Blutige Verlockung
Victory Storm
Wenn alle deine Gewissheiten zusammenbrechen und du nicht mehr weißt, wer du bist, bleibt dir nur noch die Flucht. Die Flucht vor ihnen und ihrer Blutgier... nach deinem Blut! Vera hat gerade die Existenz von Vampiren entdeckt und muss nun flüchten. Auf einer Flucht zwischen Dublin und London wird Vera zur Beute einer blutigen und wilden Spezies, denn in ihrem Blut verbirgt sich die Waffe, um alle Vampire zu vernichten. Blake, einer der ältesten und stärksten Vampire der Welt, ist ihr auf der Spur, aber ihnen steht ein seltsames Schicksal bevor. Was ein Kampf zwischen Gut und Böse sein sollte, ist in Wirklichkeit eine seltsame und überwältigende Anziehungskraft, die ihr Leben verändern und Geheimnisse enthüllen wird, die in ihrer beider der Vergangenheit verborgen waren.
Victory Storm
BLUTIGE VERLOCKUNG
Victory Storm
Copyright: ©2020 Victory Storm
Übersetzer: Cornelia Mercuri
Verlag: Tektime
Coverbilder: Alessia Casale – AC Graphics
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Erlaubnis des Autors auf irgendeine Weise, durch Fotokopien, Mikrofilm oder auf andere Weise reproduziert oder verbreitet werden.
Dieses Buch ist eine Fiktion. Die genannten Charaktere und Orte sind Erfindungen des Autors und sollen der Erzählung Wahrhaftigkeit verleihen. Jede Analogie zu lebenden, toten oder toten Tatsachen, Orten und Menschen ist absolut zufällig.
BLUTIGE VERLOCKUNG
BLUTSAGA
Wenn alle deine Gewissheiten zusammenbrechen und du nicht mehr weißt, wer du bist, bleibt dir nur noch die Flucht. Die Flucht vor ihnen und ihrer Blutgier... nach deinem Blut!
Vera hat gerade die Existenz von Vampiren entdeckt und muss nun flüchten. Auf einer Flucht zwischen Dublin und London wird Vera zur Beute einer blutigen und wilden Spezies, denn in ihrem Blut verbirgt sich die Waffe, um alle Vampire zu vernichten. Blake, einer der ältesten und stärksten Vampire der Welt, ist ihr auf der Spur, aber ihnen steht ein seltsames Schicksal bevor. Was ein Kampf zwischen Gut und Böse sein sollte, ist in Wirklichkeit eine seltsame und überwältigende Anziehungskraft, die ihr Leben verändern und Geheimnisse enthüllen wird, die in ihrer beider der Vergangenheit verborgen waren.
PROLOG
16. November 2018
„ Vera Campbell“
Ich nickte.
„ Siebzehn Jahre alt. Braune Haare und Augen, bleiches Gesicht, nicht besonders groß, fast schon zu zierlich … Kurz gesagt, gewöhnlich“ bemerkte die Mutter Oberin geringschätzig und lies ihren Blick über meinen gesamten Körper schweifen, während ich wie eine Violinsaite gespannt vor ihr stand.
Eine weitere Spitze gegen mein eher mittelmäßiges Aussehen. Ich wusste es schon, aber wenn man es so direkt gesagt bekam, wurde die Sache noch offensichtlicher und brutal.
„ Aus den Noten deines letzten Zeugnisses kann ich sehen, dass es auch in Bezug auf die Leistungen kaum etwas Bemerkenswertes gibt“ fuhr die Schwester mit strenger und boshafter Stimme fort, wobei sie durch die Seiten meiner persönlichen Akte blätterte, die ihren mächtigen Schreibtisch bedeckte.
„ Ich hatte in Wahrheit noch nie eine mangelhafte Note in meinem Zeugnis gehabt und versuche, mich zu bemühen …“ protestierte ich. Es genügte schon, dass ich hässlich war, aber dumm - nein!
Außerdem war es ja nicht meine Schuld, dass ich aufgrund meiner schlechten Gesundheit viele Stunden versäumt hatte.
„ Habe ich dir vielleicht erlaubt, zu reden?“ donnerte die Frau voller Abscheu.
Ich fühlte, wie meine Kräfte schwanden. Ich stand schon seit fast zwanzig Minuten in strammer Haltung vor der Leiterin des katholischen Internats, in dem ich sicherlich zumindest die nächsten beiden Monate verbringen würde, weit weg von meiner Tante Cecilia, meiner einzigen wahren Bezugsperson. Ganz zu schweigen von dem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte und was der wahre Grund für meinen erzwungenen Aufenthalt war!
„ Mutter gestorben. Vater unbekannt. Cecilia Campbell, einer Nonne anvertraut, die aus dem Orden ausgetreten ist, um sich um ihre Nicht zu kümmern. Mmh… Hier steht auch, dass du krank bist … Eine sehr seltene Form der Anämie“ las die Mutter Oberin mit einem missbilligenden Ton auf einer anderen Seite.
Es kam mir vor, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen. Ich war es nicht gewohnt, Abscheu zu erregen, wenn von meiner Gesundheit gesprochen wurde. Normalerweise wurde ich von Zuneigung und Verständnis umringt.
„ Es gibt sogar eine Anweisung für deine Ernährung. Reich an Proteinen und viel Schweine- oder Rindfleisch, fast roh. Kein Geflügel“ kommentierte die Frau, so als ob sie eine starke Übelkeit niederringen müsse.
Ich konnte kaum noch nicken. Es kam mir vor, als ob mich diese grauen Augen schonungslos ins Visier nehmen würden, um mich wie Dolche zu durchbohren.
„ Als wenn das noch nicht genug wäre steht hier auch noch, dass du ein Mal im Monat mindestens 50 cl Flüssigkeit aus dem arterio-venösen System von Schweinen oder Rindern trinken musst … das ist ungeheuerlich! Du musst Tierblut trinken? Das ist abscheulich!“ explodierte die Leiterin, die vor Ekel hochrot im Gesicht war und weiter in meiner Akte las, in der sich jemand ganz offenbar die Mühe gemacht hatte, wirklich alles über mich und mein Leben niederzuschreiben.
Ich hätte gerne vorgebracht, dass dies die einzige Möglichkeit gewesen war, mich am Leben zu erhalten und dass meine Tante tausend Opfer gebracht hatte, um mich zu retten, nachdem ich ihr nach dem Tod meiner Mutter, die kurz nach meiner Geburt starb, anvertraut wurde.
Außerdem sagte meine Tante immer, dass das Trinken von Blut gar nicht so schockierend sei, denn in einigen Ländern des Ostens war es üblich, heißes Schlangenblut gegen Rheuma zu trinken. So seltsam war es also gar nicht.
„ Weiß dein Arzt nicht, dass es heutzutage Transfusionen gibt?“
„ Doch, aber leider hat sich herausgestellt, dass mein Körper besser reagiert, wenn auch das Verdauungssystem beteiligt ist, um einen unmittelbareren und länger anhaltenden Nutzen zu haben“, flüsterte ich, wobei ich über die Worte stolperte. Selbst ich hatte nie wirklich verstanden, warum Transfusionen mich nicht so sehr belebten, wie das Trinken meiner „Hämodose“, wie meine Tante und ich es nannten.
Manchmal konnte mich meine Anämie so sehr schwächen, dass ich das Bewusstsein verlor.
Alles, was ich brauchte, war meine „Medizin“ und ich erlangte sofort mein perfektes Gehör und Sehvermögen zurück und das Gefühl der Müdigkeit, das ich davor empfand, verschwand völlig.
Die Mutter Oberin seufzte tief und ließ sich in den harten, schwarzen Sessel sinken, auf dem sie saß, während mir noch nicht einmal ein Stuhl angeboten wurde.
„ Du bist nur hier, weil Kardinal Siringer selbst mich darum gebeten hat, aber ich möchte, dass dir klar ist, dass dies keine Zufluchtsstätte für Außenseiter ist, sondern ein angesehenes Internat, das dem Willen des Herrn folgt und achtet".
Pater Dominick hatte mir bereits von diesem erlauchten Internat erzählt, dem alten Schloss von Melmore, das auf den heiligen Ruinen von Melmore Abbey errichtet worden war, einer der ältesten Abteien, die den verschiedenen Kriegen Irlands standgehalten hatte. Ich wusste, dass ich dort sicher sein würde, aber jetzt kam ich mir vor wie in einem dunklen, kalten Gefängnis. Selbst das Klima war gegen mich. Der Winter stand vor der Tür und ich wusste, dass ich die Sonne jetzt länger nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.
Außerdem war dieses Gebiet berühmt für seine Regenfälle und Nebelbänke.
Wenn ich überleben wollte, musste ich mir etwas Schönes suchen, sonst wäre ich verrückt geworden.
„ Gut. Du kannst gehen. Schwester Agatha wird dich zu deinem Zimmer führen, wo du zwei Uniformen vorfinden wirst, die du immer tragen musst, einen Trainingsanzug und den Stundenplan, den du ab morgen früh einzuhalten hast. Du hast eine Stunde Zeit, um deine Sachen auszupacken und dich einzurichten. Dann ist es Zeit für die Messe in der Kirche. Sei pünktlich“, die Mutter Oberin entließ mich mit einem frostigen Nicken.
Ich fühlte mich, als ob ich Wurzeln geschlagen hätte und schaffte es nur mit Mühe, meine Füße zu bewegen.
Ich sagte nichts. Ich drehte mich um, öffnete die schwere Tür und ging hinaus.
Kaum trat ich aus der Tür des Büros, als eine Nonne mittleren Alters nervös zu mir kam, die die ganze Zeit draußen in einem Stuhl aus dunklen Nussbaumholz auf mich gewartet hatte.
„ Ich bin Schwester Agatha. Du musst Vera Campbell sein, die Neue. Komm. Ich bringe dich in dein neues Zimmer, das du mit Maria Kelson teilen wirst, einem Mädchen in deinem Alter. Sie ist ein wenig schüchtern, aber dem Herrn sehr ergeben... Ich wäre nicht überrascht, wenn sie sich irgendwann entscheiden würde, ihre Gelübde abzulegen“, erklärte die Nonne, in Gedanken versunken.
Vor mir lagen kalte, feuchte Gänge und Treppen aus Stein. Die Stille, die an diesem Ort herrschte, war eisig.
Ich konnte nur den Klang unserer Schritte hören.
Es kam mir vor, als ob ich plötzlich in eine andere Ära katapultiert worden wäre.
Ich hatte ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass solche Orte noch bewohnt oder gar als Internat für Jugendliche genutzt werden könnten.
Ich sah mich immer wieder ehrfürchtig um.
Auf der rechten Seite gab es viele hohe, schmale, gotisch anmutende Fenster, die die Atmosphäre noch unheimlicher machten. Ich war so von der Strenge des Ortes beeindruckt, dass ich kaum auf die Worte der Nonne hörte, die unentwegt weiter plapperte: „Nach den neuen Integrationsgesetzen musste sich auch unser Internat anpassen, so dass diese Einrichtung jetzt sowohl für Männer als auch für Frauen offen ist. Im Erdgeschoss befinden sich die Klassenzimmer, die Turnhalle und die Kantine, während sich im zweiten Stock der Schlafsaal befindet. Der Westflügel ist für die Jungen und der Ostflügel für die Mädchen reserviert. Im dritten Stock befinden sich, wie du ja gesehen hast, die verschiedenen Büros und die Privaträume der Lehrerinnen, sowie eine riesige Bibliothek, zu der du nur mit der Erlaubnis von Schwester Elizabeth Zugang hast. Die Kapelle liegt direkt gegenüber der Gärten und Ställe und nimmt den gesamten Nordflügel ein. Du musst, um dahin zu gelangen, nach draußen und dann um das Internat herumgehen.“
Schwester Agatha sprach weiterhin in ihrem flachen, aber schnellen Tonfall. Auch sie schien nicht besonders freundlich oder warmherzig zu sein. Wie war es möglich, dass niemand ein wenig Mitgefühl für die Neuankömmlinge zeigte?
„ Ich möchte dich auch darauf hinweisen, dass in den Gängen nicht geschrien und gerannt wird und dass du die Uhrzeiten einhalten musst. Um sieben wird gefrühstückt, Mittagessen ist um zwölf und Abendessen gibt es um sieben Uhr abends nach der Messe um sechs. Denk daran, immer deine Schuluniform zu tragen, wenn du dein Zimmer verlässt, und lass deine Sachen nicht in deinem Zimmer herumliegen, sonst werden sie beschlagnahmt und weggeworfen.“
Das war ja schlimmer als in einem Gefängnis!
Wir gingen die Treppe hinunter, liefen einen langen Gang entlang und bogen dann nach links in einen weiteren finsteren, feuchten Korridor mit dunklen Wänden ab.
Ich fühlte, wie die Feuchtigkeit in meine Knochen eindrang und ein Geruch von Schimmel meine Lungen füllte, so dass mir übel wurde.
„ Das ist der Schlafsaal. Dein Zimmer ist die dritte Tür rechts. Ganz hinten ist das Badezimmer. Mach dich fertig, in fünfzig Minuten geht es zum Gebet“, schloss die Nonne, bevor sie ging.
„ Danke“ flüsterte ich, aber es kam nur ein schwacher, kaum vernehmbarer Hauch aus meinem Mund.
Ich ging die letzten paar Meter alleine und öffnete diese schreckliche dunkle Holztür mit der schwarzen Klinke, die mein Zimmer verbarg.
Mir genügte ein kurzer Blick: zwei Betten, zwei Nachttische, zwei Schränke für das Notwendigste, zwei kleine Tische mit zwei Stühlen und ein riesiges Kruzifix in der Mitte.
Auf dem Bett links lag mein Koffer und einige Kleider, während auf dem Stuhl neben dem Bett rechts ein Mädchen saß, das das Buch „In den Händen Gottes“ las.
„ Hallo, ich bin Vera Campbell, deine neue Mitbewohnerin. Du musst Maria sein?“ versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen.
Das Mädchen hob den Blick von dem Buch und nickte lächelnd.
Ihr Gesicht war rund und sommersprossig. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst und ihre grünen Augen sahen freundlich aus.
Sie trug die Uniform, die ich auch bald tragen sollte: ein schlicht geschnittenes, blaues Kostüm, auf dessen Brusttasche das Abzeichen der Abtei gestickt war, und ein weißes Hemd.
Mein erster Gedanke war: Blau steht mir nicht, aber ich war zu müde, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Ich öffnete langsam die Tasche. Sie enthielt nur das Nötigste, das ich hatte zusammenpacken können, bevor ich plötzlich verzweifelt fliehen musste.
Ganz oben auf den Kleiderstapel hatte ich auch ein Bild von mir und Tante Cecilia gelegt, auf dem wir uns vor dem Hoftor umarmten.
Das Bild trieb mir die Tränen in die Augen.
Wie sehr sie mir fehlte!
Ich wünschte, sie wäre hier bei mir!
Sicherlich hätte sie niemals erlaubt, dass jemand so mit mir sprechen würde, wie es die Mutter Oberin gerade getan hatte.
Ich stellte das Bild auf den Nachttisch. Ich wollte sie so nah wie möglich bei mir haben.
„ Entschuldige, aber das Foto solltest du besser in der Schublade des Nachttisches aufbewahren, sonst wird es morgen weggeworfen“, warnte mich Maria, als sie auf mich zukam.
„ Aber ich…“.
„ Ja, ich weiß, ich weiß. Das ist mir auch passiert... und am nächsten Morgen war das Bild meiner Großmutter weg. Hör auf mich“, ermutigte sie mich freundlich.
Mit einem traurigen Seufzer legte ich das Bild weg. Es war zu wertvoll, um von irgendjemanden in den Müll geworfen zu werden.
Ich räumte meine Kleider und persönlichen Sachen ein.
Ich war gerade dabei, den Koffer wegzuräumen, als ich merkte, dass etwas fehlte.
Der Schminkkasten!
„ Mein Lippenstift, meine Wimperntusche, mein Lidschatten... sie sind nicht mehr da!“, rief ich empört.
Ich sah Maria an.
Sie zuckte nur mit den Schultern und erklärte: „Weg! Wahrscheinlich haben die Nonnen deine Tasche kontrolliert, wie sie es bei den Neuen immer machen und das, was du hier nicht brauchst, haben sie weggenommen.“
Ich hätte schreien können! Nicht so sehr wegen der weggeworfenen Kosmetika, sondern weil ich es hasste, wenn Leute in meine privaten Angelegenheiten herumschnüffelten!
Nun, am Ende meiner Kräfte, zog ich mich vor Marias verlegenem Blick um, die sich wieder auf den Stuhl gesetzt und ihre Lektüre wiederaufgenommen hatte.
Und ich hatte Recht: Blau stand mir nicht besonders gut!
Ich schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis zur Messe. Ich warf einen letzten Blick auf das Zimmer.
Die Wände waren grau und die Möbel aus dunklem Nussbaumholz.
Einfach deprimierend. Wie alles andere auch.
Ich warf den Koffer auf den Boden und lies mich auf das Bett fallen.
Ich wollte einfach nur vergessen. Ich schloss meine Augen.
Sofort sah ich das Bild zweier eisfarbener Augen in meinem Geist, die mich durchbohrten.
Ein Schauer lief mir über den Rücken.
Voller Angst sprang ich auf.
Schon wieder er! Es war die reinste Qual. Es war seine Schuld, dass ich hier war.
Ich war so erschöpft! Ich hätte so gerne die Stimme meiner Tante Cecilia vernommen, die mich beruhigte, wie sie es immer tat, wenn etwas schief ging.
Ich versuchte, an sie zu denken und mir ihr lächelndes Gesicht vor meine Augen zu rufen, aber ich konnte diese schrecklichen blauen Augen einfach nicht abschütteln.
Schließlich, ohne es zu merken, schlief ich ein.
Ich war erschöpft und unfähig, mir meine Zukunft vorzustellen.
Mein Leben war erst einen Monat zuvor in Stücke gegangen und nun wusste ich nicht mehr, wer ich war und wohin ich gehen sollte.
Alles hatte sich geändert.
ERSTER TEIL
BESUCH
4. Oktober 2018
Vier in Biologie.
Diese schlechte Note konnte ich Tante Cecilia nicht zeigen.
Ich hatte ihr einen Monat lang gesagt, dass ich mein Versagen vom letzten Mal wiedergutmachen würde...
Ich wusste, dass sie mir nicht böse sein würde, aber ich wollte ihr keinen Kummer bereiten, weil sie mir dabei geholfen hatte, mich auf die Klassenarbeit vorzubereiten.
Der Bus hielt vor dem Bauernhof, kurz vor dem Ende der Viale delle Quattro Croci, die vor dem dichten Kiefernwald von Landskare endete.
„ Endstation“ rief mir Joshua, der Fahrer vom Fahrersitz aus zu und lenkte mich von meinen Sorgen ab.
„ Danke. Bis morgen“ grüßte ich ihn zerstreut.
„ Bis morgen Vera.“
Nach ein paar Metern ging ich durch das Hoftor.
Ich sah Ahmed, unseren alten tunesischen Helfer, der gerade dabei war, die Hühner in den Hühnerstall zu treiben.
„ Hallo Ahmed! Wie ist es heute gelaufen?", fragte ich ihn höflich.
Der Mann grunzte.
„ Feuchte Kälte und Rückenschmerzen.“ antwortete Ahmed.
Er war schon immer wortkarg gewesen. Nach zehn Jahren des Zusammenlebens hatte ich jedoch begriffen, dass er wirklich gerne mit mir und meiner Tante zusammen war, aber das regnerische irische Klima hasste, das ihm oft lästige Knochenschmerzen bereitete.
„ Komm, ich sage meiner Tante, sie soll dir die übliche Kompresse machen, dann wird es dir gleich besser gehen", tröstete ich ihn.
Ahmed lächelte mir dankbar zu.
Ohne noch etwas hinzuzufügen tratich durch die Vordertür ins Haus.
Es roch nach Apfelkuchen. Mein Lieblingskuchen.
Das bedeutete zweierlei: Zum einen konnte ich meiner Tante nichts von meiner schlechten Note sagen, um ihr nicht den Tag zu verderben, und zum anderen musste Pater Dominick, der sympathischste und großzügigste Pfarrer der Welt, im Haus sein.
Auch er liebte Apfelkuchen, so dass Tante Cecilia ihn immer backte, wenn er zu Besuch kam.
Ich zog meine Schuhe aus und legte sie zusammen mit meiner Jacke und meinen Rucksack in der Halle ab. Dann ging ins Wohnzimmer, wo Tante Cecilia und Pater Dominick sich nett unterhielten.
„ Hallo.“
„ Vera, mein Schatz, komm herein. Wir haben mit dem Tee auf dich gewartet", lud meine Tante mich mit ihrer sanften, angenehmen Stimme ein, bei der sich immer alle gleich wohl fühlten.
„ Hallo Vera. Es ist erst einen Monat her, aber ich habe das Gefühl, dass du schon wieder größer geworden bist", begrüßte mich der Pfarrer.
„ Wäre ich jedes Mal, wenn du mir das sagst, auch nur einen Zentimeter gewachsen, wäre ich jetzt drei Meter groß.“ entgegnete ich lachend.
Auch Dominick brach in lautes Lachen aus.
Er war nie über meine Witze beleidigt und meine Tante beachtete sie schon gar nicht mehr.
Dann gab es Kuchen. Tante servierte Tee und Apfelkuchen.
Als ich in den duftenden Kuchen biss, fühlte ich mich gleich besser, zumindest so lange, bis meine Tante mich nach der Klassenarbeit fragte und ich mich verschluckte.
„ Wie war es in der Schule?“ fragte sie mich.
„ Gut.“
„ Hat Professor Hupper dir deine Biologiearbeit zurückgegeben?"
Wie war es möglich, dass meine Tante nie etwas vergaß?
Wie machte sie das nur, dass sie immer alles unter Kontrolle hatte?
„ Nein“, log ich und versuchte, mich auf das Aroma des Tees zu konzentrieren.
Wir aßen gerade unseren Kuchen, als das Telefon klingelte.
„ Ich gehe. Wahrscheinlich ist es Duncan McDowell wegen der Sache mit dem Vieh, das ich vorgestern gekauft habe", dachte Tante laut.
Als meine Tante fort war (es war Duncan McDowell am Telefon), schenkte mir Pater Dominick seine volle Aufmerksamkeit.
„ Also, wie geht es dir?“, fragte er mich mit ernstem Blick.
„ Gut.“
„ Hast du darüber nachgedacht, was ich das letzte Mal über Gottes Liebe gesagt habe?"
„ Ja, aber ich habe dir bereits gesagt, dass ich Zweifel an der Gerechtigkeit des Herrn habe. Auf dieser Welt gehen passieren einfach zu viele schreckliche Dinge. Ich kann all diese Liebe, von der du sprichst, nicht sehen.“
„ Sie ist in uns drin.“
„ Ja, aber warum sündigen dann so viele Menschen? „Ganz zu schweigen davon, dass die, die es am wenigsten verdient haben, oft das meiste Glück haben“, erboste ich mich.
Der Priester schüttelte geschlagen den Kopf. Seit Monaten erzählte er mir von Liebe, Barmherzigkeit und göttlicher Gerechtigkeit und ich sprach immer wieder von Episoden täglicher Ungerechtigkeit oder Kriege.
„ Begehst du nie irgendwelche Sünden?“
Jetzt war die Zeit für die Beichte gekommen.
„ Nein, niemals“, forderte ich ihn heraus.
„ Es ist eine Sünde, so etwas überhaupt zu sagen“, warf er mir vor.
„ Ja, das ist es. Wenigstens kann ich jetzt sagen, dass ich gelogen habe. Ich habe also gesündigt." hänselte ich ihn.
Der Pfarrer sah mich einen Moment lang verwirrt an.
„ Ist das alles?“
„ In Wirklichkeit habe ich meiner Tante sogar Geld gestohlen, um Zigaretten zu kaufen, dann habe ich eine meiner Klassenkameradinnen verprügelt und sogar die Biologiearbeit abgeschrieben", schloss ich amüsiert, als ich den schockierten Gesichtsausdruck von Dominick sah.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, in ein lautes Lachen auszubrechen, was den alten Pfarrer einigermaßen beruhigte.
„ Hast du das wirklich alles gemacht?“, murmelte er unsicher.
„ Glaubst du wirklich, dass ich bei all den Problemen, die ich wegen meiner Anämie habe, rauchen kann? Außerdem könnte ich meiner Tante niemals Geld stehlen, die bereits tausend Opfer bringt, um uns durchzubringen. Ihr monatliches Einkommen reicht kaum für uns und wir sind zwei Wochen mit Ahmeds Lohn im Verzug“, stellte ich mit fester Stimme klar.
„ Aber hast du wirklich eine deiner Klassenkameradinnen verprügelt?“
„ Natürlich nicht, obwohl ich zugeben muss, dass ich es furchtbar gern tun würde. Patty Shue ist die ekelhafteste Person der Welt. „Nur weil sie hübsch und witzig ist, hält sie sich für total cool“, regte ich mich auf.
„ Ich habe dir schon gesagt, du musst das Mädchen ignorieren.“
„ Ja, aber ich schaffe es nicht, weil sie sich immer über mich lustig macht. Sie sagt, ich sähe aus wie eine Leiche. Du kannst dir die Jungen in meiner Klasse vorstellen, wenn sie mich mit ihr zusammen sehen. Ein Geist würde besser aussehen!"
„ Beachte sie einfach nicht.“
Ich schnaubte verärgert. Es genügte, über Patty Shue zu reden, um mich in schlechte Laune zu versetzen.
„ Sag mir lieber, ob du bei der Klassenarbeit wirklich abgeschrieben hast,“, fragte er mich und versuchte das Thema zu wechseln.
„ Nein, daher habe ich auch eine Vier bekommen“, gestand ich traurig.
„ Weiß deine Tante das?“
„ Ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll. Ich glaube, diesmal tue ich so, als ob nichts wäre“, überlegte ich.
„ Vera“ ermahnte er mich mit vorwurfsvollem Blick.
„ Ich mache ja nur Spaß.“
„ Hast du vielleicht irgendwas anderes angestellt?“
„ In der Tat, ja.“ flüsterte ich.
„ Was?“
„ Vorgestern habe ich heimlich eine Hämodose genommen.“
Pater Dominick war vor Schreck wie versteinert.
„ Reicht dir eine Dosis alle 20 Tage nicht mehr?“ fragte er mich sehr besorgt.
„ Doch, aber in letzter Zeit habe ich meinen Körper zu stark beansprucht, so dass ich alle Energien verbraucht hatte. In der Schule hatten wir einen Aushilfslehrer für Motorik, der nichts von meinem Problem weiß und so musste ich viele anstrengende Übungen machen".
„ Aber warum hast du es ihm nicht gesagt?“
„ Das wollte ich ja, aber dann fing diese blöde Kuh Patty Shue an, auf den Lehrer einzureden und sagte ihm, dass die 'Kranke', also ich, dies und jenes nicht tun könnte. Da wurde ich wütend. Ich wollte beweisen, dass ich es doch tun kann!“
„ Du hast etwas sehr Dummes getan!“
„ Das verstehst du nicht! Ich bin selber Schuld an meiner Schwäche, denn vorgestern hatte ich den Bus verpasst. Da meine Tante bereits mit Ahmed zum Hof der McDowells gefahren war, um Rinder zu kaufen, bin ich etwa fünf Kilometer gelaufen. Ich kam eine Stunde zu spät zur Schule, aber sie haben mir keine Schwierigkeiten gemacht, weil ich erzählt habe, dass ich mich unterwegs nicht wohlgefühlt hätte.
„ Deine Tante weiß wohl nichts von all dem“, mutmaßte der Pfarrer bekümmert.
„ Nein. Nur Ahmed weiß es, weil er gesehen hat, dass es mir nicht gut ging und ich ihm erzählt habe, was mir passiert ist.“ endete ich.
Gleichzeitig kehrte meine Tante ins Wohnzimmer zurück, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.
„ Worüber habt ihr gesprochen?“
„ Nichts“, antworteten wir wie im Chor.
„ Nun, dagegen habe ich wunderbare Neuigkeiten für Vera. Als ich mit Mr. McDowell sprach, habe ich erfahren, dass sein Sohn Ron sehr gut in Naturwissenschaften ist, also fragte ich ihn, ob er dir Nachhilfe geben würde“, freute sich meine Tante.
„ Was hast du gemacht?“ Ich war wütend. Es stimmte, Ron war ein Genie in Mathematik und Naturwissenschaften, aber er war hochnäsig und wegen seines Atems, der nach toten Mäusen roch, war es besser, ihm nicht zu nahe zu kommen.
„ Du hast richtig gehört, und anscheinend hast du es auch dringend nötig, denn er hat mir gesagt, dass du nach der Klassenarbeit von gestern jetzt einen Durchschnitt von dreieinhalb Punkten hast“, zischte meine Tante.
Dieser eingebildete Verräter! Verdammter Kerl.
Wie konnte er es wagen, meiner Tante von meiner Note zu erzählen?
Ich war ja auch nicht zu seinem Vater gelaufen, um ihm zu sagen, dass sein Sohn dringend Pfefferminzbonbons brauchen würde.
Ich war stocksauer.
„ Wann wolltest du mir sagen, dass die letzte Klassenarbeit auch schief gegangen ist?"
„ Ich weiß nicht. Vielleicht in einem anderen Leben.“ versuchte ich zu scherzen, aber Tante schien überhaupt keinen Sinn für Humor zu haben.
Ich konnte nicht umhin, Pater Dominick anzuschauen, der sich mit dem typischen „Ich hab's-dir-ja-gesagt“ -Ausdruck ins Fäustchen lachte.
Mir wurde klar, dass es Zeit für den Rückzug war.
„ Dann gehe ich jetzt mal lernen." verabschiedete ich mich schüchtern.
„ Ja, das scheint mir angebracht.“ zischte meine Tante bedrohlich.
„ Gut. Also, auf Wiedersehen und viel Spaß ohne mich.“ wandte ich mich an Dominick.
„ Dann bis zum nächsten Mal. Tschüss, Vera“, der Pfarrer umarmte mich.
Ich nahm meinen Rucksack und ein weiteres Stück Kuchen und ging dann nach oben in mein Zimmer, um nachzudenken.
Ich stellte die Tasche auf den leeren Schreibtisch.
Ich hätte so gerne einen Computer darauf gestellt, aber den konnten wir uns leider nicht leisten.
Ich zog mich um, wobei ich versuchte, die kaputte Schranktür vorsichtig zu öffnen, in der Hoffnung, dass Ahmed sie irgendwann reparieren würde. Dann setzte ich mich nachdenklich auf das Bett und aß die letzten Krümel des Kuchens.
Der Aufsatz in Geschichte für den nächsten Tag konnte warten. Ich musste jetzt unbedingt einen Weg finden, um Ron loszuwerden. Ich wäre lieber gestorben, als eine Stunde Biologie mit ihm zu machen.
Ich könnte ihm sagen, dass meine Krankheit ansteckend sei.
Sicherlich hätte ich ihn mit so etwas ganz schnell wieder verscheucht.
Ich legte mich auf mein Bett und fing an, mir tausend Wege auszudenken, wie ich Ron ausweichen und, da ich schon mal dabei war, diese Hexe Patty vernichten könnte.
Irgendwann schlief ich ein und dachte an nichts mehr.
Als ich wieder aufwachte, war es fast Zeit zum Abendbrot.
Meine Kehle brannte, also beschloss ich, in die Küche zu gehen und etwas von dem Grapefruitsaft zu trinken, den ich morgens zum Frühstück geöffnet hatte.
Ich ging die Treppe hinunter, als ich Pater Dominicks Stimme hörte.
„… Hämodose?“.
„ Ja, das wusste ich. Ahmed hat es mir erzählt. Es ging ihr einfach nicht gut, aber ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist. Kam sie dir verändert vor?“, fragte Tante.
„ Nein, keineswegs, aber der Orden ist jetzt hinter ihr her. Sie wollen immer wieder Berichte und noch mehr Berichte, und oft kommt jemand vorbei, um zu sehen, wie es läuft. Anscheinend geben sie sich in ihrer Schule manchmal auch als Vertretungslehrer aus. Es ist eine Schande!“
„ Das Wichtigste ist, dass Vera nichts merkt! Sie muss ihr Leben hier mit mir weiterleben. Ein ruhiges Leben“, murmelte Tante Cecilia mit gebrochener Stimme.
„ Nun beruhige dich doch! Solange Kardinal Montagnard lebt, wird ihr nichts geschehen. Trotz des Drängens von Kardinal Siringer kann der Orden ohne einen Befehl von Montagnard nichts tun, und er würde nie zulassen, dass Vera etwas geschieht“, beruhigte Pater Dominick sie.
„ Ja.“
Sie schwiegen.
Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander und der Pfarrer ging.
Ich stand wie angewurzelt oben auf der Treppe.
Ich hörte das erste Mal von Kardinälen und diesem Orden. Wer waren sie? Was wollten sie?
Was noch wichtiger war, warum waren sie an mir interessiert?
Ich hätte gerne meine Tante um Erklärungen gebeten, aber ich wusste, dass ich es diesmal für mich behalten musste.
Niemand musste wissen, dass ich dieses Gespräch belauscht hatte. Weder meine Tante, noch Ahmed oder Pater Dominick.
Am folgenden Morgen kam ich nur mit Mühe aus dem Bett. Ich hatte bis zwei Uhr morgens an dem Geschichtsaufsatz gearbeitet und konnte dann wegen des Gesprächs, das ich zwischen Tante und Pater Dominick gehört hatte, kein Auge zutun.
Zum x-ten Mal war ich zu spät und musste auf das Frühstück verzichten. Ich stürzte trotz der Ermahnungen meiner Tante, mich nicht zu überanstrengen, aus dem Haus und erwischte gerade noch den Bus.
Ich hatte noch keinen Fuß in die Klasse gesetzt, als sofort Patty Shue auf mich zukam, gefolgt von ihren beiden Freundinnen, Claire und Martha, wobei sie ihre sinnlichen Hüften wiegte, die durch einen atemberaubenden Minirock noch betont wurden, und ihre dicken, scharlachroten Lippen zu einem schelmischen und gehässigen Schmollmund verzog.
„ Vera, sag, wie geht es dir heute? Erwartest du irgendwelche Ohnmachtsanfälle? Nun, falls du ohnmächtig werden solltest, wissen wir, wen wir rufen müssen. Ich bin sicher, Ron würde nicht zögern, dir mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung zu helfen! Vor allem nach seinem Nachhilfeunterricht, dann wirst du es sicher dringend brauchen", grinste die Hexe.
Das mit Ron und mir hatte sich also bereits herumgesprochen.
Wer anders als er hätte mich vor allen anderen so erniedrigen können?
Zum Glück hatte ich gerade eine Hämodose zu mir genommen, so dass ich ausgezeichnet sehen konnte.
Blitzschnell suchte mein vernichtender Blick den Schuldigen.
Da war er!
Ron saß ruhig an seinem Schreibtisch und kopierte Zeichnungen auf ein Blatt Papier.
Ich ging zu ihm.
„ Ron“ sagte ich mit meinem eisigsten Tonfall.
„ Hallo Vera. Sieh mal einer an, ich habe gerade an dich gedacht.“
„ Oh, ja?“
Natürlich, nach dem, was er angerichtet hatte!
„ Ja, ich habe gerade einige einfache Übungen für dich auf dieses Blatt geschrieben. So können wir sie, wenn wir uns das erste Mal treffen, miteinander durchsehen. Auch morgen, wenn du willst. Hier musst du zum Beispiel aufschreiben, wie die verschiedenen Körperteile heißen, die ich für dich gezeichnet habe“, er war ganz aufgeregt und zeigte mir das Blatt.
Ich war fassungslos. War es möglich, dass er gar nicht merkte, was er angerichtet hatte?
Vor diesem Abend hätte jeder gedacht, dass Ron, der den Spitznamen „Fauler Atem“ hatte, und ich zusammen waren.
Ohne Zweifel konnte ich mich für all das bei Patty bedanken.
Ich wusste nicht, wann und wie, aber nach dem Unterricht am Morgen versammelten sich alle in der Cafeteria, wo großer Lärm herrschte.
Am Nachmittag begannen die ersten Blicke und das Grinsen.
Im Bus nach Hause war ich den umlaufenden Gerüchten zufolge bereits seit einem Monat mit Ron verlobt.
Noch ein bisschen länger und sie würden Plakate aufhängen: „Die Love Story zwischen der blassen Vera und Fauler Atem."
Ich war angewidert.
Als ich nach Hause kam, traf ich auf Tante Cecilia, die ihre Haare in einen weichen goldenen Zopf gebunden hatte und eine riesige grüne Schürze trug, da sie vorhatte, Tomatensauce für den Winter einzumachen.
Ich schleuderte ärgerlich die Schuhe von meinen Füßen und warf den Rucksack auf den Boden, bevor ich zu meiner Tante lief und sie mit meinen Problemen überschüttete.
„ Da muss erst einmal Brot mit Honig her“, meinte sie, als sie merkte, wie viel Hass in meiner Stimme war, als ich von Patty und Ron berichtete.
„ Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mir von diesem Idioten Nachhilfeunterricht geben lasse?“ platzte ich heraus.
In der Zwischenzeit bereitete meine Tante mir das Brot zu.
„ Iss, dann beruhigst du dich“ sie reichte mir das Stück Brot und ignorierte meine Worte.
Ich schlang das Brot hinunter, wobei es weiter aus mir hervorsprudelte und ich hier und dort ein paar Krümel ausspuckte. Trotzdem beruhigte ich mich am Ende. Das war der Honig. Der Geschmack des Honigs hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich ausgeübt, wenn ich unruhig oder ärgerlich war.
„ Danke“ murmelte ich zum Schluss.
„ Gut, a du jetzt also einen kleinen Imbiss zu dir genommen hast und dich ausgesprochen hast empfehle ich dir, in dein Zimmer zu gehen und Biologie zu lernen, wenn du willst, dass ich es mir wegen der Nachhilfestunden mit Ron anders überlege,“ bestimmte Tante Cecilia.
„ Oh, danke!“
Ich umarmte sie stürmisch. Ich wusste, dass sie mich verstanden hätte!
„ Du bist meine Lieblingstante!“ fügte ich hinzu.
„ Natürlich, ich bin ja auch deine einzige Tante“.
Wir brachen beide in Lachen aus und danach beeilte ich mich, mit dem Lernen anzufangen.
Ich nahm mir fest vor, meinen Durchschnitt in den wissenschaftlichen Fächern zu verbessern. Drei Tage lang büffelte ich ununterbrochen und meldete mich dann zum Abfragen.
Sieben.
Diese Note reichte, um meine Tante davon zu überzeugen, den Nachhilfeunterricht bei Ron wieder abzusagen.
Ich war im siebten Himmel.
Es war mir egal, ob Ron deshalb beleidigt war, weil er sich abgewiesen vorkam. Als wenn wir wirklich zusammen wären.
Auch Patty war es nicht recht, weil meine Love-Story mit Fauler Atem immer uninteressanter wurde und am Ende völlig zum Erliegen kam.
Eines Tages, als ich aus der Schule kam, lief ich wie üblich durch das Tor, das seit einigen Tagen mehr als üblich quietschte, und schritt auf das Haus zu.
„ Ich muss es ölen“, sagte mir Ahmed, wobei er das Tor meinte, während er nicht weit von mir ein Stück Zaun reparierte.
„ Hallo Ahmed. Wie geht es?“, fragte ich ihn.
„ Heute scheint die Sonne, also geht es mir gut,“ antwortete er mir.
Ich lächelte ihm verständnisvoll zu.
„ Ich mache das Stück hier eben fertig und gehe dann Besorgungen machen,“ fügte er hinzu.
„ Kann ich mitkommen?“
Wenn die Sonne schien konnte man einfach nicht zu Hause bleiben und lernen.
„ Lieber nicht. Pater August ist eben gekommen und ich glaube, er möchte dich sehen,“ antwortete er mir und entfernte sich mit ein paar Brettern in der Hand.
Pater August, dieser alte verkrüppelte Zwerg mit dem bösen Blick.
Weder ich noch meine Tante mochten ihn, trotzdem kam er uns einmal im Monat besuchen.
Tante Cecilia erklärte mir, dass Pater August eigentlich ein netter Mensch war und ihr sehr geholfen hatte, als ich klein war.
Er ihr bei den entstandenen Arztkosten geholfen, als bei mir diese schreckliche Anämie diagnostiziert wurde, so dass er hier immer willkommen war, obwohl er für mich wie eine schleimige und verachtenswerte Kreatur aussah.
Widerwillig betrat ich das Haus.
Meine Tante und Pater August saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa und tranken Kaffee.
„ Liebling, da bist du ja,“ begrüßte mich meine Tante so freundlich wie immer, obwohl ich sofort die Nervosität in ihrer Stimme spürte.
„ Hallo Tante. Guten Tag Pater August.“
„ Vera, wie geht es dir?“, fragte er mich misstrauisch, während er mich von Kopf bis Fuß musterte, als wenn er nach einem Zeichen einer möglichen Verschlechterung meines Gesundheitszustandes oder nach etwas anderem suchen würde.
Bei ihm hatte ich immer Eindruck, als wenn irgendetwas nicht bei mir stimmen würde, auch wenn er versuchte, es vor mir zu verbergen.
Obwohl wir uns schon so viele Jahre kannten, hatte er mir jedoch noch niemals irgendeine Zuneigung gezeigt, so wie Pater Dominick.
„ Gut, danke.“
„ Deine Tante erzählte mir, dass du deine Hämodose immer noch alle drei Wochen nimmst."
„ Ja, gewiss.“
„ Das ist gut. Du musst immer tun, was deine Tante dir sagt und wenn es dir nicht gut geht, musst du es sofort dagen.“
„ Das werde ich.“
„ Gut. Du nimmst immer noch an den Katechismuskursen von Pater Dominick teil, nicht wahr?"
Ich seufzte. Das Verhör machte mich langsam ärgerlich.
Jedes Mal dasselbe.
Ich hasste es, wenn meine Gesundheit zu einer Staatsaffäre wurde.
„ Sieh mal, ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“
„ Ja, ich weiß. Aber es geht mir doch gut, deshalb verstehe ich den Grund all dieser Fragen nicht.“ brach es ärgerlich aus mir heraus.
Der Priester runzelte die Strin.
„ Viele Leute sorgen sich um dich und unternehmen alles, damit du am Leben bleibst. Viele wichtige Leute kümmern sich um deine Gesundheit, wie die Kardinäle Montagnard und Siringer. Du müsstest ein wenig freundlicher sein und das anerkennen!“ flüsterte er mahnend.
Montagnard und Siringer? Schon wieder diese Namen.
So eine Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen.
„ Bitte entschuldigen Sie. Ich wusste nicht, dass ich die Aufmerksamkeit so wichtiger Leute auf mich gezogen habe aber… wer sind die Kardinäle Montagnard und Siringer?“ versuchte ich, mit unschuldiger Stimme zu fragen.
Tante Cecilia hatte ein ganz blasses und angespanntes Gesicht, aber schließlich gelang es ihr, mir zu antworten.
„ Das ist meine Schuld. Sieh mal Vera, in Wirklichkeit habe ich dir eines nie erzählt. Als meine Cousine Annie, also deine Mutter, zu mir kam, war sie schon in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft. Ich war zu der Zeit leider in einem Kloster in Portugal und wusste nichts von ihr. Wir hatten schon viele Jahre nichts mehr voneinander gehört. Es war Kardinal Montagnard, der dann den Kontakt zu uns hergestellt hat, und er war es auch, der sich um dich gekümmert hat, als du geboren wurdest, bevor ich nach Irland zurückkehrte. Leider war deine Mutter bereits begraben worden, als ich in der Klinik ankam, in der ihr ward. Niemand hat jemals den Namen deines Vaters in Erfahrung gebracht, trotz der Nachforschungen von Kardinal Siringer", erklärte Tante Cecilia schwser atmend.
Ich war bestürzt.
„ Warum hast du mir das nie gesagt?“, fragte ich flüsternd.
„ Bitte entschuldige, ich wollte dir nicht noch mehr Schmerz bereiten, Kleines,“ murmelte meine Tante, während ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Ich merkte, dass das Thema sie traurig stimmte.
Ich umarmte sie fest und lächelte ihr zu.
„ Mach dir keine Sorgen.“
Pater August trank in der Zwischenzeit seinen Kaffee aus.
Er war nervös. Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass er zu viel gesagt hatte und beschloss, zu gehen. Vor allem auch, um weitere Fragen zu vermeiden.
Ohne noch etwas hinzuzufügen näherte er sich der Tür.
„ Es ist spät geworden. Ich muss gehen.“ verabschiedete er sich von uns.
Wir erwiderten seinen Gruß und begannen, das Abendessen vorzubereiten, ohne das Thema meiner Mutter und meiner Geburt noch einmal zu berühren, obgleich meine Tante von ihren Enthüllungen noch immer ziemlich erschüttert schien.
Eine Woche verging ohne besondere Neuigkeiten.
Es war ein eisiger Wind aufgekommen und alle blieben lieber zu Hause.
Auch Patty schien sich beruhigt zu haben.
Und ich hatte eine weitere gute Note in Biologie bekommen.
Am Wochenende legte sich der Wind und die herbstliche Sonne kam wieder hervor.
Ich verbrachte den ganzen Samstag damit, Ahmed bei den übliche Hofarbeiten zu helfen. Ich war eigentlich eher sein Hilfsarbeiter.
Wir ölten das Tor, reparierten meine Schranktür und beendeten die Reparatur des Zauns.
„ Kommst du mit, das Hühnerfutter von Kevin zu holen?“ fragte mich Ahmed, der mich ärgern wollte.
Er wusste, dass ich schrecklich in Kevin Moore verknallt war, den Lehrling, der bei John McKaine's Agricenter arbeitete.
Blond, blaue Augen, ein strahlendes und intelligentes Lächeln. Er sah einfach umwerfend gut aus.
Er war sechs Jahre älter als ich und auch verlobt und war seiner schönen Clara Shue treu, Pattys nicht ganz so unausstehlichen Schwester.
Und das sollte die Gerechtigkeit der Welt sein?
Aber trotzdem lief ich ihm nach, in der Hoffnung, dass er mich irgendwann bemerken würde.
Und für ihn wollte ich meinen ersten Kuss aufbewahren. Ich wusste, wie lächerlich das war, aber ich konnte nicht anders.
Ich war gerade dabei, mit Ahmed ins Auto zu steigen, als Pater Dominick aus dem Bus stieg.
Er stieg mühsam aus den Fahrzeug und kam schaukelnd auf uns zu.
Ich musste lächeln. Wenn er ging, sah er aus wie ein Pinguin.
„ Guten Tag. „Wo wollt ihr denn hin?“ fragte er uns mit funkelnden Augen.
„ Hühnerfutter kaufen.“ antwortete ich sofort.
„ Ich kann mir vorstellen, dass dieser Wunsch, zum Agricenter zu fahren, auf der Tatsache beruht, dass du an das Wohlergehen deiner Tiere denkst und nicht an einen gewissen Schönling namens Kevin.“
Ich wurde rot bis an die Haarwurzeln.
Weshalb nur hatte ich ihm davon erzählt? Wieso konnte ich vor den anderen keine Geheimnisse haben?
„ Anstatt dich mit diesen Dingen zu befassen, weshalb gehst du nicht lieber ins Haus und leistest Tante Cecilia Gesellschaft, die Konserven macht, während wir in den Ort fahren? Sag Tante, dass wir gleich wieder da sind, ok?“
„ Übrigens, wie geht es deiner Tante? Sie klang so merkwürdig am Telefon, als sie mich bat, zu kommen.“
„ Eben. Sie hat sich noch nicht richtig wieder von dem Gespräch mit Pater August erholt.“
„ Pater August?“
„ Ja. Diese ganze Geschichte meiner Geburt und der Kardinäle Siringer und Montagnard“ schnitt ich ab, um so schnell wie möglich loszukommen
Bei diesen Worten erblasste Pater Dominick zusehends. Ich konnte ihn gar nicht fragen, ob es ihm gut ging, weil er bereits eilig auf das Haus zustrebte.
Ich wusste nicht, ob ich ihm folgen oder zu Kevin gehen sollte.
Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit und nahm mir vor, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen um zu verstehen, was da vor sich ging.
Eine Viertelstunde Fahrt und da war er, nur ein paar Schritte von mir entfernt, während er einige Bündel Pressholz in den Lastwagen eines alten Mannes lud.
Ich stieg aus dem Auto und näherte mich ihm mit meinem strahlendsten Lächeln.
„ Hallo Kevin,“ rief ich mit einer Stimme, die bestimmt eine Oktave höher war als üblich.
„ Vera, wie schön! Wie geht es dir?“ begrüßte er mich und schaute mich mit seinen blauen Augen an, die mein ganzes Nervensystem durcheinander brachten.
Wie süß! Er war immer so freundlich!
„ Gut, und du?“ fragte ich mit der üblichen Euphorie, die mein Herz erfüllte, wenn ich in seiner Nähe war.
„ Großartig. Ich habe großartige Neuigkeiten, und ich möchte, dass du sie als Erste erfährst, weil du mir eine liebe Freundin bist“, antwortete er mir, während er mir durch die Haare fuhr, so wie er es tat, als ich zehn Jahre alt war. Er war immer so warmherzig zu mir gewesen, weshalb ich nur noch stärker in ihn verliebt war.
Er kam noch näher an mich heran und flüsterte in mein Ohr, was mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte: „Herr McKaine hat mir gestern gesagt, dass er sehr zufrieden mit meiner Arbeit ist. Ich arbeite jetzt ja schon fünf Jahre für ihn. Da hat er mich gefragt, ob ich im Mai, am Ende meiner Lehrzeit, sein Partner werden möchte. Auf diese Weise könnte ich sehr viel mehr verdienen und ernsthaft beginnen, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Weißt du, ein Haus, eine Familie…“.
„ Aber das ist doch großartig!“ .
„ Genau... Und jetzt kommt die zweite und noch wichtigere Bombennachricht...“.
Ich war so aufgeregt und glücklich für ihn, ich konnte es kaum erwarten!
„… Ich habe Clara gefragt, ob sie mich heiraten möchte!“
Mehr als eine Bombe fühlte es sich eher wie eine Landmine an, auf die ich gerade getreten war.
Die leichte Rötung, die meine Wangen in seiner Gegenwart färbte, entwich, und ich spürte, wie meine Mundwinkel nach unten sanken.
„ Geht es dir gut? Du bist ja ganz blass geworden,“ fragte er sofort ganz besorgt.
„ Ach, es ist nur meine Anemie. Du sagtest gerade, dass du heiraten willst?“ brachte trotz meiner Atemnot hervor.
„ Ja, aber natürlich nicht vor Mai! Clara sagt, Anfang Juni wäre der perfekte Zeitpunkt, mit all den blühenden Bäumen und der ersten heißen Sonne, die uns wärmt", schwärmte er.
In diesem Moment wünschte ich ihr nur ein Gewitter mit Blitz und Donner. Er hatte soeben meinen Traum zerstört!
Und außerdem schien es, dass es niemand bemerkt hatte.
Ich versuchte, ihn anzulächeln, brachte es aber nur zu einer Art Grimasse.
„ Kevin, wo hast du die Säcke mit Hafer hingestellt, die heute Morgen angekommen sind?“ schrie John McKaine neben mir mit seiner üblichen Baritonstimme.
In diesem Augenblick hasste ich auch ihn.
Wenn er nicht angeboten hätte, Partner zu werden, hätte Kevin diesen Wahnsinn nie begangen!
Ich war so in meine düsteren Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte, dass Kevin sich zusammen mit seinem Arbeitgeber entfernte.
„ Tschüs Vera. Komm uns bald mal wieder besuchen.“
„ Tschüs Kevin.“
Addio.
Ich stand lange Zeit da und blickte auf seinen sich entfernenden Rücken, bis Ahmed mich aufforderte, nach Hause zu gehen.
„ Vera. Nach Hause.“
„ Ja, ich komme.“
Ich ging zum Auto und stieg ein, wobei ich auf den Agricenter starrte.
Als wir weiter weg waren, hatte ich das Gefühl, wieder zu atmen als traurig zu seufzen.
„ Er heiratet, nicht wahr?“ bemerkte Ahmed.
Wie schön, dass ich es als erste erfahren musste.
Ich beobachtete Ahmed auf der Suche nach einem Hinweis auf eine mögliche Telepathie.
„ McKaine.“
McKaine hatte es ihm gesagt.
Nun fühlte ich mich auch noch von Kevin auf den Arm genommen, aber ich hoffte immer noch auf eine Veränderung.
„ Ja, aber bis Mai kann sich noch viel ändern“, stellte ich in Aussicht.
„ Sie werden heiraten“, prophezeite er überzeugt.
„ Wir werden sehen.“
Ahmed schüttelte den Kopf und machte den Mund erst wieder auf, als wir nach Hause kamen.
Auf den letzten Kilometern dachte ich über tausend Dinge nach, die in sechs Monaten noch passieren konnten.
Währenddessen wartete meine Tante zu Hause mit einem schönen dampfenden Tee und zwei großen Scheiben Apfelkuchen auf uns.
Im Haus herrschte ein Geruch von Kuchen und Äpfeln, der den ganzen Raum erfüllte.
Auf dem Sofa im Wohnzimmer saß Pater Dominic, der immer noch mit seinem Stück Kuchen beschäftigt war. Es war bestimmt schon das zweite oder dritte Stück. Er war ein echtes Leckermaul.
„ Ist alles gut gelaufen“, fragte Tante, die sich über den Einkauf und meinen düsteren Ausdruck Sorgen machte.
„ Futter geholt. Kevin heiratet Clara", fasste Ahmed zusammen, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte.
„ Im Mai und bis dahin kann noch vieles passieren", stellte ich klar.
„ Vera, so etwas darfst du nicht sagen! Es ist offensichtlich, dass Kevin sehr verliebt ist", ermahnte mich meine Tante sofort und freute sich über die zukünftige Vereinigung der beiden jungen Leute.
„ Das ist mir egal! Zuerst Patty und jetzt ihre Schwester! Diese beiden existieren nur, um mein Leben zu ruinieren", brach es aus mir hervor.
„ Möchtest du lieber etwas Brot und Honig statt Kuchen?", schlug mir meine Tante freundlich vor, da sie wusste, wie sehr es mich beruhigte, aber ich wollte mich nicht bestechen lassen.
„ Ich will gar nichts!" explodierte ich, bevor ich in mein Zimmer rannte und die Tür zuschlug, während mir zwei große Tränen über die Wangen rollten.
Ich war verzweifelt! Mein schöner Traum von der Liebe war zerbrochen! Ich wollte diejenige sein, die Kevin im Mai heiraten würde.
Warum musste das Leben so ungerecht sein?
VERÄNDERUNGEN
Ich verbrachte zwei höllische Wochen.
In meinem Inneren wirbelten Gefühle wie Wut, Frustration, Trauer und Rache durcheinander, während ich äußerlich apathisch war und dem Selbstmord nahe schien.
Ich aß nichts, redete nicht mehr und schlief auch nicht mehr.
Ich wurde zusehends schwächer, und als ich mich weigerte, eine Hämodose zu nehmen, wurde Tante Cecilia so besorgt, dass sie Pater Dominick anrief.
„ Wie lange willst du noch so weitermachen?" fragte mich Dominick, als er mein Schweigen nicht mehr ertragen konnte.
„ Für immer" flüsterte ich.
„ Dann bist du eine Närrin. Natürlich hat Kevin auch Schuld, denn er hat dich mit seinen zärtlichen und freundlichen Gesten getäuscht, aber du bist diejenige, die sich ein Luftschloss gebaut hat. Er hat nie gesagt, dass er dich liebt, geschweige denn, dass er mit dir zusammen sein will. Wenn du also eine kindliche Verliebtheit mit Liebe verwechselt hast, liegt die Verantwortung ganz bei dir. Werden endlich erwachsen, denn Liebe ist etwas anderes", brach es aus Dominick hervor.
Es war das erste Mal, dass er so mit mir sprach, und ich hatte es einfach nicht erwartet.
Ich sah ihn überrascht an.
„ Also sag du mir, was Liebe ist!" forderte ich ihn sauer heraus.
„ Es ist ein viel tieferes Gefühl, das sich mit der Zeit aufbaut, und das Zusammensein mit dem anderen in freudigen und schwierigen Momenten. Wenn du Kevin wirklich lieben würdest, wärst du mit seiner Wahl glücklich, denn du würdest nur sein Glück und Wohlergehen wollen. Wahre Liebe ist kein egoistischer Wunsch, wie deiner".
Ich dachte oft an diese so harten und klaren Worte.
Schließlich wurde mir klar, dass Pater Dominick Recht hatte. Außerdem, was wusste ich wirklich über Kevin, außer dass er immer nett zu den Kunden war?
Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nichts über ihn.
Ich wusste nicht, was sein Lieblingsgericht war, welche Art von Musik er hörte, was er in seiner Freizeit gerne tat, abgesehen davon, dass er mit Clara zusammen war, ob er unordentlich oder pingelig war...
Trotzdem konnte ich all diese Jahre nicht vergessen, die ich damit verbracht hatte, über ihn und unsere mögliche Liebesgeschichte zu fantasieren.
Innerhalb weniger Tage begann ich wieder zu essen, zu schlafen und zu reden.
Tante Cecilia war ungeheuer erleichtert, mich wieder fit zu sehen, vor allem nach der Einnahme meiner Hämodose, und so gesprächig wie zuvor. Seit Tagen hatte sie versucht, mich zum Essen zu bewegen, indem sie mir alles Mögliche zubereitete, aber ich hatte allem widerstanden. Selbst meine fortgesetzte Weigerung, mit ihr zu sprechen, hatte sie in den Wahnsinn getrieben.
Am Ende war auch ich froh, wieder der Vera von einst zu sein.
Eines Tages, gegen Abend, klingelte das Telefon.
Ich war in einen der vielen Liebesfilme vertieft, so dass ich nicht darauf geachtet hatte. Also ging meine Tante ans Telefon.
Ich konnte nicht verstehen, was meine Tante sagte, aber mir wurde klar, dass etwas Ernstes passiert sein musste, als sich ihr Tonfall änderte und sie sehr besorgt wurde.
Es war ein sehr kurzes Telefonat.
„ Alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als sie aus der Küche zurückkam, in der unser Telefon stand.
„ Kardinal Montagnard ist leider plötzlich gestorben, er hat einen Herzinfarkt gehabt.“
„ Das tut mir leid. Kanntest du ihn gut?"
„ Ja, ich hing sehr an ihm und schätzte ihn sowohl als Mann als auch als Geistlichen", erklärte mir meine Tante mit Tränen in den Augen.
Es war das erste Mal, dass ich meine Tante traurig über den Verlust von jemandem sah. Ich hatte nicht gedacht, dass sie so leiden könnte.
Tagelang blieb sie aufgrund ihrer quälenden Trauer apathisch und schweigsam.
Schließlich beschloss ich, bis Montag der folgenden Woche zu warten.
In der Schule hatten sie einen Streik gegen das Gesetz zur Lehrerverringerung ausgerufen, so dass ich den ganzen Tag frei haben würde, und ich war entschlossen, mit meiner Tante in die Innenstadt zum Einkaufen zu fahren.
Obwohl mein Budget aufgrund meines mageren Taschengeldes nicht sonderlich groß war, hatte ich mir dennoch vorgenommen, meine gesamten Ersparnisse auszugeben, um ihr ein Geschenk zu machen.
Ich wollte mit ihr in die Geschäfte gehen und ihr ein Parfüm, einen Pullover oder ein Buch kaufen.
Alles, um ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Zu meinem Glück kam verging die Zeit bis zum Montag schnell.
Ich stand zur gewohnten Zeit auf und ging, nachdem ich mich gewaschen und sorgfältig angezogen hatte, in aller Ruhe zum Frühstück hinunter.
„ Vera, es ist schon spät! Du verpasst bestimmt den Bus", ermahnte mich meine Tante, als ich die Küche betrat.
„ Ich muss heute gar nicht in die Schule! Es wird gestreikt", erklärte ich ihr mit einem breiten Lächeln.
„ Ach, ja. Vielleicht hattest du es mir auch gesagt... Ich erinnere mich nicht", antwortete mir meine Tante mit abwesender Stimme.
„ Genau. Außerdem habe ich beschlossen, in die Stadt zu fahren, weil ich ein Buch für die Schule kaufen muss. Kannst du mich bitte begleiten?" log ich. Ich wusste, wenn ich meiner Tante sagen würde, ich wolle mit ihr einkaufen gehen, würde sie niemals zustimmen, aber wenn es sich um Schulsachen handelte, würde sie sofort mitkommen.
„ Sicher, aber nicht jetzt. Ich habe Ahmed versprochen, dass wir über das neue Vieh sprechen würden, das am späten Vormittag ankommen wird, aber ich kann dich bestimmt heute Nachmittag in den Buchladen bringen", erinnerte sie mich.
Also verschob ich mein Projekt.
Ich hasste es, meine Pläne zu ändern, weil dann grundsätzlich noch etwas anderes passierte, um meine Pläne über den Haufen zu werfen.
Ich hätte es ihr am Tag zuvor sagen sollen.
So kam es, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Letztendlich entschied ich mich für den Fernseher.
Mir war einfach nicht danach, auszugehen.
Ich wollte gerade zurück in mein Zimmer, um mich umzuziehen, als es plötzlich an der Tür klingelte.
Ich ging, um zu öffnen.
Es war Dominick, begleitet von zwei großen, robusten, schwarz gekleideten Männern mit einem weißen Kreuz mit einem roten Tropfen in der Mitte, das auf die Jackentasche gestickt war.
Ich war so fasziniert von diesen beiden Riesen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die nun bewegungslos vor meiner Tür standen, dass ich die verstörte Stimme von Pater Dominick gar nicht bemerkte, der mich roh ins Haus drängte und nach meiner Tante rief.
„ Cecilia, ihr müsst weggehen! Jetzt!", schrie Pater Dominick panisch.
„ Was geht hier vor?", fragte ihn meine Tante und versuchte, ihre Angst zu verbergen.
„ Sie wissen alles und sie sind gleich hier!", rief Pater Dominick erneut.
„ Wer sie?“ mischte ich mich besorgt ein.
Niemand antwortete mir, aber ich verstand, dass meine Tante wusste, auf wen sich der Pfarrer bezog, weil sie ihre rechte Hand an den Mund führte und versuchte, einen Schrei zu unterdrücken.
„ Aber wie ist das möglich?", flüsterte meiner Tante mit schwacher Stimme.
„ Sie haben ihn getötet! Sie haben Kardinal Montagnard umgebracht, nachdem sie ihn zum Geständnis gebracht hatten! Jetzt wissen sie alles, und ihr seid hier nicht mehr sicher. Sie werden euch suchen, und wenn sie euch gefunden haben werden sie Vera nehmen und sie töten.
Ich? Was hatte ich damit zu tun?
Ich war so schockiert, dass ich meinen Mund nicht mehr öffnen konnte.
„ Sie haben ihn erschossen und nicht auf ihre übliche Art umgebracht. Deshalb hat der Orden so lange gebraucht, um herauszufinden, wer für den Mord verantwortlich war. Es war definitiv Blake. Nur er und seine Bande sind zu einem solchen Verbrechen fähig. Niemand weiß, was wirklich passiert ist, aber anscheinend hat der Kardinal Blake alles offenbart, wahrscheinlich unter Folter", fuhr Pater Dominick fort.
„ Das ist ja schrecklich!"
„ Ja, und jetzt müsst ihr flüchten. Ich habe bereits ein Zimmer für euch in einem Hotel in Dublin gebucht. Sobald wir dort ankommt, erhalten wir neue Anweisungen von Kardinal Siringer, der sich mit uns treffen will.
„ Aber wie machen wir das?", seufzte meine Tante erschüttert.
Dieser Hof war ihr Zuhause, ihr Leben.
Und meins auch.
„ Wir müssen sofort aufbrechen. Wir werden die ganze Nacht reisen, wenn es sein muss. Auf Befehl von Kardinal Siringer werden wir von zwei vertrauenswürdigen Mitgliedern des Ordens begleitet, die uns zunächst zum Hotel und dann zum Ort des Treffens bringen. Also los! Nehmt, was ihr braucht, und los geht's!", schrie Pater Dominick erneut.
Für einige Sekunden, die mir wie Stunden erschienen, sahen sich meine Tante und der Pfarrer tief in die Augen, dann packte mich meine Tante, wie von einer unerklärlichen Kraft beseelt, am Arm und schleifte mich die Treppe hinauf in mein Zimmer.
An der Tür umarmte sie mich und flüsterte mir leise ins Ohr: „Mach dir keine Sorgen. Ich werde immer da sein, um dich zu verteidigen. Ich lasse nicht zu, dass dir jemand wehtut. So ist es seit siebzehn Jahren, und so wird es immer bleiben, solange ich lebe".
„ Tante, aber was ist denn überhaupt los?", brachte ich hervor.
„ Hab keine Angst. Geh jetzt in dein Zimmer. Du hast drei Minuten, um die Tasche unter deinem Bett mit allem zu füllen, was du für die nächsten Tage brauchst. Sobald wir von hier fort sind, werde ich dir alles erklären. Ich verspreche es dir."
Ich hatte keine andere Wahl.
Ich rannte in mein Zimmer, öffnete den Schrank und begann, die unter dem Bett hervorgezogene Tasche mit Hemden und Hosen zu füllen. Etwas Unterwäsche, meine Schminktasche und meine Ersparnisse. Ich war gerade dabei, den Koffer zu schließen, als ich das Foto bemerkte, das ich immer auf meinem Nachttisch in der Nähe des Bettes aufbewahrte. Es war das Bild von mir und meiner Tante, wie wir uns vor dem Hoftor umarmen.
Ich liebte dieses Bild, das Ahmed vor ein paar Jahren aufgenommen hatte.
Ich nahm das Bild und schloss den Reißverschluss der Tasche.
Ich trat aus meinem Zimmer und schaute es mir noch einmal an. Das war seit meiner Kindheit mein Zimmer, mein Zufluchtsort.
Ich hoffte, eines Tages zurückkehren zu können, aber etwas sagte mir, dass die ein endgültiger Abschied war.
Ich schloss traurig die Tür zu meinem Zimmer.
Sobald ich unten angekommen war, packte mich Pater Dominick an den Schultern und zerrte mich aus dem Haus in Richtung eines schwarzen Autos, das vor dem Tor des Bauernhofs parkte.
Sobald sie mich kommen sahen, stiegen die beiden fremden Männer ins Auto, und der größere setzte sich ans Steuer.
„ Wer sind die beiden?", fragte ich.
„ Es ist keine Zeit für Erklärungen", schnitt der Priester mir das Wort ab und stieß mich ins Auto, um dann meiner Tante zu helfen, die nun nur noch wenige Schritte vom Auto entfernt war, als Ahmed ankam.
„ Ahmed, es ist jetzt soweit, wir haben ja schon oft darüber gesprochen. Auf Wiedersehen", verabschiedete sich meine Tante von ihm, bevor sie von Pater Dominick in das wartende Auto geschoben wurde.
Haus schließen und abreisen. Auf Wiedersehen, Cecilia. Vera, ich werde dich vermissen", verabschiedete uns Ahmed traurig.
„ Auf Wiedersehen, aber vielleicht sehen wir uns ja wieder", munterte ich ihn auf, aber er schüttelte den Kopf und ging weg, als der schwarze BMW anfuhr.
Ich spürte eine große Traurigkeit in meinem Herzen.
Im Vergleich dazu erschien mir das, was ich für Kevin empfunden hatte, nachdem ich von seiner zukünftigen Ehe gehört hatte, die reinste Bagatelle.
Ich mochte Ahmed sehr gern, und ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages ohne ihn sein würde.
Sobald der Wagen lospreschte, hörte ich meine Tante und Dominick erleichtert aufatmen.
Nur ich war so gespannt wie eine Violinensaite.
„ Kommt Ahmed nicht mit uns mit?", versuchte ich zu fragen.
„ Nein, Vera. Ahmed muss bleiben und unsere Angelegenheiten regeln. Er wird das Haus einer Wohltätigkeitsorganisation spenden, die Schule über deine Abreise informieren und dass du aufgrund gesundheitlicher Probleme plötzlich umziehen musstest und schließlich mit dem Geld, das ich auf einem Sonderkonto hinterlassen habe, das nur im Bedarfsfall zu verwenden ist, nach Tunesien abreisen. Eigentlich ist das alles schon seit Jahren organisiert", erklärte meine Tante und strich mir über den Kopf.
Dies alles war für mich immer einfach unverständlich. Tausend Gedanken und gesprochene Sätze wirbelten unkontrolliert durch meinen Kopf. Ich konnte kein Detail festhalten, das sogleich wieder verschwand, um Platz für etwas anderes zu machen.
Ahmed. Die Schule. Kevin. Patty Shue. Ron. Der Bauernhof. Sie.
Kardinal Montagnard. Dublin. Kardinal Siringer.
Viele, zu viele Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Ich dachte an die Schule. Ich holte Biologie nach und musste noch die Note für das Geschichtsreferat bekommen.
Außerdem war ich immer noch wütend auf Patty, weil sie allen erzählt hatte, dass ich mit Ron verlobt war.
Was hatte das alles für einen Sinn, wenn ich am nächsten Tag wer weiß wo sein würde?
Ich würde Kevin nie wieder gesehen. Warum also wegen seiner Ehe mit Clara aufregen, wenn ich sowieso nicht mehr da sein würde?
Vielleicht wäre ich im Mai schon tot. Ich hatte nicht vergessen, dass ich an der Reihe war, nachdem jemand einen Mann getötet hätte. Es war offensichtlich, dass dieser jemand mir dasselbe grausame Ende bereiten wollte.
Sie.
Wer waren sie?
Niemand hatte mir bisher erklärt, wer diese Leute waren und was sie von mir wollten.
Ich versuchte es noch einmal.
„ Bitte, erklärt mir doch endlich, warum dies geschieht und wer sie sind."
Meine Tante sah mich an und ihre Augen waren voller Traurigkeit und Verzweiflung. Auch Pater Dominick sah mich bekümmert an.
„ Siehst du, du bist ein besonderes Mädchen", bemühte sich die Tante.
„ Wie meinst du das?"
„ Du wurdest unter besonderen, unerwarteten und noch teilweise unbekannten Umständen geboren. Nur Kardinal Montagnard kannte die Wahrheit, und als deine Mutter starb, beschloss er, sich um dich zu kümmern. Von Geburt an hast du aufgrund Ihrer Anämie ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt, aber er hat sich große Mühe gegeben, dir beim Überleben zu helfen, und dabei bemerkt, dass du etwas wunderbar Unerwartetes an dir hattest. Er sagte niemandem, was es war, aber er beschloss, dich in großer Geborgenheit großzuziehen. Später enthüllte er Kardinal Siringer, dem Oberhaupt des Ordens vom Blutigen Kreuz, deine Geburt und sagte nur, dass du die Lösung für sein Problem seiest.
„ Welches Problem?"
„ Das wirst du zu gegebener Zeit noch erfahren, aber sei versichert, dass seine Geburt für ziemliches Aufsehen im Orden gesorgt hat. Kardinal Montagnard rief Cecilia, ein altes Mitglied des Ordens, aus Simbabwe zurück und beauftragte sie, dich aufzuziehen, während Kardinal Siringer eine externe Kontrolle verlangte, Pater August. Ich kam erst später dazu, als Cecilia einen Freund brauchte, der sie unterstützen könnte", schaltete sich der Priester ein.
Es war also nicht wahr, dass meine Tante in Portugal war, als meine Mutter starb, dachte ich.
„ Weißt du, ich hatte noch nie eine Tochter gehabt, und ich hatte Angst, n Fehler zu machen. Außerdem kritisierte Pater August alle meine Entscheidungen und behauptete, es sei ein Fehler gewesen, dich mir anzuvertrauen, weil ich mich zu sehr an dich gewöhnt hatte und dies mir nicht erlauben würde, objektiv zu sein. Dominick war ein alter Freund von mir, und ich vertraute ihm blind. Er kannte auch den Orden und seine Gesetze, also beschloss er, sich mit in die Geschichte verwickeln zu lassen, um dir eine gewisse religiöse Erziehung zu geben", berichtete meine Tante.
Jetzt verstand ich, warum mir Pater August immer unsympathisch gewesen war.
Er hatte mir immer das Gefühl gegeben, mich zu kontrollieren, und meine Tante hatte sich in seiner Gegenwart nie wohl gefühlt.
Was mich im Moment jedoch am meisten verblüffte, war der Grund dieser ganzen Geheimnistuerei, vor allem gegenüber meiner Tante, die immerhin die Cousine meiner Mutter war.
Ich wies meine Tante darauf hin, die mich mit einem noch traurigeren Ausdruck ansah.
„ Es brauchte dich nur eine Minute lang in meinen Armen halten, um zu wissen, wie sehr ich dich liebte. Du warst das süßeste und schönste Geschöpf der Welt. Jedes Mal, wenn du mich angelächelt hast, schien mir meine Entscheidung, die Gelübde aufzugeben, um mit dir zusammen sein zu können, immer richtiger. Mir wurde klar, dass ich auch so glücklich sein konnte, indem ich dem Herrn anders diente. Wie auch immer..." begann meine Tante, aber sie brachte die Worte nicht über ihre Lippen.
„ Aber sie ist nicht wirklich deine Tante, auch wenn sie dich so liebt, wie eine Mutter ihr Kind", beendete er Pater Dominick traurig den Satz für sie.
Ich war wie versteinert.
Tante Cecilia war gar nicht nicht meine Tante?
Das konnte nicht wahr sein.
Das war einfach zu viel.
Ich brachte kein Wort mehr heraus.
Ich war erschüttert.
Ich sah meine Tante an, die neben mir auf dem Rücksitz im Auto saß und leise weinte, während sie immer wieder sagte: "Verzeih mir".
Ich hatte das Gefühl, in Trance zu fallen, in einen Zustand des Halbbewusstseins.
Alle meine Gewissheiten waren zusammengebrochen.
Stunden vergingen.
Ich blieb in diesem Zustand, bis wir am späten Nachmittag in Dublin ankamen.
Ich erinnerte mich nur noch daran, dass das Auto direkt vor einem Hotel, dem Jolly Hotel, anhielt.
Der Mann an der Rezeption fragte uns noch nicht einmal nach unseren Papiere, sondern reichte uns einfach die Schlüssel zu den Zimmer.
Meine Tante und ich wurden in das Zimmer 112 geführt, während Pater Dominick allein zur Tür 115 ging.
Der Raum war recht klein und mit gelben Tapeten versehen, genau wie die Vorhänge und Decken.
Es gab zwei Einzelbetten. Ich setzte mich auf das hintere Bett in der Nähe des Fensters.
Ich stellte meine Tasche auf den Boden und starrte auf die von den Straßenlaternen erleuchtete Straße vor dem Fenster.
„ Hast du Hunger?", fragte meine Tante und schreckte mich auf. Nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie gar nicht meine Tante war, hatte sie kein Wort mehr zu mir gesagt.
„ Nein, danke."
„ Bist du sicher? An der Tankstelle, an der wir zum Mittagessen angehalten haben, hast du auch nichts gegessen ", meinte sie besorgt.
Ich hätte sie gerne gefragt, warum sie sich so sehr für mich interessierte, obwohl ich ja eigentlich gar nichts mit ihr zu tun hatte, tat es dann aber doch nicht.
Ich schüttelte den Kopf.
Ohne Abendessen gingen wir dann beide zu Bett, obwohl es noch sehr früh war.
Ich war überhaupt nicht müde.
Mein Kopf war voll von Gedanken, aber einer hämmerte am stärksten: meine Tante, oder besser Schwester Cecilia.
Wenn das überhaupt ihr richtiger Name war.
Ich zerbrach mir eine Stunde lang den Kopf und suchte nach einer Verbindung, einer Logik zu dem Ganzen.
Vor vierundzwanzig Stunden saß ich noch im Wohnzimmer auf dem Sofa und zappte mich durch die Fernsehprogramme, während meine Tante die Küche aufräumte, und jetzt lag ich in einem sehr unbequemen Bett in einem lächerlichen Hotelzimmer mit einer möglicherweise unbekannten Frau.
Das ergab keinen Sinn.
Ich wollte mein Haus und meine Tante zurück.
Ich erkannte, dass es weitaus schöner gewesen war, als ich noch in völliger Unkenntnis und in einer Fantasie gelebt hatte, als mit der Nase auf die rohe und ungerechte Realität gestoßen zu werden.
Wenn Pater Dominick es noch einmal wagen würde, mit mir über göttliche Gerechtigkeit zu sprechen, würde ich ihm was erzählen!
Aber jetzt ließ sich nichts mehr ändern. In diese absurde Realität gezwungen, neben dem Menschen, den ich bis vor kurzem noch zuvor wahnsinnig verehrt hatte, während ich jetzt befürchten musste, ihn gar nicht zu kennen.
Ich konnte nicht länger schweigen.
„ Warum hast du dich all diese Jahre um mich gekümmert?", fragte ich sie leise.
Ich war überzeugt, dass sie mich gar nicht gehört hatte. Nicht, weil sie nicht schlief. Ich wusste, dass sie nicht schlief, weil meine Tante im Schlaf ziemlich stark schnarchte, aber meine Kehle brannte und meine Brust war so schwer, dass ich fast erstickte, sodass die Worte nur schwach und unsicher herauskamen.
„ Kannst du dir das nicht vorstellen?", antwortete sie mit ihrer gewohnten vertrauten Lieblichkeit.
„ Weil sie es dir befohlen hatten, richtig?"
„ Nein, Dummerchen. Weil ich dich wahnsinnig liebe. Auch wenn es eigentlich gar nicht stimmt, in Wirklichkeit bist du mein kleines Mädchen. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Ich hatte gehofft, dir das in all den gemeinsamen Jahren vermitteln zu können".
Ja, ich wusste, dass sie mich liebte. Sie hatte mir in schwierigen Zeiten immer geholfen, sie war immer bereit, mir zu helfen und trotz der finanziellen Schwierigkeiten hatte es mir nie an irgendetwas gefehlt. In allem, was sie tat, war immer ihre Liebe zu spüren, und ich hatte sie immer mit wahrgenommen und offenen Armen willkommen geheißen.
Sie war eine Mutter, aber auch eine Freundin gewesen, da ich wegen meiner Gesundheit nie Freunde gefunden hatte. Alle meine Schulkameraden hatten mir gegenüber immer ein gewisses Misstrauen gezeigt, weil ich bei einer Tante lebte und oft krank war, abgesehen davon, dass ich Patty Shue's stärkste Feindin war, die bei allen anderen total beliebt war.
„ Ich weiß, dass du mich liebst, und ich liebe dich auch, aber all diese Nachrichten haben mich einfach umgehauen. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, wer du bist...", seufzte ich.
„ Du hast Recht. Ich hätte dir viele Male die Wahrheit sagen wollen, aber der Orden hatte es mir absolut verboten".
„ Du hättest es mir heimlich sagen können. Bei Pater August und Dominick hätte ich so getan, als wüsste ich es nicht".
Meine Tante brach in Gelächter aus.
Ich lächelte auch und merkte, dass alles beim alten geblieben war.
Cecilia war immer noch meine liebe Tante, hörte sich meinen Unsinn an und lachte darüber.
„ Hör zu, Vera. Es tut mir so leid, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe, aber das geschah zu deinem eigenen Wohl. Wenn wir Kardinal Siringer treffen verspreche ich dir, ihn um Erlaubnis zu bitten, dir alles zu erzählen zu dürfen. Jetzt ist es nur fair, dass du die ganze Geschichte kennst", sagte meine Tante, die wieder ernst geworden war.
„ Eben, ich muss schließlich wissen, wer mich tot sehen will", versuchte ich, es herunterzuspielen.
„ Ich lasse nicht zu, dass dir jemand wehtut", sagte meine Tante resolut.
An diesem Abend war nicht mehr aus meiner Tante herauszubringen.
Wir plauderten die ganze Nacht lang, aber nur über unser nun schon altes Leben auf dem Bauernhof und suchten zumindest in unseren Erinnerungen Trost.
DAS TREFFEN
Am nächsten Morgen erwachten meine Tante und ich mit einem Bärenhunger und wie gerädert, aber trotzdem waren alle Sinne hellwach.
Während wir uns anzogen, um zum Frühstück ins Hotelrestaurant hinunterzugehen, warfen wir immer wieder Blicke zur Tür, aus Angst, dass Pater Dominick mit einer weiteren Schreckensnachricht oder einer neuen plötzlichen Fluchtanweisung hereinstürzen würde.
Als wir fertig waren, um hinunterzugehen, öffnete meine Tante die Tür und stand sofort vor einem der beiden schwarz gekleideten Männer, die uns nach Dublin gebracht hatten.
Als wir zum Frühstück in den Speisesaal des Hotels kamen, erklärte mir meine Tante, dass diese beiden Männer ausgewählt worden waren, um über mich zu wachen und mich vor Angriffen zu verteidigen.
„ Wer sind „Sie“?
„ Menschen, die sich dem Bösen und der Dunkelheit verschrieben haben und bereit sind, das Leben anderer für ihr eigenes zu opfern", erklärte meine Tante schnell und biss in den Speck.
„ Aber das ist doch der Instinkt zum Überleben?" fragte ich desorientiert.
„ Nicht in ihrem Fall... aber iss jetzt", befahl mir meine Tante. Ich nahm ein ausgiebiges Frühstück zu mir, aber bevor ich fertig war, kam Pater Dominick, der ein angespanntes und erschöpftes Gesicht hatte.
Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.
„ Guten Morgen“, begrüßten wir ihn.
"Guten Morgen. Wie geht es euch?"
"Müde" flüsterte meine Tante.
„ Ich auch. Ich bin ganz kaputt. Außerdem habe ich gerade einen Anruf von Kardinal Siringer erhalten. Wir haben in drei Stunden einen Termin mit ihm in der alten Abtei von St-George außerhalb Dublins.
Es waren die längsten drei Stunden meines Lebens.
Meine Tante, Pater Dominick und ich waren bis zur festgelegten Zeit in unserem Zimmer eingesperrt, mit den beiden großen Männern vor der Tür.
Es gab nicht einmal einen Fernseher im Raum, mit dem man sich ablenken konnte, und meine Tante und Dominick sprachen nur über Leute, von denen ich noch nie etwas gehört hatten und die vielleicht an diesem Treffen teilnehmen würden.
Schließlich legte ich mich auf das Bett und dachte nach, aber mein Geist war zu müde und erschüttert von all diesen Ereignissen, um ruhig nachdenken zu können.
Ich döste ein wenig ein, und als ich die Augen wieder öffnete, regnete es draußen in Strömen. Ich liebte den Regen, aber in diesem Moment machte er den Gedanken an das Treffen, das ich kurz danach haben würde und das mein Schicksal sicherlich für immer verändern würde, nur noch düsterer.
Ich schleppte mich widerwillig zur Tür, wo die beiden Männer auf uns warteten. Sie begleiteten uns zu dem schwarzen BMW, der uns zur St.-George-Abtei bringen sollte.
Die Luft war feucht, und ich spürte, wie mich die Kälte bis auf die Knochen durchdrang.
Das Zittern ließ noch nicht einmal in der beheizten Kabine des Wagens nach.
Eine halbe Stunde später standen wir vor einem sehr alten Steingebäude. Ich wurde zu einer Seitentür gebracht, die zu einer Treppe führte. Die untere Etage, die in Dunkelheit getaucht war und aus der das Geräusch des fließenden Wassers kam, erregte meine Neugier. Ich versuchte, näher heranzukommen, aber Pater Dominick zog mich weg, um mich nach oben zu bringen.
Ich schaute ihn misstrauisch an, und er erklärte kurz: „Eine alte stillgelegte Krypta".
Wir gingen einen langen Korridor entlang, bevor wir zu einer Tür kamen.
Die beiden Männer blieben stehen.
„ Dies ist das Büro von Abt Kirk, einem Mitglied des Ordens. Treten Sie ein. Wir werden hier Wache halten", sagte der Größere und legte seine Hand auf das Holster seiner Waffe, die mir vorher gar nicht aufgefallen war.
Anstatt mich zu beruhigen, versetzte mich diese Geste in Panik.
Bis dahin war mir nicht wirklich klar geworden, in welcher Gefahr ich mich befand.
Ich betrat den engen Raum mit klopfendem Herzen.
Es waren fünf Männer drinnen.
Anhand der Kleidung sah ich sofort, dass derjenige, der hinter dem riesigen Schreibtisch, der fast den ganzen Raum einnahm, Kardinal Siringer war. Zu seiner Linken befand sich Pater August, der mich mit einem Kopfnicken begrüßte, und neben ihm stand ein langer Mann mit grauem Haar, der mich mehr als eindringlich ansah. Später wurde mir erklärt, dass es sich hierbei um den Abt Kirk handelte.
Zur Rechten des Kardinals befanden sich zwei weitere muskulöse und kräftige Männer, die genauso aussahen wie die, die uns bis jetzt begleitet hatten.
Nach den verschiedenen Höflichkeiten wandte sich der Kardinal mit seinem grauen, verschlagenen Blick und einer eisigen Stimme, wie die Temperatur in diesem Raum, zu mir und sagte: „Und du bist also die berühmte Vera Campbell in Fleisch und Blut... Ich hoffe, du bist dir der Situation bewusst".
„ Eigentlich, ich..."
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was vor sich ging, aber der Kardinal hatte sich bereits an meine Tante und Pater Dominick gewandt, um ihnen die aktuelle Situation zu erklären.
„ Kardinal Montagnard wurde erschossen, um uns auf eine falsche Spur zu bringen, aber es ist offensichtlich, dass sie es getan haben. Es muss einen Verräter unter uns geben... vermutlich eines der neuen Mitglieder des Ordens. Wer immer das getan hat, muss Blakes Gruppe gesagt haben, dass wir eine Waffe haben, um ihn und seine Söldnerbande zu besiegen. Sobald sie diese Informationen erhalten haben, haben sie damit begonnen, Nachforschungen anzustellen. Vor einigen Monaten fanden wir einige Mitglieder des Ordens gefoltert und getötet, aber keiner von uns hatte an so etwas gedacht, bis uns die geheimen Quellen von Pater August berichtet haben, was geschehen war. Offenbar waren sie davon überzeugt, dass es sich bei dieser Waffe um einen Gegenstand handeln würde und haben begonnen, in unseren größeren Niederlassungen zu suchen, jedoch ohne Ergebnis, bis jemand Kardinal Montagnard als Hüter dieses Geheimnisses erwähnte. Nur Blake hätte es angesichts seiner hohen Macht gewagt, geweihten Boden zu betreten, aber ich hätte nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Er muss wohl entdeckt haben, dass diese Waffe in erster Linie gegen ihn gerichtet war, also hat er versucht, sie mit allen Mitteln zu zerstören. Als er den Kardinal getroffen hat, muss er entdeckt haben, dass diese Waffe eine Person und kein Gegenstand ist. Leider hat außer dem Schuss niemand etwas gesehen oder gehört, sein Büro und seine Privaträume waren aufgeräumt, so dass wir davon ausgehen, dass sie Kardinal Montagnard zum Reden gebracht haben ".
„ Das glaube ich nicht. Kardinal Montagnard hätte niemals das Leben von Vera riskiert", unterbrach ihn meine Tante empört.
„ Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber der Kardinal muss gestanden haben, denn heute Abend haben Blake und die anderen den Bauernhof überfallen, den wir Ihnen für diese Mission zur Verfügung gestellt hatten", verriet Kardinal Siringer mit donnernder Stimme, die keine Einwände zuließ.
Ich rief „Ahmed!" und befürchtete das Schlimmste für ihn, den ich als Teil meiner Familie betrachtete.
„ Mach dir keine Sorgen. Auch er ist jetzt in Dublin. Heute Morgen haben mich meine Quellen darüber informiert, dass er einen Flug nach Tunesien gebucht hat, der für heute Nachmittag geplant ist. Ich habe einen unserer Männer zu seinem Schutz abgestellt", beruhigte er mich, immer noch mit derselben eisigen Stimme.
Ich dankte ihm.
Dann kehrten wir zu unserem vorigen Gesprächsthema zurück.
Kardinal Siringer beruhigte sich und enthüllte uns die neueste Entdeckung.
„ Wir wissen nicht, wie es passiert ist, aber alle Unterlagen über Vera und ihre Herkunft sind verschwunden. Einige Tage zuvor hatte mir Kardinal Montagnard offenbart, dass er eine sensationelle Entdeckung gemacht hatte und dass er alle Papiere an einen anderen Ort verlegen würde. Wir hatten auch für nächste Woche ein Treffen anberaumt, um dies persönlich zu besprechen. Dem Kardinal gelang es jedoch, vor seinem Tod eine Notiz zu schreiben, die derzeit analysiert wird. Unserer Meinung nach verbirgt sich dahinter eine verschlüsselte Botschaft oder ein bestimmter Hinweis, aber bisher ist noch nichts ans Licht gekommen.“
„ Was stand in der Nachricht", fragte meine Tante traurig.
„ Genau stand da: Liebe zeugt neue Liebe. Nur dies kann uns vor der Verdammnis bewahren".
Wir schauten uns alle etwas erstaunt an.
Unter allen Dingen, die er in den letzten Momenten seines Lebens schreiben konnte, hatte er einen ziemlich offensichtlichen Satz gewählt. Es war eine typische Katechismus-Lehre. Sie erinnerte mich stark an die Lehren von Pater Dominick. Er sagte mir so etwas oft.
„ Sonst noch etwas?", versuchte meine Tante, mehr zu erfahren.
„ Nein, abgesehen von den Stammbaumtafeln von Familien bescheidenen Ursprungs, die im Bergwerk gearbeitet haben und die vierhundert Jahre zurückreichen".
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, aber bevor der Kardinal den Mund wieder öffnen konnte, wollte ich diesen Moment nutzen, um ein für alle Mal herauszufinden, um was es eigentlich ging.
„ Entschuldigung sind „Sie“? Ich kann nicht glauben, dass das alles meinetwegen passiert", wandte ich mich schüchtern an den Kardinal.
Dieser wurde puterrot und richtete seinen wütenden Blick auf meine Tante und Pater Dominick.
„ Sie weiß gar nichts?! Wie konntet ihr sie darüber im Dunkeln lassen, dass ein Rudel Vampire diese Stadt durchsucht, um sie zu töten?
Vampire? Vielleicht hatte ich es nicht richtig verstanden, traute mich aber nicht, dieses Wort zu wiederholen, um nicht ausgelacht zu werden.
„ Ein Rudel….?", fragte ich nach und suchte den Blick meiner Tante, die jedoch mit einem schuldbewussten Gesicht auf ihre Zehenspitzen starrte.
„ Vampire! Diese Männer, die die göttliche Gnade ablehnen, um aufzuerstehen und sich von menschlichem Blut zu ernähren", knurrte der Kardinal und sah, wie sich mein Unglauben zu Furcht wurde.
Ich versuchte, mir alle Vampire vor Augen zu führen, die ich in meinem Leben im Fernsehen gesehen hatte, aber mir fiel nichts ein, außer einem Zeichentrickfilm, den ich mir im Alter von sieben Jahren angesehen hatte und dessen Hauptdarsteller eine unbeholfene, aber gutherzige Vampirente war.
Ich bezweifelte, dass die Vampire, von denen der Kardinal sprach, einer Ente ähnelten.
„ Ich wusste nicht, dass sie wirklich existieren", stammelte ich.
„ Niemand weiß es, denn der Orden vom Blutigen Kreuz hat genau die Aufgabe, diese Realität zu verbergen. Aber es gibt sie doch! Es ist sehr schwierig, sie zu finden, denn sie können sich in andere Geschöpfe verwandeln und haben zudem eine übernatürliche Kraft. Es ist unmöglich, einen von ihnen zu töten oder zu fangen, ohne ihn vorher mit Weihwasser oder Silber zu schwächen...".
„ Aber wozu sind dann die Waffen der beiden Männer, die uns hierher gebracht haben?“ fragte ich.
„ Unsere Wachen besitzen ganz besondere Waffen, die mit Kugeln aus reinem Silber geladen sind", erklärte er mir stolz.
„ Und was dann?"
„ Dann verbrennen wir sie."
„ Und dieser Blake, warum gilt er als so gefährlich?"
„ Weil er anders ist als alle anderen. Er ist der einzige Vampir, der gegen Silber oder alles andere immun ist, aber Kardinal Montagnard hatte entdeckt, dass du eine Waffe, die auch ihn erledigen kann. Siehst du, er ist die Quelle unserer Probleme, denn für jeden verbrannten Vampir macht er zwei weitere zu Vampiren... Er ist auch darin sehr gut, denn er kann sich beherrschen, wenn er sich ernähren muss, so dass er seine Opfer im zwischen Leben und Tod lässt, bis sie der Vampirisierung nachgeben und sich oft entscheiden, ihm zu folgen, auch wenn Vampire normalerweise Einzelgänger sind und sich nur ungern an andere binden, außer für kurze Zeiträume".
„ Aber warum will er gerade mich?", beharrte ich.
„ Dies ist das wahre Geheimnis, das Kardinal Montagnard mit ins Grab genommen hat. Ich weiß nur, dass du wegen deines Blutes etwas Besonderes bist. Glaubst du wirklich, ich wäre all die Jahre jeden Monat für deinen Unterhalt aufgekommen, wenn es nicht einen ganz bestimmten Grund gegeben hätte? Anscheinend macht deine Anämie dich einzigartig, aber ich denke, das liegt einfach nur daran, dass..." kommentierte der Geistliche, aber er konnte den Satz nicht rechtzeitig beenden, als Schüsse vor der Tür zu hören waren.
Wir sprangen alle gleichzeitig auf, bevor die beiden Männer die Tür aufbrachen und schrien, wir sollten weglaufen.
„ Woher wussten sie, dass Sie hier sind", fragte der Abt wütend, der bis dahin geschwiegen hatte.
„ Das spielt keine Rolle. Schnell, Matt, bring Vera in den Keller. Geht durch die Krypta. Dort findet ihr eine kleine Tür, durch ihr hindurchschlüpfen könnt. Folgen Folgt dem Tunnel, er wird euch zu einer Treppe führen, die euch in ein verlassenes Gebäude an der Change Lane führt", befahl der Kardinal einem der beiden Männer zu seiner Rechten gebieterisch. Ohne einen Augenblick zu zögern, nahm Matt mich am Arm und zog mich aus dem Raum, aber ich hatte nicht die Absicht, meine Tante zu verlassen. Sie war meine ganze Familie und ich wollte sie nicht verlassen.
Ich versuchte zu protestieren, aber meine Stimme wurde durch die Schreie von Pater August und die Befehle des Kardinals überwältigt.
Meine Tante versuchte ebenfalls, zu mir zu gelangen, aber der Kardinal selbst hinderte sie daran.
Schließlich schrie ich den Namen meiner Tante laut heraus und versuchte, gegen den eisernen Griff dieses Mannes zu rebellieren.
„ Sie ist vom Orden, und wird kämpfen müssen", sagte Matt zu mir und versuchte, mich den Flur hinunter zur Treppe auf der rechten Seite zu ziehen.
In dem verzweifelten Versuch, meine Tante zu sehen, die im Büro des Abtes geblieben war, drehte ich mich um und sah zum ersten Mal drei vermummte Männer, die auf der anderen Seite des Korrodors angekommen waren, auf uns zulaufen. Sobald sie den Raum erreichten, nahmen sie ihre Kapuzen ab.
Alle drei hatten schwarze Haare. Zwei von ihnen stürzten sich sofort in den Raum und stießen einen kalten und unmenschlichen Schrei aus, der mir am ganzen Körper Schauer entlangjagte.
Der dritte Mann blieb dagegen stehen und starrte mich an. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke.
Ich bemerkte seine blauen, fast eisfarbenen Augen, die auf fixierten, wie ein Tier seine Beute.
Ich fühlte mich von diesen Eisklingen durchbohrt.
Ich war einen Moment lang erstaunt über ihr Gesicht. Er war jung.
Ich wusste nicht warum, aber ich hatte einen alten Mann erwartet, keinen Jungen, der so alt sein konnte wie Kevin.
Er hatte ein sehr schönes Gesicht, abgesehen von einem harten, bedrohlichen Ausdruck. Mein Blick richtete sich kurz auf seinen Mund und ich konnte von seinen Lippen ablesen: „Sie ist es".
Ich konnte nichts anderes erkennen, weil ich die Treppe hinunterstolperte.
Zum Glück hielt Matt mich fest und hob mich hoch, damit ich nicht hinfiel.
Wir rannten die Treppe hinunter, bis zur dunklen Krypta.
Ich konnte kaum etwas sehen, aber Matt lief weiter, bis er an eine etwas hellere Stelle kam.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an diese Dunkelheit.
Der Boden war ganz nass, und ich bemerkte, dass auch meine Schuhe nass wurden.
Irgendwann blieb der Mann stehen und schaute sich vorsichtig um.
„ Blake ist in der Nähe. Ich kann ihn spüren."
Ich fühlte nichts, aber ich erschrak, als ich sah, wie er seine Waffe aus dem Holster zog.
Ich sah mich um, konnte aber nichts sehen. Es war zu dunkel.
Plötzlich sah ich einen Schatten über Matt herfallen.
Er war der Mann mit den blauen Augen. Ein Vampir.
Matt richtete die Pistole auf ihn und feuerte, aber er schlug ihn schnell und kräftig gegen die Hand, wodurch er die Pistole verlor und die Kugel im Dunkeln verschwand.
„ Lauf!“ rief Matt mir zu, bevor er sich gegen einen weiteren Angriff verteidigte.
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, obwohl ich wieder von dem Blick dieses Vampirs verzaubert war, der mich bedrohlich anstarrte.
Ohne Zeit zu verlieren, rannte ich den ganzen Weg hinunter zur Krypta. Sie musste riesig sein.
Ich war müde, ängstlich und allein.
Endlich fand die Tür, von der der Kardinal gesprochen hatte.
Ich versuchte, sie zu öffnen, aber sie klemmte.
Ich verletzte mir die Hände bei dem Versuch, sie zu öffnen, aber trotz meiner besten Bemühungen schaffte ich es nicht.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also gab ich schließlich auf und machte mich auf die Suche nach einem alternativen Versteck.
Ich sah einen kleinen versteckten Raum zu meiner Linken und ging hinein.
Er war leer, aber es gab eine kleine, kaum sichtbare Einbuchtung direkt neben dem Eingang.
Ich beschloss, dort stehen zu bleiben und zu warten, auf dem Boden kauernd. Ich hatte gehofft, Matt würde sich mir bald anschließen.
Ich konnte keinen Ton mehr hören.
Ich wollte zurück zu meiner Tante. Ich hatte mich nie von ihr entfernt und wollte es auch jetzt nicht tun, da ich in Gefahr war. Ich war auch ungeheuer besorgt um sie. Ich hoffte von ganzem Herzen, dass ihr nichts Schlimmes passiert war.
Ohne mir bewusst zu werden, fühlte ich zwei große, stille, warme Tränen über meine Wangen gleiten.
Kurz darauf weinte ich schluchzend und zitternd in meiner Ecke.
Ich hatte Angst.
Ich wollte zurück nach Hause, zu Ahmed, mit meiner Tante und Pater Dominick.
Ich fühlte mich einsam und war verzweifelt.
Ich zitterte bei dem Gedanken, dass ihnen allen etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte.
Und es wäre meine Schuld gewesen.
Ich und meine Anämie.
Warum musste gerade mir das passieren?
Ich hasste mich selbst. Ich hatte durch meine Geburt nur Sorge und Tod verursacht. Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden.
Ich schluchzte solange in meinem Selbstmitleid, dass ich noch nicht einmal bemerkte, wie die Zeit verging. Ich hatte nicht einmal den Mut, mich zu bewegen.
Ich erinnerte mich nur daran, dass mich irgendwann etwas berührte und mich zu Tode erschreckte.
Ich suchte überall nach einer menschlichen Gestalt, aber am Ende stieß ich nur auf eine Katzer, die mich mit zwei wunderschönen Augen anstarrte, die im Dunkeln leuchteten.
Ich versuchte, sie zu streicheln, und sie rieb sich schnurrend an meinen Beinen.
Diese kleine Geste brachte mich zum Lächeln.
„ Und du, was machst du hier, Kleine?", flüsterte ich mit einer vom Weinen heiseren Stimme.
Die Katze rieb sich weiter an meinen Beinen.
Schließlich sprang sie mir auf den Arm.
Ich konnte sie jetzt besser sehen, trotz meiner durch die Tränen und Dunkelheit verschwommenen Sich. Ihr Fell war hell, ihr Maul schwarz und ihre Augen strahlten golden.
Ich war sehr überrascht, hier eine Katze zu finden.
Ich wollte schon immer eine Katze haben, aber meine Tante war schrecklich allergisch gegen ihr Fell, so dass ich nie eine bekommen konnte. Nicht einmal, als ich einen kleinen schwarzen Streuner auf der Straße fand und ihn einen ganzen Tag lang in seinem Zimmer einschloss, damit meine Tante ihn nicht sehen konnte, konnte ich ihn behalten.
Ich erinnerte mich noch daran, wie meine Tante sofort zu niesen begann und Schwierigkeiten beim Atmen bekam, also erzählte ich ihr, dass ich ein Kätzchen gefunden hatte.
Ich erinnerte mich an ihr aufgebrachtes Gesicht, als sie mir sagte, ich solle es so schnell wie möglich wegbringen.
Am Ende rettete mich Pater Dominick mich und brachte die Katze weg, wobei er versprach, eine liebevolle Familie für sie zu finden.
Ich frage mich, was mit dem Kätzchen passiert war.
Ich hatte nichts wieder davon gehört.
Jedenfalls habe ich nach dieser Episode den Drang überwunden, eine zu haben.
Jetzt jedoch schien mir diese Katze ein kleiner göttlicher Trost zu sein, damit ich mich weniger einsam fühle.
Es war das erste Mal, dass ich mich ohne meine Tante war, weshalb ich mich wie verloren fühlte, vor allem in so einer Situation, in der ich zu sterben drohte.
Ich wollte mein Leben zurückhaben.
Es machte mich ganz fertig, wenn ich an all das dachte, was ich verloren hatte.
Ich fing wieder an zu weinen, ohne zu merken, dass einige meiner Tränen auf das Fell der Katze fielen, die ich in der Zwischenzeit weiter sanft streichelte.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber das Gefühl, das weiche Katzenhaar auf meinen Händen zu spüren, beruhigte mich und entspannte mich so sehr, dass ich schließlich erschöpft und von den Gefühlen überwältigt einschlief.
Es war kein wirklich tiefer Schlaf.
In meinem Kopf wirbelten alle möglichen Bilder durcheinander, die mit der Vergangenheit und der Gegenwart verbunden waren, aber überall waren diese blauen Augen, die mir den Tod schworen.
Schließlich wachte ich abrupt auf.
Ich fühlte mich benommen, aber der harte Boden, die kalte Wand in meinem Rücken, die unbequeme Position ließen mich sofort wieder wissen, wo ich war.
In einem Augenblick versuchte ich, mich an die jüngsten Ereignisse zu erinnern.
Die Katze.
Sie war nicht mehr auf meinem Schoß, und ich wusste nicht, wo sie war.
„ Mietze, wo bist du?", flüsterte ich und suchte sie in der Dunkelheit des Raumes.
„ Sie ist weg", murmelte eine Stimme von der anderen Seite des kleinen Raums und ließ mich vor Angst aufschrecken.
„ Matt?", fragte ich hoffnungsvoll.
Als nächstes hörte ich langsame Schritte auf mich zukommen.
Plötzlich baute sich eine schwarze Gestalt vor mir auf.
Ich erkannte die schwarzen Schuhe.
Dann tastete sich mein Blick weiter zur Hose. Schwarz.
Dann ein langer schwarzer Ledermantel, der vorne offen war, und den Blick auf ein leicht aufgeknöpftes schwarzes Seidenhemd gewährte.
Ich meinte zu erinnern, dass Matt keinen Regenmantel getragen hatte.
Panisch schnellte mein Blick nach oben, bis ich erneut von diesen blauen Augen gefesselt wurde, die trotz des schwachen Lichts leuchteten. Er war es. Der Vampir.
Ich unterdrückte einen Schrei.
Meine Angst brachte ihn dazu, seine Mundwinkel in einem selbstgefälligen, aber bedrohlichen Lächeln zu verziehen.
„ Ich bin nicht Matt, tut mir leid. Ich werde mich vorstellen. Blake" präsentierte er sich und deutete eine Verbeugung an. Trotz dieses Anscheins von Freundlichkeit war seine grausame Genugtuung, mich gefunden zu haben, perfekt wahrzunehmen.
Blake. Er war es. Der unbesiegbare Vampir, der mich um jeden Preis tot sehen wollte.
Ich starrte ihn immer noch an und merkte nicht, dass er mir seine Hand entgegenstreckte, um mir beim Aufstehen zu helfen.
Mir wurde klar, dass ich keine Chance hatte, aber ich versuchte, ohne seine Hilfe auf die Beine zu kommen. Ich war zu ängstlich, ihn zu berühren.
Ich lehnte mich gegen die eiskalte Wand und rappelte mich auf, trotz der Schmerzen in meinen Beinen, die wer weiß wie lange in dieser unbequemen Position verharrt hatten. Ich fühlte sofort ein Kribbeln in den Füßen, wodurch ich für einen Moment das Gleichgewicht verlor, aber der Vampir packte mich mit einer schnellen Bewegung am Arm und hob mich als sei ich eine Feder wieder hoch.
Diese blitzschnelle Bewegung versetzte mich in Angst und Schrecken.
Unter normalen Umständen hätte ich mich gerne bei ihm bedankt, aber erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich in den Händen meines Feindes befand.
Ich versuchte, mich mit einem Ruck zu befreien, aber sein Griff war fest, und nach meinem Versuch wurde er noch fester, fast schmerzhaft.
„ Los", befahl er mir in einem Ton, der jeden Widerstand ausschloss.
„ Wo bringen Sie mich hin?“ fragte ich zögernd und versuchte, Abstand zu halten.
„ Raus von hier“, antwortete er zerstreut und brachte mich zu der Tür, aus der Matt und ich flüchten sollten.
Ich sagte kein Wort, aber ich wusste, dass sich diese Tür nicht öffnen ließ, so dass wir zurückgehen mussten und ich vielleicht um Hilfe rufen konnte, sobald wir dort angekommen waren.
In dieser Hoffnung ließ ich mich widerstandslos mitziehen.
Blake drückte leicht gegen die Tür, ohne meinen Arm loszulassen, die sich quietschend öffnete.
Ich sah alle meine Hoffnungen schwinden, aber ich hatte nicht die Absicht zu gehen, ohne wenigstens meine Tante wiederzusehen.
Also fing ich an, die Füße in den Boden zu stemmen, trotz des Kribbelns, das mich immer noch ein wenig behinderte.
„ Warten Sie, ich möchte meine Tante Cecilia sehen", flehte ich ihn an.
„ Nein", antwortete er einfach und zog mich weiter durch den nächsten Korridor, der vor uns lag.
Ich sah nicht, ein, dass ich mir in diesem Fall irgendwas von diesem Typen vorschreiben lassen musste.
„ Ich gehe hier nicht ohne meine Tante weg", protestierte ich mit schriller Stimme, wobei ich all meinen Mut zusammennehmen musste.
Der Vampir blieb stehen und wandte sich mir mit mörderischem Blick zu.
Es war mir egal, ob ich damit seinen blutrünstigen Instinkt herausforderte, ich hatte nicht die Absicht, leicht nachzugeben.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich konnte fühlen, wie mir wieder die Tränen in die Augen stiegen, trotzdem hielt ich seinem Blick stand.
„ Wir gehen jetzt gehen ohne deine Tante hier raus, und du hörst auf zu schreien. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
„ Nein" flüsterte ich verzweifelt.
„ Möchtest du lieber, dass ich dich hier und jetzt umbringe?", brüllte er, nun verärgert über meine Beharrlichkeit.
Ich hatte das Gefühl, geohrfeigt zu werden, so heftig war dieser Satz.
Ich konnte kein Wort mehr herausbringen.
Ich ergab mich seinem Griff und seinem schnellen und entschlossenen Schritt.
Plötzlich stolperte ich über etwas, das aus dem Boden ragte, und fiel heftig zu Boden, wobei ich mir das Knie aufschlug und meine die Hose zerriss.
Sobald ich das Blut aus der Wunde austreten sah, bedeckte ich sofort mein Knie aus Angst, dass er beim Anblick des Blutes jegliche Haltung verlieren könnte, da er ja ein Vampir war.
Ich sah ihn an und hoffte, dass er nichts bemerkt hatte, aber er war schon da und starrte mich gleichgültig an.
„ Keine Sorge, ich werde wegen zwei Tropfen Blut schon nicht den Kopf verlieren“, platzte er heraus, als ob er meine Gedanken lesen könnte.
Als ich zu humpeln begann, wurde er langsamer.
Schließlich kamen wir zu einer Leiter, die zu einer geschlossenen Falltür in der Decke führte.
„ Ich muss hinaufklettern und die Tür öffnen. Du wartest hier. Wehe, wenn du versuchst, zu fliehen. Ich schwöre dir, dass ich dich wieder einfange und dann wirst du mir dafür bezahlen", drohte er mir und ließ meinen Arm los.
Er starrte mich noch einen Moment lang an, und begann dann, die Leiter hinaufzusteigen.
Sobald er oben angekommen war, begann er, sich mit dem Schloss zu beschäftigen.
Die Zeit war gekommen.
Zeit zum Flüchten.
Inzwischen war er dabei, die Luke zu öffnen, nachdem er mit seinen Händen, die wie Stahlklammern aussahen, das Schloss aufgebrochen hatte.
Ohne Zeit zu verlieren, begann ich trotz der Schmerzen in meinem verletzten Knie zu laufen.
Ich lief so schnell ich konnte. Wichtig war, nicht zurückzublicken, sondern direkt auf das Ziel zuzulaufen.
Hinter mir hörte ich einen wütenden Schrei, aber ich ignorierte ihn und lief jetzt noch schneller, als zuvor.
Zum Glück hatte ich gerade eine Hämodose genommen, so dass ich voller Energie war.
Noch ein paar Meter weiter und ich hätte die Treppe zur Abtei erreicht.
Ich berührte schon den Handlauf. Noch ein Schritt und...
Ich fühlte, wie ein Schraubstock meinen linken Arm packte und mich dann ganz umdrehte und mir den Atem raubte.
Ich wurde zurück gegen seine Brust geworfen.
Blake hatte mich erreicht.
Ich drehte mich um und schrie ihm ins Gesicht: „Lass mich los!"
Ich wusste nicht einmal, woher ich den Mut hatte, ihm so offen gegenüberzutreten, aber ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich war kurz davor zu explodieren, und es war mir egal, ob er mich in diesem Moment töten wollte.
Ich weigerte mich, das arme hilflose Opfer zu spielen. Ich fühlte eine in mir aufwallende Stärke und Stolz, die mir eine nie gekannte Kraft gaben.
Ich sah in sein ungläubiges Gesicht. Mit so einer Reaktion hatte er anscheinend nicht gerechnet.
„ Ich will meine Tante, ist das klar?" sagte ich mit fester Stimme.
„ Deine Tante ist nicht mehr hier. Die gesamte Abtei wurde vor drei Stunden evakuiert", erklärte er ruhig.
„ Wo sind sie hin?", fragte ich flüsternd, verzweifelt über die Vorstellung, verlassen worden zu sein.
„ Das ist mir egal. Ich habe gefunden, was ich gesucht habe".
Ich ignorierte seine Anspielung.
„ Ich will nur wissen, ob es ihr gut geht."
„ Ich denke schon."
„ Ich denke?"
„ Als sie mit dem Kardinal weglief, blutete ihr Arm. Das hat man mir gesagt", berichtete Blake schnell.
Vor Erleichterung zu wissen, dass sie noch am Leben war, auch wenn verletzt, gaben beinahe meine Beine nach.
Ich seufzte kurz auf, aber es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis mir klar wurde, dass ich jetzt völlig allein war.
„ Nun, gehen wir jetzt?", fragte er in einem Ton, der keinen Widerstand duldete.
Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte, aber jetzt war ich allein und die Kraft des Vampirs war definitiv größer als meine.
Niemand würde zu meinem Schutz kommen, nicht einmal Matt.
„ Was ist mit Matt?"
„ Wenn du mit Matt den Mann meinst, der dich eskortiert hat, dann brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen – um den habe ich mich gekümmert."
„ Was heißt das?“, stotterte ich und weigerte mich zu glauben, dass er meinetwegen den Tod gefunden hatte.
„ Nichts. Jetzt lass uns gehen".
„ Aber ich..."
„ Schluss jetzt mit der Fragerei. Nun sieh zu, dass du dich beeilst", befahl er und schleppte mich zurück zur offenen Luke.
Mein Knie pochte und ich fühlte mich erschöpft, aber ich wollte mich nicht auf ihn stützen.
Die Leiter hinaufzuklettern war wirklich eine Qual. Mein Knie schlug immer wieder gegen die Sprossen.
Ich begann auch, die die Erschöpfung meines schnellen Laufs zu spüren. Ich wusste, dass ich bei meinen gesundheitlichen Problemen zu viel körperliche Aktivität vermeiden musste, sonst hätte ich schon früher eine Hämodose benötigt, und in diesem Fall wüsste ich nicht einmal, wie ich sie bekommen könnte.
Einmal aus der Luke heraus, fand ich mich in einem verlassenen Gebäude mit schimmeligen Wänden und riesigen Fenstern wieder.
Es war bereits dunkel draußen und es regnete immer noch.
„ Wie spät ist es?", fragte ich verwirrt.
Als ich die Abtei betrat, war es kurz vor Mittag gewesen. Wieso konnte es jetzt schon so dunkel sein?
Vielleicht war es eine Sonnenfinsternis.
„ Es ist fast 17:00 Uhr."
„ Was? Wie ist das möglich?"
„ Du hast stundenlang weinend und mit der Katze auf dem Arm in diesem Loch gesessen, bis du schließlich eingeschlafen bist. Du hast drei Stunden geschlafen, bevor du endlich aufgewacht bist. Du hast noch nicht einmal bemerkt, dass ich da war", erklärte er, sodass ich ganz rot vor Scham wurde. Er hatte mich weinen sehen, ein Luxus, den ich mir nie gönnte, außer bei einigen wenigen Gelegenheiten.
Nur meine Tante hatte mich einmal weinen sehen, und das hat mich damals sehr gestört.
Ich erlaubte es niemandem, Zeuge meiner Schwäche zu sein, und jetzt fühlte ich mich vor Blakes Augen, der mich in diesem Zustand gesehen hatte, wie verloren.
Wahrscheinlich hatte ich auch rote Augen und ein noch blasseres Gesicht, wie es nach dem Weinen immer der Fall war.
„ Ich muss jetzt ja wirklich schlecht aussehen." Versuchte ich, das Ganze herunterzuspielen.
„ Keine Ahnung. Es ist das erste Mal, dass ich jemanden weinen sehe. Normalerweise schreien die Leute und bitten mich, sie zu verschonen, aber sie weinen nicht und denken weder an ihre Tante noch an ihr Zuhause ", antwortete er und sah mich mit fragend an.
„ Woher weißt du das?", fragte ich ihn und ging auf das Du über.
„ Du hast im Schlaf gesprochen. Du sagtest immer wieder Tante, Ahmed, Haus, Bauernhof, Vampire. Du hast sogar meinen Namen erwähnt", informierte er mich, während er sein Handy in die Hand nahm und irgendjemandem eine Nachricht schickte.
Ich wusste, dass ich im Schlaf sprach. Das hatte mir meine Tante auch immer gesagt.
Es war mir schon immer peinlich gewesen, und in diesem Moment wurde ich noch röter als zuvor.
„ Also, wohin gehen wir?“ versuchte ich, ihn von mir abzulenken, da er mich nun neugierig musterte.
Diese Frage machte ihn wieder ernst.
„ Zu mir nach Hause."
„ Wohin?", fragte ich erstaunt.
Blake hatte keine Zeit, noch etwas hinzuzufügen, da auf der Straße plötzlich eine Hupe ertönte.
„ Sie sind es. Komm schon", sagte er und packte mich wieder am Arm.
„ Wer, sie?"
„ Vampire, natürlich."
„ Also einer reicht mir schon vollkommen. Es gibt keinen Grund..." Ich versuchte ihn davon abzubringen, mich an seine Freunde zu verfüttern, aber er lachte laut und zerschlug damit meine gesamten Verteidigungsversuche.
Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte ihn zum Lachen gebracht.
„ Ich habe nicht die geringste Absicht, dich mit meinen Freunden zu teilen, falls du das denkst", beruhigte er mich freundschaftlich.
Er führte mich aus dem Gebäude und ermahnte mich, draußen keine Szene zu machen.
„ Meine Freunde mögen keine Zwischenfälle", warnte er mich.
Ich gehorchte.
Wir traten hinaus. Draußen hatte es aufgehört zu regnen.
Wir befanden uns im Herzen der Stadt, inmitten mehrerer Passanten. Wie war es nur möglich, dass niemand die Gefahr erkannte, die er laufen konnte, wenn er ruhig durch die Straßen einer Stadt spazierte, die von Vampiren wimmelte?
Ich ließ mich von ihnen zu einem blauen Ford schleifen, der direkt vor uns parkte. Auf den Vordersitzen saßen zwei Menschen, oder besser gesagt Vampire. Beide waren blass und blond. Der Fahrer war dazu auch noch sehr dick und alt.
Ich hatte den starken Wunsch, auf die Straße zu laufen und wegzukommen, aber Blakes Griff war zu fest.
„ Wagen es ja nicht", sagte er. War es möglich, dass er Gedanken lesen konnte?
Blitzschnell öffnete Blake die Autotür und zwang mich auf den Rücksitz, dann setzte er sich neben mich.
Sobald sich die Tür schloss, startete der Fahrer den Wagen, ohne nach dem Weg zu fragen, während der andere Vampir an seiner Seite begann, mich ununterbrochen anzustarren.
In der Zwischenzeit fuhr das Auto mit voller Geschwindigkeit an. Ich wurde hin und her geworfen und prallte sogar gegen Blakes Arm, der schließlich entnervt beschloss, mih festzuhalten und mich an sich drückte.
Diesmal war sein Griff zwar fest, aber trotzdem zart.
Mein Gesicht streifte sein Hemd genau dort, wo es aufgeknöpft war.
Ich hatte schon immer einen ausgezeichneten Geruchssinn gehabt, und ich konnte nicht umhin, sein sehr männliches und sinnliches Parfüm zu bemerken.
Trotz der Gefahr hatte ich mich diesem Geruch schon fast hingegeben, als etwas meine Aufmerksamkeit erregte. Der Mann auf dem Vordersitz starrte mich intensiv an.
„ Blake, dieses Mädchen riecht wirklich stark! So etwas habe ich noch nie bei einem Menschen gerochen. Es ist wirklich überwältigend. Es macht mich wahnsinnig", brach der Mann plötzlich hervor.
Zuerst war ich besorgt, dass ich mich an diesem Morgen trotz der Dusche nicht ausführlich genug gewaschen hatte. Als ich dann aber bemerkte, wie sich dieser Vampir die Lippen leckte, bekam ich richtig Angst. Unwillkürlich zog ich mich noch mehr zurück, gegen Blakes Brust, der mein Unbehagen sofort bemerkte.
„ Will, hör auf damit!"
„ Komm schon, sag nicht, du hättest ihr Parfüm nicht bemerkt", neckte er ihn.
„ Ich habe es bemerkt. Es ist merkwürdig. Es dauerte einen Moment, bis ich mich ihr nähern konnte, ohne sie anzugreifen, aber dann gewöhnt man sich daran", versuchte Blake, ihn zu beruhigen, aber der andere Vampir schien immer gieriger zu werden und näher zu kommen.
Er versuchte, bis zum Rücksitz zu gelangen, um mich besser riechen zu können.
Mein Herz hämmerte vor Angst.
Zu spät erkannte ich, dass dieses Gefühl ihn noch stärker erregte.
In Sekundenschnelle wurde ich von Will angegriffen, der versuchte, mir mit den langen Eckzähnen und abgetretenem Blick an die Kehle zu springen. Zum Glück griff Blake gerade noch rechtzeitig ein und packte ihn an der Kehle, bevor er mich erreichen konnte.
„ Beherrsche dich!", schrie Blake ihn wütend an.
„ Ich schaffe es nicht! Dieser Geruch ist zu stark", schrie der sich windende Will.
„ Denke daran, was Kardinal Montagnard uns gesagt hat. Ihr Blut ist die Waffe gegen uns. Ich möchte mit Jack Marley reden, bevor ich sie zum Vampir oder sonst was mit ihr mache", warnte er ihn und Will kehrte auf seinen Platz zurück.
Dann war es also wahr, dass Kardinal Montagnard ihm etwas über mich verraten hatte. Gut, dass er sie davor gewarnt hat, mich zu beißen, so dass ich ein wenig Zeit gewinnen konnte.
Ich war immer noch in Gedanken versunken, als das Auto vor einem alten, verlassenen Gebäude mit kleinen Fenstern anhielt.
Bei dem Gedanken, allein in dieser Hütte eingesperrt zu werden, überkam mich wieder einmal die Angst.
„ Bitte, Blake, steige jetzt aus und nimm das Mädchen mit, bevor auch ich mich auf sie stürze", sagte der Fahrer, der bis dahin keinen Ton von sich gegeben hatte.
„ Ja, Entschuldigung. Danke, Peter", verabschiedete sich Blake, stieg aus dem Auto und half mir beim Aussteigen.
Wir gingen auf dieses düstere Gebäude zu. Blake hielt mich weiterhin am Handgelenk, selbst als er mit den Schlüsseln, die er aus der Tasche seines Mantels genommen hatte, die Metalltür öffnete.
Außerhalb des Autos war es ziemlich kalt, und ich begann zu zittern, da ich ja nur einen einfachen langärmeligen Pullover und eine ziemlich leichte Jeansjacke trug.
Kurze darauf wurde ich in das Innere des Gebäudes geführt.
Ich war erstaunt über das Bild, das sich mir bot.
Plötzlich fand ich mich in einem großen, luxuriösen, beheizten Loft wieder. Es gab ein riesiges Wohnzimmer mit einem großen weißen Ledersofa vor der Wand, in die ein riesiger, fünfzig Zoll großer Plasmafernseher eingelassen war.
Die Wände waren mit verschiedenen Gemälden in unterschiedlichen Größen bedeckt.
Hinter dem Wohnzimmer konnte man die moderne Küche sehen. Links konnte man einen riesigen Tisch mit zwölf Sitzplätzen und genauso vielen Stühlen erkennen, während man rechts zwischen Wohnzimmer und Küche ein sehr geräumiges Badezimmer erblicken konnte, das zur Hälfte durch farbige und satinierte Glastüren verdeckt war.
Über dem Badezimmer gab es eine kleine Galerie, auf der ein Bett zu sehen war.
Das gesamte Loft war im industriellen Stil eingerichtet, wie man an der Form der Stühle, dem Sofa, der Treppe zur Galerie und der leuchtend blauen Küche mit ihrem Top aus Stahl erkennen konnte.
„ Es ist wunderschön hier!", rief ich aus, während ich langsam durch diesen riesigen offenen Raum ging.
„ Du bist der erste Mensch, der das sagt", gab Blake zu und ließ mich sprachlos zurück. Ich konnte es nicht glauben.
„ Du wirst für ein paar Tage hier bleiben, also mache es dir bequem. Ich hatte noch nie Gäste, die keine Vampire waren, also frage mich einfach, wenn du etwas brauchst, ", fügte er hinzu, nachdem er seinen Mantel ausgezogen hatte.
Plötzlich fühlte ich mich wie ein Gast und nicht mehr wie ein Gefangener.
Auch Blake wirkte entspannter und schien überhaupt nicht mehr die Absicht zu haben, mir etwas zuleide zu tun, also gab ich vor, mich wohl zu fühlen. Außerdem dachte ich, dass er mir wohl nichts antun würde, sonst hätte er mich bereits in der Krypta getötet und bestimmt nicht vor Will gerettet. Ein kleiner Teil von mir fühlte sich bei ihm sicher, auch wenn ich nicht wissen konnte, wie lange.
Ich setzte mich langsam auf das weiße Ledersofa.
Sobald ich mich auf diese weiche Couch niederließ, bemerkte ich sofort die Müdigkeit und meine schmerzenden Muskeln. Ich ließ lehnte mich erschöpft gegen die Lehne des Sofas und atmete tief durch.
„ Möchtest du ins Bad gehen und die frisch machen?" fragte er und versuchte, sein Unbehagen zu verbergen, das ihm seine Freundlichkeit bereitete.
Ich war sehr überrascht von seiner Veränderung, und einen Moment lang dachte ich, dass er keine Bestie sein konnte, wenn er sich so höflich zu benehmen wusste.
Außerdem hatte er ja noch nicht vor, mir weg zu tun. Oberflächlich betrachtet schien er besser zu sein, als Kardinal Siringer es beschrieben hatte. Sicherlich war er weniger gefährlich als Will.
Ich brauchte wirklich ein Bad, aber so weite traute ich ihm nun doch nicht.
Ich stand von der Couch auf und bemerkte sofort, dass ich einen riesigen schmutzigen Fleck auf dem weißen Leder hinterlassen hatte. Ich hatte stundenlang in dem Loch in der Krypta geschlafen. Warum hatte ich nur nicht darüber nachgedacht, wie schmutzig ich sein musste?
Wäre ich zu Hause bei meiner Tante gewesen, hätte sie mich ordentlich ausgeschimpft.
„ Oh, Gott! Ich habe die Couch beschmutzt. Es tut mir leid, wirklich. Wenn du mir einen Schwamm gibst, werde ich..." ich versuchte sogleich, mich zu entschuldigen. Ich hatte gerade sein perfektes Paradies ruiniert, und ich hatte Angst, ihn zu verärgern.
„ Immer mit der Ruhe. Ich werde mich um alles kümmern. Geh nur ins Bad und wasch dich, ich bestelle in der Zwischenzeit das Abendessen."
„ Warum? Ihr Vampire esst?" rutschte es mir heraus, ohne dass ich darüber nachdachte.
„ Normalerweise nicht, aber ich nehme an, dass du etwas essen möchtest. Hast du irgendwelche Vorlieben?"
Ich hätte mich gerne geweigert, aber das Knurren in meinem Bauch und die Müdigkeit siegten.
„ Rotes Fleisch, wenn möglich", stotterte ich verlegen, während ich auf das Bad zuging und mich fragte, ob er mich vergiften würde.
„ In Ordnung", sagte er und zog sein Handy aus der Hosentasche.
Währenddessen schloss ich mich im Badezimmer ein. Die Fliesen waren grün, wie die Bodenfliesen, wenn auch heller in der Farbe.
Ich hatte die Wahl zwischen der Wanne und der Dusche.
Ich entschloss mich für die schnellere Variante. Ich wollte nicht lange in diesem Badezimmer bleiben, und außerdem würden mich die undurchsichtigen Duschwände vor möglichen indiskreten Blicken schützen.
Ich zog mich schnell aus und flüchtete eilig in die Duschkabine. Der heiße Wasserstrahl fiel auf meinen Kopf und meine Schultern und entspannte mich augenblicklich.
Ich blieb lange Zeit unter diesem Strahl, bevor ich das nach Eiche duftende Duschshampoo nahm, das am Rand der Wanne stand.
Ich schäumte mich langsam ein, eingehüllt in diesen Duft, der mich vage an den von Blake erinnerte.
Ich merkte, dass ich so verzweifelt und benommen war, dass ich nicht so wachsam sein konnte, wie ich wollte und hätte sein sollen.
Als ich mit dem Abduschen fertig war, kam ich vorsichtig aus der Duschkabine und stellte fest, dass Blake mir zwei Handtücher und einige saubere, aber riesige Kleidungsstücke auf den Rand der Wanne gelegt hatte: ein grünes Sweatshirt und eine schwarze Sporthose, die unten mit einem Band zugezogen werden konnte.
Wahrscheinlich wollte er, dass ich nicht wieder so eine Sauerei wie die auf der Couch mache.
Ich zog mich eilig an und verließ das Badezimmer mit nassen Haaren, die mir auf meine Schultern fielen.
Die Kleidung roch nach Blake, und dieser Geruch hüllte mich ein wie eine zärtliche Umarmung. Obwohl er ein Vampir war, roch Blake wirklich gut. Es war das erste Mal, dass ich mit einem Mann so intim war: sein Haus, seine Kleidung, sein Geruch...
Als ich das Wohnzimmer betrat, sah ich ihn, wie er am Herd hantierte und zwei Einkaufstüten auspackte, die er auf der Küchentheke abgestellt hatte.
Diese familiäre, fast intime Atmosphäre, die sich gebildet hatte, beruhigte mich, so dass ich beschloss, näher heranzukommen.
Außerdem sagte Tante Cecilia immer, dass man mit guten Manieren alles erreichen könnte, also beschloss ich, mich nett zu benehmen.
„ Da bin ich wieder! Brauchst du Hilfe?", fragte ich ihn als ich sah, wie er sich abmühte, das Gas anzuzünden.
Blake starrte auf den Herd und drehte sich dann zu mir um. Sein Blick ließ sich nicht deuten, aber er sah mich lange an. Schließlich kam er auf mich zu, nahm in einer sehr langsamen Bewegung eine meiner nassen Haarsträhnen in die Hand und fing an, damit zu spielen. Er schien hypnotisiert, genau wie ich von seinen magnetischen Augen und dieser unerwarteten Liebkosung, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Dann nahm er plötzlich seine Hand von mir weg, als ob er sich verbrannt hätte, und starrte wieder auf seine makellose Küche.
„ Du tropfst. Der Föhn ist im Schrank unter dem Waschbecken", murmelte er in einem verärgerten, aber gleichzeitig verstörtem Tonfall.
Ich murmelte eine Art Entschuldigung und kehrte schleunigst ins Badezimmer zurück, um den Föhn zu holen. Ich trocknete eilig meine Haare und versuchte, sie so gut es ging in Form zu bringen.
„ Ich habe dir das hier gebracht", hörte ich hinter mir eine Stimme, die mich vor Angst zusammenschrecken ließ.
Ich drehte mich um und sah mich Blake gegenüber. Er reichte mir eine Tasche.
„ Peter, der Typ, der uns hierher gebracht hat, hat dir ein paar Sachen besorgt, weil er dachte, du könntest sie vielleicht brauchen", sagte er.
Ich nahm die Tasche und öffnete sie. Sie enthielt einen Kamm, eine Zahnbürste, eine Feuchtigkeitscreme und eine Packung Pflaster.
„ Danke", flüsterte ich, aber Blake hatte den Raum bereits verlassen.
Ich kämmte mich schnell und ließ das weiche Haar offen auf meine Schultern fallen.
Nachdem ich mich so ein wenig in Ordnung gebracht hatte, fühlte ich mich wesentlich besser.
Ich klebte sogar ein Pflaster auf mein verletztes Knie und ging zu Blake.
Sobald er mich sah, informierte er mich sofort über das Abendessen.
„ Ich habe Peter auch zum Einkaufen geschickt. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Ich habe ihn geschickt, weil er erst seit ein paar Jahren ein Vampir ist und er die heutigen Gewohnheiten kennt".
Ich schaute in die Einkaufstüten.
Es gab verschiedene Tiefkühlgerichte, dann ein Fertiggericht für Kartoffelpüree und vier große, dicke Rinderfilets.
Da Blake anscheinend keine Ahnung hatte beschloss ich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Ich nahm sogleich das Fleisch und suchte dann nach einer Pfanne.
Zum Glück fand ich sie bei den Tellern, dem Besteck und den Gläsern.
Ich nahm, was ich brauchte, und deckte den Tisch.
Ich zeigte Blake, wie man den Herd einschaltete.
„ Du musst zuerst den Knopf drehen und dann den Einschaltknopf drücken, siehst du?"
Dann ließ ich die Pfanne heiß werden und legte zwei Steaks hinein. Der Geruch des Essens zeigte mir erst, wie hungrig ich war.
Ich ließ das Fleisch nur kurz in der Pfanne braten, ich mochte es am liebsten roh.
Schließlich stellte ich meinen Teller auf den Tisch, setzte mich hin und genoss das Filet.
Blake setzte sich neben mich und beobachtete mich fasziniert.
Unter seinem neugierigen Blick schnitt ich das Fleisch mit dem Messer und ließ das Blut auf den Teller tropfen.
Es war so zart wie Butter.
Ich steckte mir ein großes Stück in den Mund und kostete seinen Geschmack, den ich seit Jahren gut kannte, aber immer als köstlich bezeichnete.
Mir fiel sofort wieder Blakes rätselhafter Blick auf. Es war unmöglich herauszufinden, was er dachte.
„ Möchtest du ein wenig?" fragte ich ihn, um das Eis zu brechen.
Er nickte: „Wenn ich dich so ansehe, muss ich sagen, dass du mich richtig neugierig auf dieses Filet gemacht hast. Ich habe seit Ewigkeiten kein normales Essen mehr angerührt".
Ich versuchte, die Bedeutung dieses letzten Satzes zu ignorieren und konzentrierte mich darauf, ein Stück von meinem Fleisch zu schneiden und auf einen Teller zu legen.
Ich war fasziniert von seiner raffinierten und eleganten Art, das Fleisch zu schneiden, es zum Mund zu führen und langsam zu kauen.
„ Gut" gab er zu, nachdem er das Stück hinuntergeschluckt hatte.
Ich lächelte ihn freundlich an und aß weiter.
„ Ekelt dich dieses ganze Blut nicht an?", fragte er mich erneut.
"Nein, ganz und gar nicht. Ich bin daran gewöhnt. Zu Hause esse ich es jeden Tag", verriet ich.
„ Bist du etwa auch ein Vampir?", neckte er mich.
„ Nein, ich bin anämisch", erklärte ich unbefangen.
„ Das ist nicht wahr", urteilte er mit fester Stimme und mit misstrauischem Blick.
„ Natürlich ist es war. Ich habe eine sehr seltene Form der Anämie, die mich sehr schwächt. Deshalb muss ich eine bestimmte Diät einhalten. So ist es seit meiner Geburt", erzählte ich, in der Hoffnung, nichts Verfängliches preiszugeben.
„ Du bist nicht anämisch", stellte er überzeugt fest.
„ Doch, das bin ich."
Ich begann, mich über seine Dickköpfigkeit zu ärgern.
„ Du riechst aber nicht wie ein Anämiker, so schwach und fade. Dein Geruch hingegen ist intensiv und lang anhaltend. Er ist so stark, dass man ihn schon von weitem riechen kann. Gerade deswegen habe ich dich in dieser Krypta finden können. Du bist also nicht anämisch."
„ Doch, ich bin anämisch.“
„ Nein."
„ Ja."
Diese Unterhaltung fing an, mir auf die Nerven zu gehen.
Meine Tante hätte mich bei so einer wichtigen Angelegenheit bestimmt nie belogen, aber ich hatte in den letzten Tagen auch herausgefunden, dass viele der Dinge, an die ich immer geglaubt hatte, einfach nur eine Menge Lügen waren. Ich konnte jedoch nicht glauben, dass auch dies eine Lüge war. Ich war wirklich krank und wurde schnell schwach, wenn ich nicht meine Hämodose bekam. Ich musste eine Anämie haben.
Aber was wäre, wenn ich etwas Ernsteres hätte?
Meine Tante hätte mich diesbezüglich niemals angelogen!
Ich war schockiert über diesen Zweifel, der in meinem Kopf aufgekeimt war. Nein, das war nicht möglich! Aber...
Ich fühlte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Noch einen Moment länger und ich hätte wieder angefangen, zu weinen. Ich stand plötzlich auf und Blake tat das Gleiche.
Mit all der Kraft, die ich noch in meinem Körper hatte, schrie ich ihn verächtlich an: „Was weißt du denn davon, Vampir? Ich bin anämisch. Ende der Diskussion".
Einen Moment lang schaute mich Blake ungläubig an, aber er erholte sich schnell und versuchte, mich zu provozieren.
„ Na gut, aber du wirst doch nicht etwa schon wieder weinen wollen", provozierte er mich, als er sah, dass ich kurz davor stand, wieder in Tränen auszubrechen.
Unter anderen Umständen hätte ich mich stolz zusammengenommen und wäre diesen hinterhältigen Provokationen nicht erlegen, aber in diesem Moment, nach einem so verheerenden Tag, war mein Verstand nicht mehr richtig aufnahmefähig.
Ich handelte, ohne nachzudenken, und schlug ihn mit aller Kraft, die ich in meinem Körper hatte, ins Gesicht. In dieser Geste lag meine ganze Verzweiflung und Wut. Es war alles seine Schuld, dass ich in dieser Situation war!
Eine ganze Sekunde lang verzog Blake keinen Muskel, während ich meinen Tränen freien Lauf ließ. Es war das erste Mal, dass ich jemanden geschlagen habe, und ich war erschüttert. Ich zitterte vor Wut und Frustration.
Es verging nur ein Augenblick, und Blake packte meine Arme mit einem schraubstockähnlichen Griff und stieß ein wildes Knurren aus, das mir den Atem stockte, während er sein wutverzerrtes Gesicht meinem näherte und mich mit seinen eisigen und bedrohlichen Augen anstarrte. Ich sah seine länglichen Eckzähne, die aus seinem Mund herausragten.
Mir wurde bewusst, was ich getan hatte, und fühlte meine Kräfte schwinden.
Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, aber es war unmöglich.
„ Ich wollte nicht...", flüsterte ich schwach und starrte auf seine Zähne.
Für einen Moment spürte ich, wie sein Griff noch fester wurde, aber dann ließ er mich los und stieß mich heftig von sich fort.
„ Geh weg", knurrte er und deutete auf das Schlafzimmer in der Galerie.
„ Ich..."
„ Geh weg!", schrie er wütend und ließ mich zusammenschrecken.
Ohne dass er es mir noch einmal wiederholen musste, lief ich zur Treppe und flüchtete mich in den völlig offenen Raum, der auf das darunterliegende Stockwerk blickte.
Das Bett stand direkt an der Metallbalustrade, und von dieser Position aus konnte man das gesamte Loft von oben sehen: den Fernseher, die Couch und die Küche.
Ohne mich auszuziehen, schlüpfte ich unter die schwarze Daunendecke ins Bett.
Ich näherte mich dem Geländer. Ich konnte sehen, wie Blake den Tisch abräumte, und dann auf die Couch fiel.
Er schaltete den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand ein und ließ jedes Bild ohne Ton über den Bildschirm laufen.
Er lag lange Zeit mit geschlossenen Augen auf der Couch, ohne auch nur auf den Bildschirm zu schauen.
Ich konnte nicht umhin, seine Schönheit zu bewundern.
Abgesehen von seinem jungen, perfekten, schlanken, harmonischen Körperbau mit schmalen Hüften und breiten Schultern hatte er ein schönes Gesicht. Glänzendes schwarzes Haar, helle Haut, eine gerade Nase, sinnliche Lippen und blaue Augen, die ich immer wieder anstarren musste.
Sie waren viel heller und kälter als die von Kevin, aber wesentlich charmanter und bezaubernder.
Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte ihn gerade mit Kevin, der Liebe meines Lebens, verglichen. Wie konnte ich das tun?
Und doch schien Kevin in diesem Moment so weit weg und klein. Wer weiß, ob er sich gefragt hat, was mit mir geschehen ist.
Ich verstand nicht, warum, aber in diesem Moment interessierte mich das nicht mehr viel.
Pater Dominick hatte tatsächlich Recht gehabt, als er mir gesagt hatte, dass ich einfach in Kevin vernarrt sei, Liebe aber etwas ganz anderes sei. Wer weiß, ob ich eines Tages jemanden wirklich so intensiv lieben würde?
Mit diesen Gedanken und dem ständigen Starren auf Blake, der reglos auf der Couch lag, schlief ich ein.
Ich träumte, dass Kevin nach mir rief. Ich versuchte, ihn zu erreichen, und als ich ihn schließlich umarmen konnte, entdeckte ich, dass es Blake war.
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