stärksten in diesem Teil der Slums, aber dieser Vampir, von dem sie gemeint hatte, dass sie ihn leicht erledigen konnte, war viel stärker als alles, was ihr je begegnet war.
„Dich gehen lassen?“, fragte Michael, als könnte er das Konzept nicht verstehen. „Du hast all diese Menschen und Dämonen getötet und dich von ihnen ernährt, so wie es aussieht, und nun willst du, dass ich dich gehen lasse?“
„Ich kann dir all das Menschenblut besorgen, das du willst“, winselte Morgana. „Ich werde deine Dienerin sein… ich werde sie anlocken und zu dir bringen.“
„Ich brauche keine Hilfe dabei, mein nächstes Mahl zu fangen“, sagte Michael grob. Seine Stimme wurde plötzlich weich: „Aber, meine Liebe… ich traue mich zu wetten, dass Dämonen besser schmecken als Menschen.“
Morgana schrie auf, als plötzlich ein schrecklicher Schmerz durch ihre Schulter schoss und sie fühlte, wie der Vampir das Leben aus ihr saugte, sodass sie ein unmenschliches Heulen hören ließ. Sie wehrte sich wieder und schlug mit ihren Klauen nach ihm, aber die wahre Dunkelheit näherte sich von den Rändern ihres Blickfeldes.
„Wer bist du?“, flüsterte sie mit ihrem letzten Atemzug.
Michael saugte die letzten Tropfen von Morganas Lebensenergie aus ihr, ehe er sie fallen ließt. Er grinste, als ihre Leiche mit einem dumpfen Geräusch am Boden auftraf. Wer hätte gedacht, dass er einen Dämon töten konnte, indem er ihn trank… er wollte wetten, dass selbst die Dämonen diesen kleinen Trick nicht kannten, nachdem die seelenlosen Vampire nur menschliches Blut wollten.
Mit Abscheu schaute er hinunter auf den verschrumpelten Dämon: „Du kannst mich Michael nennen.“
Er landete leichtfüßig am Boden und ging zum Eingang. Mit dem Ärmel wischte er das restliche Blut von seinen Lippen, dann öffnete er die Tür, trat auf den Gehsteig hinaus und rückte seine Jacke zurecht, damit die Risse in seinem Hemd verdeckt wurden.
Michael drehte sich um und ging zurück in die Richtung, aus der er gekommen war, als er eine große Gruppe Dämonen bemerkte, die nun vor dem Eingang des Hauses standen. Sie mussten Morganas Untertanen gewesen sein, die denjenigen sehen wollten, der ihre Herrin vernichtet hatte. Diese Kreaturen zeigten keinerlei Anzeichen von menschlichem Leben und Michael zollte ihnen keine Achtung, als er ruhig an ihnen vorbei spazierte.
Er hatte erledigt, was er vorgehabt hatte, und keine der anderen Kreaturen hier verdiente seine Aufmerksamkeit… ihre niedrige Macht war seine Zeit nicht wert. Je mehr Macht ein Dämon hatte, umso mehr würde er schmecken wie das Blut der Gefallenen Engel… dessen war er sicher.
Der Energieschub von Morganas Blut pulsierte nun warm und schwindelerregend durch seine Adern. Es wärmte ihn und verbesserte seine Sinne… das kannte er schon von den Malen, wo er von Aurora getrunken hatte.
Michael erstarrte, als er seine Gedanken so richtig realisierte. Panik mischte sich sofort zu dem Rausch und der Gedanke an Aurora erzeugte eine schwere Ladung Angst in seinem Magen, gefolgt von einem eiskalten Schaudern. Er erinnerte sich an Kanes Warnung am Dach nachdem sie Samuel erledigt hatten. Er hatte Aurora über die Gefahren davon gewarnt, ihn ihr Blut trinken zu lassen.
Nachdem er nach einer Ausrede suchte, konzentrierte er sich auf die Erinnerung davon, wie Samuel Aurora damit ködern hatte wollen, als er ihr von den Dämonen erzählt hatte, die frei in der Stadt herumliefen und stark genug waren, Gefallene Engel zu töten… Dämonen die schon mehrfach Gefallene Engel ermordet hatten. Diese Dämonenmeister waren eine Gefahr für Aurora… diesbezüglich hatte Samuel nicht gelogen.
Ein langsames Lächeln streichelte Michaels Lippen. Er hatte nun einen guten Grund dafür, von den Dämonen zu trinken, die in Los Angeles freigelassen worden waren. Nicht nur würde er damit Aurora beschützen, sondern er konnte auch seinen Hunger nach ihrem Blut mit dem verdünnten Blut eines Hybriden stillen. Indem er nur kleine Mengen trank, konnte er die unerwünschten Nebeneffekte wie Erdbeben und Tod durch Syn besser kontrollieren.
„Zwei Fliegen mit einer Klappe“, überlegte Michael und steckte seine Hände in seine Hosentaschen, als er sich auf die Suche nach seinem nächsten Opfer machte.
Kapitel 4
Micah seufzte zum hundertsten Mal seit er Alicia angerufen hatte. Bisher war Tasuki sechsmal gegangen, um nach der Wölfin zu sehen, Titus hatte drei weitere Polizisten vertrieben, die Phillip alleine nicht mehr von den Zellen fernhalten konnte und der gefangene Wachmann hatte begonnen, an seinem Handgelenk zu nagen, um eine Flucht aus dem Stuhl zu versuchen.
Natürlich konnte der Wachmann nicht so viel dafür, dass er plötzlich unbedingt verschwinden wollte. Ihnen war langweilig geworden und so hatten sie begonnen, ihn über die Fernsprechanlage damit zu ärgern, dass sie ihm erzählten, was Lucca ihm alles antun würde, wenn er herausfand, dass er ein Spitzel war.
„So wollte ich meinen Tag nicht verbringen“, jammerte Tasuki.
„Ganz deiner Meinung“, murmelte Micah, der hoffte, dass Alicia sich endlich beeilte. Nachdem sie gesagt hatte, dass Damon nicht bei ihr war, wollte er sie nur noch mehr sehen.
Tasuki schielte hinüber zu Micah. „Was ich dich noch fragen wollte: Wie viele Pumas und Jaguare gibt es eigentlich in der Stadt?“
„Mindestens ein paar Hundert“, antwortete Micah. „Aber nicht alle davon sind bei ihrem Rudel. Einige sind zufrieden mit ihren Partnern und versuchen, ein normales Menschenleben zu leben. Ich weiß sogar von einigen, die so tun, als wären sie völlig menschlich… sodass nicht einmal ihre Partnerinnen wissen, dass sie Formwandler sind.“
„Habt ihr nicht irgendwelche Bedürfnisse oder so?“, fragte Tasuki neugierig.
Micah lächelte. „Ja, das ist eines der wenigen Dinge, die Hollywood richtig geraten hat. Wenigstens einmal alle paar Monate müssen wir aus der Stadt hinaus und uns verwandeln. Alles, was die Formwandler, die vorgeben, dass sie Menschen sind, dafür machen müssen, ist zu sagen, dass sie ein Wochenende zelten gehen oder so. Wir können mit normalem Essen und einem normalen Leben sehr gut leben, aber wenn wir nicht ab und zu einmal in der Wildnis wir selbst sein können, werden wir häufig etwas gereizt… oder noch schlimmer.“
Tasuki grinste: „Ich schätze, es ist schon länger her, dass du in der Wildnis warst.“
Micahs böse Antwort kam nicht mehr über seine Lippen, als die Eingangstür geöffnet wurde, und er hörte, wie zwei Leute hereinkamen. Er ging zur Zimmertür und öffnete sie einen Spalt um sehen zu können. Ein Teil seiner Freude erstarb, als er sah, dass Damon auch mitgekommen war.
„Mach dir nicht zu viele Hoffnungen, dass ein Sonnengott Ehrfurcht erregend sein könnte… du wirst gleich einen kennenlernen“, bemerkte Micah leicht sarkastisch. „Ich bin immer noch der Meinung, dass es nur ein anderes Wort für Volltrottel ist.“
Tasuki hob eine Augenbraue. „Ist es klug, jemanden mit dem Titel Gott einen Volltrottel zu nennen?“
„Wenn es stimmt“, meinte Micah achselzuckend.
Damon grinste und fragte sich, wie lange der uniformierte Polizist vor der Tür noch auf einem Bein stehen würde. Das hatte er davon, wenn er Alicia sagte, dass sie nicht hinein durfte. Als er Titus auf sie zu kommen sah, fragte er sich innerlich, wie ein Alphawerwolf aussehen würde, der auf seinen Händen umherlief und von unten Befehle erteilte. Damon seufzte, scheinbar war ihm jetzt schon langweilig.
„Alicia, schön, dass du gekommen bist“, sagte Titus und nickte dann Damon halbherzig zur Begrüßung zu. Er musste sich davon abhalten, sein Kinn zu berühren, als er an die Kraft von Damons Schlag bei ihrer ersten Begegnung dachte. Schnell richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Alicia und erblickte die schwarze Ledertasche, die sie trug. „Sind das die Sachen, die du für sie gebracht hast?“
Alicia nickte und gab ihm die Tasche. „Ja, ich habe auch eine Bürste und ein wenig Makeup eingepackt, nur für den Fall.“
Titus lächelte. „Ich bin sicher, sie weiß es sehr zu schätzen. Ich habe sie in die einzige Zelle gelegt, die eine Dusche eingebaut hat. Sie ist keine Gefangene, aber als wir sie gerettet haben, war sie sehr mitgenommen und damit sehr gefährlich, daher mussten wir ihr eine Beruhigungsspritze geben“, erklärte er, wobei er den Teil, dass sie auch noch läufig war, übersprang. „Hoffentlich wird sie sich beruhigen, wenn sie all diese Sachen vorfindet, wenn sie aufwacht. Lass mich ihr das schnell bringen und dann legen wir los.“
Die Muskeln in Damons Kiefer spannten sich an, als er seine Zähne aufeinanderbiss. Er schaute hinunter auf Alicias Kopf und fragte sich, was genau Titus damit gemeint hatte, dass sie ‚loslegen‘ wollten.
Alicia biss sich auf die Lippe, als ihr einfiel, dass sie Damon noch nicht von dem anderen Grund, weshalb sie kommen hatte sollen, erzählt hatte. In dem Versuch, Titus aufzuhalten, fragte sie schnell: „Darf ich sie sehen?“
Titus zuckte die Schultern. „Wieso nicht.“
Er führte Alicia und ihren stattlichen Partner durch die Tür, die zu den Zellen führte. Als sie zur Zelle kamen, zog Titus schnell die Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Nachdem er die Tasche auf den Boden neben das Bett gelegt hatte, entfernte er sich schnell wieder.
„Sie ist hübsch“, flüsterte Alicia, der sie leidtat. „Es sieht so aus, als wäre sie seit Wochen in ihrer Wolfsgestalt… das ist gefährlich, nicht wahr?“
„Ja, ich hoffe, dass sie sich hier sicher genug fühlt, um sich wieder zurückzuverwandeln, wenn sie aufwacht“, antwortete Titus.
„Sie ist noch kaum erwachsen“, bemerkte Damon, dann legte er einen Arm um Alicia, als er ihr Mitgefühl spürte.
„Boris schätzte sie ungefähr zwanzig“, entgegnete Titus.
„Arme Frau“, sagte Alicia leise und plötzlich hatte sie sehr viel Lust dazu, den Mann ihrer Gedankenkontrolle zu unterwerfen. Wenn er hierfür verantwortlich war… ihre Augen wurden ein wenig schmäler, als sie sich überlegte, wie man ein solches Verbrechen bestrafen konnte.
Micah hatte perfektes Timing, kam gerade aus dem Beobachtungsraum, als sie wieder zurückkamen. Er riss sogar seine Augen ein wenig auf, um Überraschung vorzutäuschen, als hätte er nicht gewusst, dass sie schon angekommen war.
„Da ist ja meine verlorene Schwester“, sagte er freudig und wurde mit einer festen Umarmung begrüßt. Zu Micahs Enttäuschung ließ Alicia ihn gleich wieder los, aber er nahm an, dass Damon eifersüchtig werden würde, wenn sie einander zu lange umarmten.
„Wie geht es dir?“, fragte Micah, während er eine blonde Strähne aus ihren Augen strich.
„Gut“, antwortete Alicia und zwinkerte dann Damon zu, in der Hoffnung, ihn positiv zu stimmen, bevor sie die Bombe platzen ließen und er den anderen Grund, weshalb sie gekommen war, erfuhr. „Es tut mir leid, dass du mich so selten siehst, aber mein Partner hat die Angewohnheit, mich tagelang zu einer willigen Gefangenen zu machen.“
Damon grinste über Alicias Wortwahl, dann schaute er über Micahs Schulter, als er einen anderen Mann sah, der aus demselben Zimmer kam, in dem Micah gewesen war. Seine Stirn legte sich in leichte Falten über die merkwürdige Aura des Mannes. Obwohl er Seelen nicht sehen konnte, so wie Gefallene Engel es konnten, konnte er die Aura um Menschen meistens lesen, wenn er sich anstrengte. Bei diesem Mann hier brauchte er sich nicht anzustrengen… er leuchtete von innen fluoreszierend blau.
„Das ist Tasuki, einer der menschlichen Polizisten“, stellte Micah ihn vor. „Trevor hat zufällig herausgefunden, dass Tasuki von der Existenz der Paranormalen wusste, also wurde er in unsere Abteilung versetzt.“
Menschlich? Damon grinste über ihre Unwissenheit. Dieser Mann war so viel mehr als ein einfacher Mensch.
„Du musst Alicia sein“, sagte Tasuki mit einem offenen Lächeln und streckte dann Damon seine Hand hin, nachdem er aus Micahs Beschwerden schon genug über Damons Temperament erfahren hatte. „Es freut mich, euch beide kennenzulernen.“
Damon starrte einen Moment auf die Hand, ehe er sie ergriff. Dieser Mann stellte keine Gefahr für Alicia dar, also würde er ihn nicht auffliegen lassen.
„Also, wo ist der Werwolf, den ich meiner Gedankenkontrolle unterwerfen soll?“, fragte Alicia. „Ich nehme an, er ist einer der Typen, die die Frau entführt haben?“
Damon schaute wieder hinunter auf den Kopf seiner Partnerin, diesmal wütend. „Du hast nichts davon gesagt, dass du einen Werwolf deiner Gedankenkontrolle unterwerfen sollst.“
„Du hast mir auch nicht wirklich die Gelegenheit dafür gegeben“, sagte Alicia trotzig. „Übrigens, du schuldest mir was.“
„Ich habe die Wette nicht angenommen“, sagte Damon mit einem teuflischen Grinsen.“
„Zu dumm“, sagte Alicia mitleidig und lachte fast, als sie sah, wie Damons Augen schmal wurden, als er sie ansah. Schnell richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgabe, die vor ihr lag, ehe Damon einen Weg finden konnte, um sie aufzuhalten. „Ich werde diesen Mistkerl dazu bringen, dass er alles ausplaudert, bis zu seinen kleinen Sünden in der Schule, wenn du mich zu ihm bringst.“
Tasuki trat zur Seite und zeigte mit der Hand auf den Beobachtungsraum. „Dein Opfer ist hier drinnen.“
Alicia betrat das kleine Zimmer, Damon und Micah ihr dicht auf den Fersen.
Tasuki schenkte Titus ein wissendes Grinsen über deren beschützerisches Verhalten, ehe er sich zu ihnen gesellte.
Titus grinste nur kopfschüttelnd. Diese beiden würden sich wohl nie ändern, aber zumindest war es unterhaltsam, ihnen zuzusehen.
Alle fünf schauten durch das verspiegelte Fenster auf den Werwolf im Befragungsraum auf der anderen Seite der Glasscheibe. Der verdammte Idiot versuchte immer noch, sich aus dem Stuhl zu befreien. Beide Handgelenke und seine Füße waren angekettet. Mittlerweile hatte er es geschafft, die Schrauben, die den Stuhl im Boden verankert hatten, zu lockern und schaukelte nun vor und zurück, um den Stuhl zum Sturz zu bringen.
„Fünf Dollar darauf, dass er umfällt und sich den Kopf verletzt“, sagte Tasuki plötzlich.
Damon grinste über den Versuch des ‚Menschen‘ lustig zu sein.
„Zehn Dollar, dass er einfach umfällt und versucht, sich zur Tür zu bewegen“, nahm Micah die Wette an und die beiden Männer setzten sich, um zuzusehen.
Damons Grinsen wurde breiter, als er beschloss… ein wenig nachzuhelfen. Als der Wolf den Stuhl wieder bewegte, fiel er um und der Mann traf mit dem Kopf am Boden auf… so fest, dass er bewusstlos wurde.
Tasuki unterdrückte halb ein Lachen und streckte seine Hand aus, um Micah zu signalisieren, dass er ihm Geld schuldete.
„Ja,ja, Anfängerglück“, sagte Micah gutmütig, zog seine Brieftasche heraus gab Tasuki einen Zehner.
„Es war schön, mit dir Geschäfte zu machen“, sagte Tasuki und steckte die Banknote ein. „Wollen wir wetten, wie lange er außer Gefecht ist?“
Alicia hatte den Werwolf ruhig beobachtet. Sie hatte gedacht, dass sie zumindest ein wenig nervös sein würde, aber erstaunlicher Weise kam das Gefühl gar nicht auf. Sie fühlte sich mutig und holte tief Luft, wusste, dass es Damon nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte.
„Lasst mich ein paar Minuten mit ihm alleine“, sagte Alicia.
„Das glaube ich nicht“, knurrte Damon überhaupt nicht begeistert.
Alicia zeigte ihm einen Schmollmund. „Und wie erwartest du, dass ich irgendetwas lernen soll, wenn du immer da bist, um mir zu helfen?“
„Ich werde immer da sein, um dir zu helfen“, korrigierte Damon.
„Ach ja?“. Alicia stemmte ihre Hände in ihre Hüften, als sie beschloss, dass sie mit einem umwerfenden Augenaufschlag diesmal nicht weit kommen würde, also probierte sie es mit der Wahrheit. „Was ist, wenn wir irgendwie getrennt werden, und ich muss eine gefährliche Situation… alleine bewältigen?“
„Du wirst nicht alleine in das Zimmer gehen“, beharrte Damon und verschränkte die Arme vor seiner Brust.
„Weißt du, es wäre schön, wenn du mir genug vertrauen würdest, dass ich auch einmal was alleine machen kann, statt immer ein verdammtes Kindermädchen zu haben.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu. „Du bist schlimmer als meine Brüder.“
Damon zog seine Augenbrauen zusammen, als er Alicias Rücken betrachtete, während Micahs Gesichtsausdruck verletzt erschien.
„Könntest du nicht mit ihr hineingehen und sie zumindest alleine probieren lassen, ehe du ihr hilfst?“, fragte Micah, der ausnahmsweise einmal Frieden mit Damon schließen wollte.
Alicia schaute über ihre Schulter auf Damon, denn Micahs Vorschlag klang vernünftig.
„Wir brauchen wirklich jedes Bisschen Information, das wir von ihm bekommen können. Ich weiß sicher, dass die Frauen, die wir heute Nacht befreit haben, nicht die einzigen sind, die unsere Hilfe brauchen“, fügte Titus noch einen Grund hinzu. „Dieser Typ weiß vielleicht, wo noch mehr versteckt sind.“
Damon seufzte innerlich, als er zusah, wie ein betroffener Blick über Alicias Gesicht huschte. Er wurde zu weich. „In Ordnung, Alicia, wir werden beide in das Zimmer gehen, aber der Werwolf gehört dir alleine.“
Alicias Gesichtsausdruck veränderte sich und sie lächelte Damon an, ehe sie ihre Arme um ihn schlang und ihn dankbar umarmte. Einige Leute verstanden Damon wohl nicht, aber sie tat es… und sie liebte jeden Zentimeter von ihm.
Tasuki führte das Paar in das Befragungszimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Er gesellte sich schnell wieder zu Micah und Titus, damit er zuschauen konnte. Micah drehte einen Stuhl um und setzte sich hin, die Lehne zischen seinen Beinen, die Arme auf der Lehne verschränkt. Titus lehnte sich an die Wand neben dem Fenster, während Tasuki es sich auf der anderen Seite ebenso gemütlich machte.
„Was genau wird sie tun?“, fragte Tasuki, als er zusah, wie Damon sich bückte und den Stuhl des Mannes wieder aufrichtete, obwohl dieser noch immer bewusstlos war.
„Weißt du, wie Vampire in Filmen Menschen hypnotisieren, sodass sie Dinge tun, die sie normalerweise nicht tun würden?“, fragte Micah.
Tasuki zuckte die Schultern. „Das schon… aber ich dachte, nachdem sie eine Formwandlerin ist, so wie du, wird sie das nicht können, und außerdem habe ich mein Vertrauen in Filme schon längst verloren.“
„Normalerweise hat ein Formwandler diese Fähigkeit nicht“, erklärte Titus. „Aber Alicia ist ein anderer Fall. Die Partnerin eines Sonnengottes zu sein, hat Vorteile.“
Tasuki seufzte schwer. „Und wann werdet ihr mir erzählen, was ein Sonnengott ist?“
„Wenn wir es herausgefunden haben“, antwortete Micah selbstgefällig, als hätte er gerade das Welthungerproblem gelöst.
Der Werwolf öffnete seine Augen und warf sich plötzlich in seinem Stuhl vorwärts auf Alicia, knurrend und fauchend. „Typisch… jetzt schicken sie ausgerechnet eine Miezekatze.“
Die Bemerkung über Alicias Katzenerbe ließ Damon reagieren und bevor irgendjemand auch nur mit der Wimper zucken konnte, stand er einen halben Meter vor dem Werwolf, eine Hand um den Hals des Mannes gelegt. Zu jedermanns Schock stand Alicia plötzlich zwischen den beiden, einen wütenden Blick auf Damon gerichtet.
„Du hast es versprochen“, zischte Alicia. „Und ich nehmen an… nichts ist schwieriger meiner Gedankenkontrolle zu unterwerfen, als eine Leiche.“
Während Damon den Hals losließ, schoss er einen brandgefährlichen Blick auf den Werwolf ab, als seine violetten Augen sich verdunkelten.
Der Werwolf schluckte, als sein Stuhl zu wackeln begann und der Tisch sich gegen die Schrauben stemmte, die ihn am Boden festhielten. Eine der Schrauben schoss plötzlich aus ihrer Verankerung und klang fast wie ein Schuss in der Totenstille.
„Damon!“, schrie Alicia.
„Ich will nur sichergehen, dass wir uns verstehen“, sagte Damon und lehnte sich dann an die Wand auf der anderen Seite des Tischs.
„Wenn er es nicht verstanden hat… ich schon“, flüsterte Tasuki, obwohl die Gegensprechanlage im Moment stumm geschaltet war.
Alicia ging zu dem anderen Stuhl am Tisch und setzte sich hin, um dem Werwolf, der nun nachdenklich aussah, anzusehen.
„Was, zur Hölle, willst du?“, fragte der Wolf, der mittlerweile zu dem Schluss gekommen war, dass er sowieso sterben würde, egal ob er redete oder nicht. „Meinen sie, dass sie mich zum Reden bringen, indem sie ein hübsches Mädchen herschicken?“ Er lehnte sich ein wenig nach vor. „Es gibt nichts, was du tun kannst, wodurch ich mich gegen Lucca wenden würde. Ich muss dir etwas sagen, Süße, ich habe einen verdammten Harem, der da draußen auf mich wartet.“
Alicia lächelte sanft und beugte sich nach vor. „Da bin ich mir sicher, aber bevor du zu ihnen gehst, willst du noch meine Fragen beantworten. Ich suche eine Freundin von mir… sie ist verschwunden und ich wollte wissen, ob du sie gesehen hast.“
„Ich habe eine Menge Frauen gesehen“, sagte er mit einem gemeinen Grinsen, wobei er überhaupt nicht bemerkte, dass er schon gehorchte. „Aber ich habe schon lange keine Pumas unter meine liebenden Fittiche genommen.“
„Sie ist kein Puma“, sagte Alicia und legte ihren Kopf zur Seite, wurde ein wenig übermütig, als der Kopf des Wolfs ihrer Bewegung folgte. Sie zeigte ihre Überraschung nach außen nicht, als sie plötzlich ein merkwürdiges Bild von einer anderen Frau sah, und erkannte, dass es seine Gedanken waren, die sie sah… nicht ihre.
Alicia beschloss, die wenigen Erinnerungen, die sie wie Blitzlichter in seinem Kopf sehen konnte, zu ihrem Vorteil zu nutzen. „Meine Freundin ist ein Mensch, rotblondes Haar, grüne Augen und auf ihrem Rücken hat sie eine Tätowierung von Händen, die einen Kristall halten.“
Der Wachmann zog genervt seine Stirn in Falten. „Ja… diese heiße Nummer hatten wir vor ein paar Wochen. Lucca hat sie selbst genommen. Er nimmt sich die Guten immer selbst.“
Alicia legte ihren Kopf zur anderen Seite und er folgte ihr. „Wo ist Lucca?“, fragte sie sanft.
„Weiß nicht“, antwortete der Wolf mürrisch. „Er ist klug… erzählt nicht jedem alles… weißt du? Er hat so viele von uns, die in verschiedenen Bereichen arbeiten… niemand weiß, wo die anderen Bereiche sind. Damit wir, wenn wir auffliegen, die anderen nicht verraten können.“
Alicias Augen wurden größer, ihre Pupillen dehnten sich aus und sie zog den Werwolf noch tiefer in ihre Kontrolle. Seine Antworten wollten sie wütend machen, aber sie hielt die Emotion zurück.
„Wo findet ihr die meisten Frauen, die ihr entführt?“, wollte sie wissen.
„Manchmal in Tanzclubs oder dem schlechten Teil der Stadt, wo die Obdachlosen einfache Beute sind… niemand kümmert sich um sie und niemand wird sie vermissen.“
„In den Slums“, meinte Micah nachdenklich. „Das klingt logisch.“
„Wieso?“, fragte Titus.
„Alicia hat dort vor einiger Zeit schlechte Bekanntschaften gemacht“, antwortete Micah, als er sich an die beiden Werwölfe erinnerte, die sie in der Seitengasse ausgesaugt hatte. Er schob die Erinnerung weit weg. „Es ist keine schöne Gegend… viele Drogendealer und Prostituierte. Es gibt dort auch jede Menge Dämonenaktivität.“
„Und meine Freundin? Wo habt ihr sie gefunden?“, fragte Alicia, denn in der Erinnerung des Mannes hatte die Kleidung der Frau eher wie ein Abendkleid einer reichen Frau ausgesehen.
„Sie und diese Werwölfin haben vor über einem Monat gemeinsam im Night Light getanzt. Parker hat eine Droge in ihre Getränke gegeben und die beiden wussten nicht mehr, wie ihnen geschah.“
Micahs Stuhl fiel um, als er so schnell aufstand. „Sie haben sie einen Monat lang in diesem Käfig gehalten!“, donnerte er, unbeschreiblich wütend darüber, dass Frauen aus seinem Club entführt worden waren. „Ich hatte schon den Verdacht. Darum habe ich Anthony damit konfrontiert.“
Titus hob seine Hand abwehrend in Richtung Micah und drückte den Knopf der Gegensprechanlage. „Alicia, kannst du die Erinnerungen dieses Mannes verändern?“
„Es gibt viele Dinge, die ich im Moment mit ihm machen könnte“, sagte sie, ohne den gefangenen Werwolf aus den Augen zu lassen.
„Wir können ihn vielleicht später noch gebrauchen“, bemerkte Titus.
„Also willst du, dass ich seine Erinnerungen so verändere, dass er den Rest seines Lebens brav ist?“
Titus hob eine Augenbraue. „Das ist keine schlechte Idee… überzeuge ihn, dass er Teil meines Rudels ist und dass Lucca sein Feind ist. Und wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich, dass du mit den anderen vier Wachen, die wir gefunden haben, dasselbe machst.“
„Du könntest ihn dir gegenüber loyal machen und dann als Spion zurück zu Lucca schicken“, schlug Damon vor, wissend, dass Titus ihn hören konnte.
Titus zögerte, bevor er die Gegensprechanlage wieder anschaltete. „Werde ich ihm vollständig vertrauen können?“
„Alicia?“ Damon grinste, denn er wusste, dass sie diesen Typen am liebsten dazu bringen würde, seine eigenen Augen auszukratzen und seine Zunge zu verschlucken.
„Klar doch“, sagte Alicia mit einem zuckersüßen Lächeln.
Titus lächelte zufrieden, als Alicia noch ein paar ihrer eigenen Regeln hinzufügte… etwa, dass er an seinen freien Abenden Schwulenbars besuchte, und nie wieder eine Frau jeglicher Rasse sexuell anziehend fand
„Autsch“, sagte Micah und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Ich habe noch nie so etwas gesehen“, flüsterte Tasuki.
Micah grunzte, als er das Lachen zurückhalten wollte. „Willkommen in unserer Welt. Das ist noch der normale Alltag verglichen mit einigen Dingen, die hier vor sich gehen.“
„Sieht so aus, als wäre sie fertig“, sagte Titus und drückte sich von der Wand ab, gerade als die Tür aufging.
„War das gut genug für dich?“, fragte Alicia grinsend.
„Perfekt wie immer“, lobte Micah.
„Ich bringe dich rüber auf die Polizeiwache, damit du mit den anderen arbeiten kannst“, sagte Titus aber schielte hinüber zu Damon, um seine Zustimmung einzuholen.
Alicia ging zu ihrem Bruder und umarmte Micah noch einmal. „Danke, dass du mich hier helfen lassen hast. Ich fand es richtig schön, gebraucht zu werden, und wenn ihr noch mehr böse Jungs schnappt, die eine Verbesserung brauchen können, ruft mich einfach an.“ Schnell löste sie sich aus seinen Armen und folgte Titus zur Tür hinaus.
Micah grinste ihr nach, aber sein Gesichtsausdruck wurde sofort wieder ernst, als er Damons Blick sah, der ihn aufspießte. Mit einem schweren Seufzen schüttelte er seinen Kopf und verdrehte die Augen, ehe er sich von dem Mann abwandte. Micah lehnte sich neben die Glasscheibe und betrachtete den Werwolf ausführlich, plötzlich blinzelte er überrascht, als ein Sprung im Glas direkt vor seinem Gesicht erschien.
Tasuki entfernte sich einen Schritt von dem Puma, als er einen goldenen Glanz in seinen Augen erscheinen sah. Der Anblick von goldenen Augen stachelte seine Erinnerungen an und das Bild des Mannes mit den goldenen Augen, den Kyoko einen Engel genannt hatte, suchte ihn heim. Die Geräusche im Zimmer entfernten sich und Tasuki schüttelte die Vision schnell wieder ab, als Micah mit der Faust in die Glasscheibe schlug. Das Fenster zersplitterte und der Werwolf, der noch im Befragungsraum saß, fuhr erschrocken zusammen.
„Beruhige dich“, sagte Tasuki leise.
Micah schüttelte seinen Kopf. „Er hält Alicia von ihrer Familie fern und denkt, dass alle nur auf eine Gelegenheit warten, sie ihm wegzunehmen.“
Tasuki verließ das kleine Zimmer und ging zum Aufenthaltsraum, sein Ziel… die Kaffeemaschine. Er hatte das Gefühl, dass, mit all den Visionen, die er hatte… Schlaf wohl keine gute Idee wäre. Bisher hatte er es zwei Tage ohne Schlaf durchgehalten… was würde ein weiterer schon ausmachen? Es war ja nicht so, als könnte er plötzlich verrückt werden, oder so… man musste normal sein, damit das geschehen konnte.
Nach ein paar Minuten völliger Stille ging Tasuki zu den Gefängniszellen, aber blieb stehen, als die Eingangstür geöffnet wurde, und Titus mit einem Grinsen auf seinem Gesicht eintrat.
„Damon scheint es ein wenig eilig zu haben, also programmiert er drei der Wachmänner gleichzeitig um, während Alicia den letzten bearbeitet“, erklärte er.
„Typisch“, rief Micah aus dem Beobachtungsraum.
Tasuki beschloss, die Bemerkung zu ignorieren. „Was ist mit dem ‚Herrn gehe nur noch in Schwulenbars‘, da drinnen?“, fragte er, wobei er mit dem Kopf in die Richtung des Befragungsraums nickte, wo der Werwolf noch immer an den Stuhl gekettet war.
„Wir werden ihn und die anderen Wachleute zu einem größeren Gefängnis auf der anderen Seite der Stadt transportieren. Nur zu dumm, dass sie den Fahrer überwältigen und unterwegs entkommen können werden“, antwortete Titus grinsend.
Tasuki runzelte die Stirn. „Was, wenn Lucca Verdacht schöpft?“
„Wenn wir nur einen der Wachmänner gehen lassen hätten, dann hast du recht… Lucca würde schnell Verdacht schöpfen. Darum lasse ich sie als Gruppe entkommen, sich gewaltsam den Weg aus dem Polizeigewahrsam kämpfen. Lucca wird ihnen wahrscheinlich noch eine verdammte Beförderung geben, dafür, dass sie uns eins auswischen“, antwortete Titus, der im Stillen Damon für die Idee dankbar war. „Übrigens, du musst etwas für mich tun.“
„Was denn?“, fragte Tasuki.
Titus hielt ihm die leere Parfumflasche hin. „Fahr zum Hexenbräu und kauf noch eine Flasche von dem Zeug.“
Tasuki griff nach der Flasche und hob eine Augenbraue über die geringe Größe. „Soll ich gleich mehr als nur eine kaufen?“
„Keine schlechte Idee“, antwortete Titus und drehte den Kopf, als er Micah knurren hörte. „Ich sollte wohl besser da reingehen, bevor Micah seine Frustration an diesem armen Typen auslässt.“
Kapitel 5
Jade zuckte, als sie Glas brechen hörte und öffnete ihre Augen einen Spalt weit. Nachdem sie erwartete hatte, den Käfig zu sehen, in dem sie den letzten Monat eingesperrt gewesen war, war sie im ersten Moment sehr verwirrt, als sie erkannte, dass sie auf einer kleinen Liege lag. Man hatte ihr wieder Drogen verabreicht… so viel wusste sie. Sie erinnerte sich noch an das Stechen des Betäubungspfeils, der auf sie geschossen worden war.
Langsam atmete sie ein, schnüffelte an der Luft, um eine Vorstellung von ihrer Umgebung zu bekommen. Die Gerüche hier waren anders… sauberer… nicht schmutzig wie in der Lagerhalle, in der sie gewesen war.
Je mehr die Wirkung des Betäubungsmittels nachließ, umso klarer wurde ihre Sicht. Jade bemerkte, dass die Gitterstangen anders waren, und weiter weg. Ohne sich zu bewegen, um nicht zu verraten, dass sie wieder wach war, suchte sie mit ihrem Blick die Umgebung ab und erkannte, dass sie recht hatte… sie war in einer Gefängniszelle, nicht mehr in dem normalen Käfig. Es war keine große Verbesserung, aber immerhin konnte sie sich weit genug von den Gitterstäben entfernen, sollten sie sie wieder mit diesem dummen Viehtreiber angreifen.
Sie konnte in der Ferne dumpf Stimmen vernehmen und hielt still, wartete darauf, dass all ihre Sinne wieder ganz wach wurden, sodass sie versuchen konnte, zu verstehen, was sie sagten. Sie erkannte den Geruch des Menschen, der sie aus ihrem Käfig befreien hatte wollen, und fühlte sich beruhigt, weil er in der Nähe war. Es gab keine Möglichkeit, die Sorge und das Mitgefühl, das aus seinen Poren geströmt war, vorzutäuschen.
Sie verzog leicht die Nase, als sie den Geruch von einem der Wachmänner aus der Lagerhalle in der Nähe wahrnahm, aber das war nichts im Vergleich zu dem unnachahmlichen Geruch eines Alpha-Mannes. Sie schluckte ihr Knurren hinunter, hasste alle Alpha-Männer und mit gutem Grund… es war der Verrat von mehr als nur einem Alpha gewesen, durch den sie überhaupt erst in dieser Situation gelandet war.
Sie beobachtete durch ihre langen Wimpern wie einer der Männer… offensichtlich der Alpha-Mann, aus dem Zimmer trat und an ihrer Zelle vorbeiging. Sie erinnerte sich daran, wie er neben dem älteren Werwolf gestanden hatte, der mit dem Betäubungspfeil auf sie geschossen hatte. Wieder musste sie ein Knurren zurückhalten, als sein mächtiger Geruch ihr direkt in die Nase strömte. Er hatte wahrscheinlich den Befehl gegeben, ihr ein Betäubungsmittel zu geben.
Nicht weit hinter ihm war der Menschenmann. Sie hielt den Atem an, als der Mann lange genug stehenblieb, um sie anzusehen und zu seufzen, ehe er weiterging.
„Geh und hol ihn da raus“, befahl Titus. „Und sieh zu, dass du dich nicht mit Damon in die Haare kriegst, wenn er noch da ist. Er und deine Schwester waren wirklich eine große Hilfe.“
Jade wartete, als sie Bewegungen hörte und eine neue Stimme etwas darüber murmelte, dass er Urlaub brauchte, ehe Schritte sich ihrer Zelle näherten. Sie sah zuerst den Katzenmenschen… einen stark aussehenden Mann mit schmutzig-blondem Haar und merkwürdig blauen Augen, der mit einer der Wachen aus der Lagerhalle vorbeiging.
Alles um sie herum schien zur Polizei zu gehören, aber hier war der Mann, der sie gefoltert hatte, und lief auf freiem Fuß herum, während sie noch immer in einem Käfig saß. Unfähig ihre Reaktion zu kontrollieren, sprang Jade von der Liege und warf sich auf die Gitterstäbe, die sie von dem Mann trennten.
„Nein!“, rief Tasuki, als er sah, dass die Wölfin wach war und sich gegen das Gitter warf, um zu dem bösen Mann, der zu einem Rudelmitglied geworden war, zu gelangen. „Beruhige dich“, sagte Tasuki und näherte sich vorsichtig der Zelle. „Du wirst dich verletzen.“
Jade fauchte und knurrte noch immer ihren einstigen Folterknecht an, während sie versuchte, sich zwischen den Gitterstangen hindurch zu quetschen. Dies war das Arschloch, dem es eine kranke Freude bereitet hatte, ihr ständig zu erzählen, was er mit ihr machen wollte, wenn die Hormone, die man ihr gespritzt hatte, zu wirken begannen. Wenn sie je in seine Nähe kommen konnte, würde er das eine Körperteil verlieren, mit dem er am meisten geprahlt hatte.
Der Wachmann erstarrte und starrte auf die Gefängniszelle und die Wölfin, als er fühlte, wie sein neues Gewissen sich so stark bemerkbar machte, dass ihm fast übel wurde wegen der Art, wie er sie behandelt hatte. Er atmete schnell ein und hob seine Schultern, fest entschlossen, zu helfen, die anderen Frauen zu befreien, um wiedergutzumachen, was er in der Vergangenheit getan hatte.
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